Nur noch wenige Tage bis zum Bischofstreffen in Rom

Die Amazonas-Synode ächzt unter ihrer Erwartungslast

Veröffentlicht am 29.09.2019 um 12:35 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Amazonas-Synode wird mit Erwartungen überhäuft. Die einen fürchten einen häretischen Traditionsbruch, die anderen setzen all ihre Reformhoffnungen auf das regionale Bischofstreffen. Damit es ein Erfolg werden kann, müssten beide Seiten kirchenpolitisch aufgeladenen Emotionen herunterfahren. Eine Analyse.

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Die Zeit schreitet voran und schon sind es nur mehr wenige Tage bis zur Amazonas-Synode. Weltweit merkt man den vielen Wortmeldungen in den Medien die angespannte Lage am Vorabend dieses kirchlichen Ereignisses an. Wie ein projizierter Schatten gegenwärtiger theologischer Auseinandersetzungen hängen die ambivalenten Einschätzungen zu den Fragestellungen dieser Synode bereits vor ihrer Eröffnung über den Vorbereitungen. Die Blicke rund um den Globus lasten auf den Personen, die in den Oktoberwochen die theologisch und thematisch dichte Tagesordnung abzuarbeiten haben. Man liest vom heraufbeschworenen "Umbau der Kirche" (Kardinal Brandmüller), vom herbeigesehnten "Ende des Priestermangels" (Paul Zulehner) oder von einer "Zäsur für die ganze Kirche" (Bischof Overbeck).

Letztmögliche Zündung innerkirchlicher Lebenskraft

Manche sehen in der bloßen Möglichkeit, dass auf dieser Synode Lockerungen in den priesterlichen Anstellungsbedingungen beschlossen oder Themen wie Amtsverständnis, Sexualmoral oder Frauenfrage auch nur gestreift werden könnten, bereits einen häretischen Traditionsbruch, der sich seinen Weg in das Bewusstsein der Kirche bahnt. Zur selben Zeit setzen andere Beobachter offenbar all ihre kirchlichen Zukunftshoffnungen – oder was davon nach den Missbrauchs-, Finanz- und Machtskandalen der letzten Jahrzehnte noch vorhanden ist – auf ebendieses Ereignis. Für diese wirkt die Versammlung in Rom wie die letztmögliche Zündung innerkirchlicher Lebenskraft, welche der "Braut Christi" die oftmals abgesprochene Überlebensfähigkeit zurückgeben könnte.

Bild: ©picture alliance/abaca

Wird bisweilen mit unterschiedlichsten Erwartungen überschüttet: Papst Franziskus

Um Amazonien, also jenes Gebiet, für das diese regionale Synode eigentlich einberufen wurde, geht es bei zahlreichen Wortmeldungen schon lange nicht mehr. Die am medialen Gezerre um kirchenpolitische Autorität beteiligten Gruppen sorgen schon seit Monaten (oft schon seit Jahren) dafür, dass der Bedeutungsrahmen der Synode verschoben, ja so auf die Sorgen der Gesamtkirche extrapoliert wurde, dass die konkreten Anliegen und Probleme des ohnehin schon stark gebeutelten Amazonas-Gebietes unter die Räder kommen könnten. Der Synode selbst wird zum heutigen Zeitpunkt nun schon im Vorfeld genug Sprengkraft zugesprochen, um ohnehin schon entfremdete Gruppen (theologisch gesprochen: "Glieder") aus dem kirchlichen Gefüge ("Leib") herauszulösen.

Dass einem angesichts der entgegengesetzten Perspektiven auf die Synode das Bild des Kreuzes vor Augen kommt, mag Zufall sein, einprägsam ist es aber allemal. Und es drängen sich Fragen auf: Kann, soll und muss eine regionale Bischofssynode die Last der Gesamtkirche tragen? Sind die Erwartungen, Hoffnungen, aber auch die teils apokalyptischen Befürchtungen überhaupt realistisch? Werden hier möglicherweise solch utopische Vorstellungen angelegt, die ohnedies schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt sind? Oder sind etwa auch die Verteufelungen aller strittigen Diskussionsthemen wiederum nur krampfhafter Ausdruck jener Angst, die durch die Botschaft Christi eigentlich aus der Welt geschafft werden sollte? Nicht zuletzt: Wie kommt man aus dieser verfahrenen Lage wieder heraus?

Sorge um die Kirche

Die Befürchtungen ebenso wie die Hoffnungen in diese Synode sind Ausdruck der ehrlichen Anliegen jener, die sie aussprechen. Diese Menschen sind alle von der Sorge um die Kirche geprägt. Insofern sind ihre Emotionen auch berechtigt. Eine regionale Synode hat im katholischen Sinn immer auch eine gesamtkirchliche Bedeutung. Dafür sorgt allein schon der Papst und dessen Zustimmung zu den Entscheidungen, die für deren Gültigkeit notwendig ist. In gewisser Weise ist sie natürlich immer auch eine Art Präzedenzfall. Keinesfalls sind Sinn und Wert der "Amazonas-Synode" also zu leugnen.

Doch die mitunter enorm aufgeladene Diskussion zeigt, dass die kirchlichen Entscheidungsorte nicht nur von den Interessen und Zielvorgaben geprägt sind, die die persönlich anwesenden Vertreter einbringen. Vielmehr erscheinen diese Orte zunehmend unter den Lasten einer auf Gleichschaltung ausgerichteten Kirche, die global auf zahlreichen Problemfeldern mitunter heftiger Kritik ausgesetzt ist. Die sich ständig multiplizierenden Teilidentitäten der kulturell, digital und gesellschaftspolitisch verzweigten Welt stellen auch den einstmals so stark erscheinenden und Sicherheit bietenden Gleichschritt des römischen Zentralismus vor enorme Probleme. Dieses Gefüge, das seinen innerkirchlichen Erfolgslauf besonders im 19. Jahrhundert angetreten hatte, wirkt inmitten der zahlreichen Gruppen, die es auf ihre Seite reißen wollen, behäbig, mitunter fast ohnmächtig, manchmal gar schon innerlich zerrissen. Was über Jahrzehnte hinweg Schutz und Gleichmarsch sichergestellt hat, scheint in den unterschiedlichen globalen Geschwindigkeiten und kontextuellen Besonderheiten des 21. Jahrhunderts offenbar ins Stolpern geraten zu sein. Schuldige muss es dafür nicht unbedingt geben. Manchmal entpuppen sich die systemischen Lösungen der einen Zeit als unbrauchbar für die andere. Da muss man nicht notwendigerweise gleich den sprichwörtlichen Teufel an die Wand malen, sondern es reicht mitunter ein nüchterner Blick auf die gegenwärtigen Umstände.

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Video: © katholisch.de

Adveniat-Bischof Franz-Josef Overbeck über die bevorstehende Amazonas-Synode.

In einer Zeit, in der die Sorgenfalten der Kirche an zahlreichen Orten steigen, machen viele der Beteiligten denselben Fehler, nämlich dass sie all ihre Nöte, Hoffnungen und Ängste auf die Richtungsentscheidung eines Ereignisses (oder manchmal kann dies auch eine Person sein) hin zentrieren. Sie sehnen sich nach einer punktuellen und einmaligen Lösung, die möglichst alle Brandherde auf einmal löschen könnte. Hier paaren sich wirkliche Hoffnungsbilder mit fast schon utopischen Erwartungshaltungen, alle jedoch verstärken damit bewusst oder unbewusst jenen Zentralismus, den viele von ihnen eigentlich hinter sich lassen wollen.

Das vielzitierte "Schema F" hat in den säkularen Welten schon lange ausgedient. Problemorientierte Lösungskompetenz fordert mehr als einen eingeschworenen, manchmal künstlich anmutenden Gleichklang, sondern auch die Fähigkeit, in den konkreten Herausforderungen nicht zuallererst eine allerlösende Formel zu suchen. Was bedeutet diese zugegeben missliche Lage nun für die bevorstehende Synode? Wunder, so kann man sich wohl im Klaren sein, sollte man sich keine erwarten. Nicht, weil es gar keine Wunder gäbe. Sondern weil diese einerseits nicht "auf Knopfdruck" eintreffen, andererseits da regionale Synoden in ihrer kirchenpolitischen Funktion nicht für solche (oder 180-Grad-Wendungen) zuständig sind. Es gab in der wechselvollen Kirchengeschichte bereits einige Beispiele, an denen allzu hohe Erwartungen zu einer immensen Depression bei deren Nichteintreffen geführt haben. Auch Papst Franziskus ist seit seinem Amtsantritt – über weite Strecken mitunter unbewusst – in die Richtung eines kirchenpolitischen Wunderheilers gerückt worden. So sehr das Charisma dieses Papstes auch von Beginn an viele mitgerissen hat, so sehr leiden viele Gläubige heute unter den zerplatzten Seifenblasen ihrer womöglich utopischen Hoffnungen.

Am Vorabend einer solch wichtigen Synode wäre es möglicherweise ratsam, die kirchenpolitisch aufgeladenen Emotionen etwas runterzufahren. Nicht, weil Emotionen an sich schlecht sind, sondern weil die gegenwärtige kirchliche Lage auch einen kühlen Kopf erfordert. Enorm viel wird davon abhängen, wie handlungs- und entscheidungsfähig sich die Synode auch angesichts der weltkirchlichen Erwartungen zeigen wird. Sollt der Druck weiter zunehmen, so ist auch die Gefahr höchst real, dass alle Inspirationen, die von der Amazonas-Synode ausgehen können, schon im Keim erstickt und jegliche Dynamik im bischöflich-brüderlichen Entscheidungsweg unterbunden werden.

Ein Drahtseilakt

Kirchliches Fingerspitzengefühl ist von allen Seiten gefragt, nicht nur von den Entscheidungsträgern in der Synodenaula, sondern auch von jenen, die die Diskussionen und Themenstellungen von außen befeuern. Hier gilt es, sowohl die regionale Eigenständigkeit zu achten, dann aber auch die gesamtkirchliche Tradition und Botschaft rücksichtsvoll einzubinden. Ja, diese Entscheidungsgremien werden in einer vernetzten Welt noch stärker als früher zu enormen Drahtseilakten. Aber die Herausforderungen zu meistern, ist auch eine Aufgabe, die der Kirche von niemandem abgenommen werden kann

Von Andreas G. Weiß

Linktipp: Offiziell: Amazonas-Synode wird über verheiratete Priester diskutieren

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