Die eucharistische Anbetung – ein neuer Frömmigkeitstrend?
Worum es bei der Veranstaltung Mitte November in Altötting gehen wird, macht das dazugehörige Plakat eindrücklich klar: Eine Monstranz ist darauf abgebildet, der Platz in der Mitte, an dem sich die Hostie befindet, leuchtet aus sich selbst heraus im strahlenden, blendenden Licht. Die Strahlkraft wird noch bestärkt durch den Kontrast zum in dunklen Tönen gehaltenen Hintergrund des Plakats. "Adoratio" heißt der Kongress, zu dem der Passauer Bischof Stefan Oster in das "Kultur + Kongress Forum" und die Basilika Sankt Anna einlädt. Drei Tage lang dreht sich dann alles um die eucharistische Anbetung. Dabei wird nicht nur gebetet, sondern es gibt auch Vorträge und Informationen darüber, wie in der eigenen Pfarrei eucharistische Anbetung etabliert werden kann.
"Damit hätten wir nicht gerechnet"
Federführend vorbereitet hat den Kongress Ingrid Wagner. Sie arbeitet beim Bistum Passau im Referat für Neuevangelisierung, das Bischof Oster vor vier Jahren neu geschaffen hat. Sie ist geradezu überwältigt ob der positiven Resonanz, die der Kongress schon jetzt bekommt: Innerhalb weniger Wochen gab es über 1.200 Anmeldungen – weit mehr als erwartet. Obwohl das Kongresszentrum auf eine platzsparende Sitzordnung mit mehr Stühlen umdisponiert hat, kann das Bistum Interessierte jetzt nur noch auf die Warteliste aufnehmen. "Damit hätten wir nicht gerechnet", sagt Wagner. Die Idee zu der Tagung, die zwar ein französisches Vorbild hat, in Deutschland aber erstmalig stattfindet, beschreibt sie so: "Wir sind hier im Referat und im Bistum einfach überzeugt, dass unser Ziel der Neuevangelisierung ohne Gebet nicht möglich ist. Und da ist die eucharistische Anbetung doch ein großes Geschenk, das man nutzen sollte."
Obwohl diese Form von Spiritualität lange ein eher verstaubtes Image hatte, sind auch andere Gebetstreffen, die eucharistische Anbetung im Programm haben, sehr erfolgreich – gerade auch unter jungen Leuten. Seit dem Aufkommen von "Nightfever" nach dem Weltjugendtag mit Papst Benedikt XVI. 2005 in Köln gab es weltweit mehr als 4.000 solcher Abende. Und die "Mehr"-Konferenz des Gebetshauses in Augsburg hat zuletzt über 10.000 Besucher angezogen. Ist die eucharistische Anbetung möglicherweise ein neuer Spiritualitäts- und Frömmigkeitstrend? Könnte sie vielleicht sogar eine Chance sein, wieder mehr Jugendliche zu erreichen?
Da es dazu keine Statistiken gibt, können auch Theologen wie der Salzburger Liturgiewissenschaftler Alexander Zerfaß nur auf ihre persönlichen Erfahrungen zurückgreifen. Seine Einschätzung ist geradezu salomonisch: Zwar beobachtet er im Umgang mit traditionelleren Frömmigkeitsformen wie der Anbetung heute "eine größere Unbefangenheit als vor 20 oder 30 Jahren". Ein neuer Großtrend sei das aber nicht: "Es sind unter dem Strich vor allem bestimmte Kreise von Jugendlichen, besonders aus dem charismatischen Sektor, die diese Form sehr stark betonen und auch einen missionarischen Eifer entfalten", so Zerfaß. Beim Nachwuchs in seiner eigenen Stadtgemeinde beispielsweise sei keine besondere Affinität zur Eucharistischen Anbetung zu erkennen.
So ist auch die Erfahrung von Thomas Andonie. Als Vorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) trifft er regelmäßig Jugendliche an unterschiedlichsten Orten und Kontexten. Allerdings kann er sich nicht erinnern, dabei von ihnen den lauten Wunsch nach eucharistischer Anbetung gehört zu haben. Patrik Höring, Professor für Katechetik und Didaktik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Augustin, sieht in der Gebetsform denn auch keine Graswurzelbewegung Jugendlicher, sondern eher ein Phänomen, das von jungen Klerikern an diese herangetragen werde: "Es sind vor allem junge Priester, die diese Form der Frömmigkeit vorantreiben. Das Angebot induziert hier die Nachfrage, nicht andersherum".
Trotz Zunahme keine Massenbewegung
Wie Alexander Zerfaß, so hat auch Patrik Höring zwar eine Zunahme der eucharistischen Anbetung unter Jugendlichen beobachtet – aber eben keine Massenbewegung. Um sich dem Phänomen trotz der schwierigen Datenlage zahlenmäßig anzunähern, verweist er auf aktuelle Zahlen zur kirchlichen Jugendarbeit. Allein der BDKJ als Dachverband der deutschen Jugendverbände hat bundesweit aktuell rund 660.000 Mitglieder, die sich regelmäßig engagieren. Hinzu kommen die verbandlich nicht organisierten Gruppen in den Gemeinden, wie etwa die Ministrantinnen und Ministranten mit bundesweit etwa 360.000 Kindern und Jugendlichen. Bei der 72-Stunden-Aktion, der großen Sozialaktion des BDKJ, haben in diesem Jahr rund 85.000 Kinder und Jugendliche mitgemacht. "An diese Zahlen kommen Veranstaltungen wie die Mehr-Konferenz oder auch Adoratio dann doch nicht heran", sagt Höring. Hinzu kommt, dass die vielen kleinen Gruppen in Pfarreien, Verbänden oder Schulen, die sich Woche für Woche treffen, in der Öffentlichkeit einfach nicht so präsent sind wie Großevents, die mit viel Aufwand auch medial in Szene gesetzt sind.
Bei Höring, Zerfaß und Andonie scheint durch, dass sie der Renaissance der eucharistischen Anbetung und den dazugehörigen Veranstaltungen mit einer gewissen Reserviertheit gegenüberstehen. Der Grund ist jeweils der gleiche: Manche allzu glühenden Anhänger sähen diese Spiritualitäts- oder Frömmigkeitsform als die einzig wahre und stuften andere Gläubige, die damit weniger anfangen können, zurück. "Ich bin da eher für Pluralität. Es gibt sehr viele unterschiedliche Zugänge zu Spiritualität und zum Glauben. Und jede hat ihre Berechtigung", sagt Thomas Andonie. Auch das kontemplative Gebet oder die tätige Nächstenliebe gehörten dazu.
Patrik Höring erinnert daran, dass die aus der mittelalterlichen Schaufrömmigkeit entstandene Glaubenstradition der eucharistischen Anbetung nicht unumstritten ist. Erst kürzlich hat eine Umfrage unter US-Katholiken ergeben, dass nur noch eine Minderheit überhaupt an die Realpräsenz Jesu im gewandelten Brot glaubt. Aus Sicht Hörings ist es daher noch viel schwieriger, das schlichte Betrachten des eucharistischen Brotes als Weg der Christusbegegnung zu vermitteln: "Es gibt eben auch Gläubige mit einer intensiven Gottes- und Christusbeziehung, die von der eucharistischen Anbetung nicht angesprochen werden", so der Theologe. Sie sei eine von vielen Formen christlicher Spiritualitätspraxis.
Vor diesem Hintergrund sieht Höring eine zu einseitige Betonung dieser Frömmigkeitsform kritisch. Er stelle sich die Frage, wie sinnvoll die eucharistische Anbetung als Gebetsform bei Großevents oder als missionarisches Instrument sei – besonders dann, wenn vor allem Menschen angesprochen werden, die mit der Kirche sonst nicht so viel am Hut haben und daher gar nicht um die Bedeutung der ausgestellten Hostie wissen. "Das ist dann eigentlich eine Zweckentfremdung der Eucharistie", so Höring, "weil sie zu etwas missbraucht wird, für das sie gar nicht gedacht ist".
Sehnsucht nach einer Gottesbeziehung
Solche Kritik kann Ingrid Wagner aus Passau nicht verstehen. Natürlich gebe es sehr unterschiedliche Arten zu beten. Die Eucharistische Anbetung sei aber schon eine "sehr besondere Form" und "große Kraftquelle", betont sie. Das hohe Interesse am Kongress "Adoratio" deutet Ingrid Wagner denn auch als ein "Zeichen der Zeit": als Ausdruck einer Sehnsucht der Menschen nach Gebet und dem Aufbau einer innigen Gottesbeziehung. Ob einen das anspreche oder nicht, müsse jeder selbst entscheiden: "Einfach mal ausprobieren", findet die Referentin für Neuevangelisierung.