Vatikanische Archive werden im März 2020 geöffnet

Kirchenhistoriker Wolf: Pius XII. schwieg auch nach 1945 zu Holocaust

Veröffentlicht am 09.10.2019 um 14:08 Uhr – Lesedauer: 
Kirchenhistoriker Wolf: Pius XII. schwieg auch nach 1945 zu Holocaust
Bild: © KNA

Stuttgart ‐ Pius XII. habe während der NS-Zeit zum Holocaust konsequent geschwiegen, lautet der Hauptvorwurf gegen den Weltkriegspapst. Doch Kirchenhistoriker Hubert Wolf sieht "eine noch viel schlimmere Frage": Warum schwieg er auch von 1945 bis 1958?

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Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf erhofft sich von der weiteren Öffnung der Vatikan-Archive neue Erkenntnisse über die Frage, warum Papst Pius XII. (1939-1958) zur Judenvernichtung geschwiegen hat. "Die Frage der Vernichtung der Juden wird das ganz große Thema zu Beginn der Archivöffnung sein", sagte er am Mittwoch in einem Interview der "Stuttgarter Zeitung".

Dabei müsse man nicht nur der Frage nachgehen, warum der Papst bis 1945 dazu geschwiegen habe, sagte der katholische Priester. "Es gibt aber eine noch viel schlimmere Frage: Warum hat er von 1945 bis 1958 geschwiegen, als es vollkommen gefahrlos gewesen wäre, sich zu äußern? Warum hat er keinen einzigen Satz dazu gesagt? Warum hat er sich gegen die Gründung des Staates Israel 1948 in drei Enzykliken ausgesprochen?"

"Das ist wie Troja ausgraben"

Am 2. März 2020 sollen die vatikanischen Archive für den Zeitraum vom 2. März 1939 bis zum 9. Oktober 1958 für die Forschung geöffnet werden, also für die Zeit des Pontifikats von Pius XII. "Das ist ein bisschen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten zusammen", sagte Wolf, der bereits seit 30 Jahren Zugang zu den Archiven im Vatikan hat.

Er warnte vor zu hohen Erwartungen; mit schnellen Ergebnissen sei nicht zu rechnen. Es handele sich um 250.000 Archivschachteln allein im Vatikanischen Geheimarchiv und weitere 100.000 in anderen Archiven. Allein die Sichtung des Materials werde Jahre dauern. "Das ist wie Troja ausgraben. Wir müssen erst einmal an einzelnen Stellen Probegrabungen machen."

Die Haltung Papst Pius' XII. in der NS-Zeit wird seit dem Erscheinen von Rolf Hochhuths Drama "Der Stellvertreter" im Jahr 1963 kontrovers diskutiert. Der Hauptvorwurf lautet seither: Pius habe gegenüber dem Holocaust trotz zahlreicher Bitten um öffentlichen Protest geschwiegen. Durch die allmähliche Verbesserung der Quellenlage wurden zahlreiche Kritikpunkte Hochhuths inzwischen widerlegt oder relativiert. Doch Hochhuths Werk bestimmt weiterhin das öffentliche Bild des Pacelli-Papstes. (tmg/KNA)