Experte Jacob Joussen über die Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechts

"Kirchen sollten sich bewegen"

Veröffentlicht am 22.04.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Arbeitsrecht

Bonn ‐ Im Kampf gegen die Kirchen will Verdi vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Zwar hatte das Bundesarbeitsgericht Ende November 2012 im Sinne der Gewerkschaft entschieden, dass Streiks in kirchlichen Betrieben grundsätzlich erlaubt sind, dies allerdings an Bedingungen geknüpft. Im Interview mit katholisch.de erläutert der Jurist und Experte für kirchliches Arbeitsrecht, Jacob Joussen, das Erfurter Urteil. Zudem erörtert der Professor, ob das kirchliche Arbeitsrecht noch eine Zukunft hat.

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Frage: Herr Professor Joussen, die Gewerkschaft Verdi will vor dem Bundesverfassungsgericht das Streikrecht in kirchlichen Betrieben durchsetzen. Wie groß sind die Erfolgsaussichten?

Joussen: Mich hat die Verfassungsbeschwerde überrascht, weil ich die Erfolgsaussichten für nahezu null erachte. Bislang hat das Verfassungsgericht solche Beschwerden so gut wie nie angenommen, noch nicht einmal als zulässig erachtet, wenn der Gewinner eines Urteils die Verfassungsbeschwerde erhebt. Das ist hier der Fall.

Experte für kirchliches Arbeitsrecht: Jacob Joussen lehrt an der Ruhr-Universität Bochum.
Bild: ©privat

Experte für kirchliches Arbeitsrecht: Jacob Joussen lehrt an der Ruhr-Universität Bochum.

Frage: Was hat das Bundesarbeitsgericht im November vergangenen Jahres genau entschieden?

Joussen: Dem Urteil zufolge müssen kirchliche Arbeitgeber verschiedene Bedingungen in Bezug auf ihr Arbeitsrecht erfüllen. Die Unternehmen müssen sich an die Ergebnisse – zum Beispiel zu Gehaltsfragen – der aus Dienstgebern und Dienstnehmern besetzten Kommissionen halten. Sollten Verhandlungen scheitern, muss der Vorsitzende einer Schiedskommission unabhängig sein. Und: Die Gewerkschaften müssen in den Kommissionen vertreten sein. Falls die Kirchen diese Bedingungen nicht erfüllen, haben die Gewerkschaften das Recht zu streiken.

Frage: Stellt ein Streikrecht in kirchlichen Betrieben wirklich eine Bedrohung des kirchlichen Arbeitsrechts, des sogenannten dritten Weges, dar?

Joussen: Im Moment erfüllen die kirchlichen dritten Wege im Arbeitsrecht in den Diözesen und Landeskirchen nicht die Bedingungen, die das Bundesarbeitsgericht aufgestellt hat. Ein Arbeitskampf ist also denkbar, bis die Kirchen ihre Systeme angepasst haben. Sollten sie das nicht tun, haben es Verdi oder der Marburger Bund in der Hand, den dritten Weg so zu bekämpfen, dass die kirchlichen Arbeitgeber dauerhaft auf Tarifverträge umsteigen müssten.

Frage: Auch andere Urteile haben sich in den letzten Jahren mit dem kirchlichen Arbeitsrecht befasst. Steht der verfassungsrechtliche Sonderweg der Kirchen vor dem Aus?

Joussen: Man kann rechtlich und praktisch argumentieren. Da der Sonderweg verfassungsrechtlichen Schutz genießt, sehe ich ihn rechtlich im Moment nicht am Ende. Praktisch hat es in den vergangenen zwei, drei Jahren vermehrt Urteile dazu gegeben. Das spiegelt die sich wandelnde Rolle der Kirchen in der Gesamtgesellschaft wieder. Es wäre überraschend, wenn die veränderte Wahrnehmung und Stellung der Kirchen sich im Arbeitsrecht nicht niederschlagen würde.

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Frage: Wären die Kirchen aufgrund des Wandels in Arbeitswelt und Gesellschaft ihrer Meinung nach gut beraten, über Änderungen bei ihrem Arbeitsrecht nachzudenken?

Joussen: Ja. Im katholischen Bereich, in dem anders als im evangelischen immer noch Moralvorstellungen zu Loyalitätskonflikten führen, wäre es aus arbeitsrechtlicher Sicht – nicht aus theologischer Sicht – günstig, sich zu bewegen. Ein weltlicher Richter unserer Zeit versteht beispielsweise die Möglichkeit einer Kündigung eines wiederverheiratet-geschiedenen Arbeitnehmers nicht mehr.

Frage: Nicht selten wird der Vorwurf gehört, das kirchliche Arbeitsrecht sei ein Arbeitsrecht zweiter Klasse. Kann man das so pauschal sagen?

Joussen: Nein. Es beachtet es die Besonderheiten der Kirche, die auch von der Verfassung anerkannt sind. Ich käme auch nicht auf die Idee, zum Beispiel den Umstand, dass es im öffentlichen Bereich Personal- statt Betriebsräte gibt, als zweitklassig zu bezeichnen. Nur, weil ein Recht bestimmte Umstände berücksichtigt, ist es kein Recht zweiter Klasse.

Das Interview führte Christoph Meurer

Meinung

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Hintergrund: Der Dritte Weg

Der Staat hat den Kirchen in Deutschland das Recht eingeräumt, ein eigenes System des Arbeits- und Tarifrechts zu schaffen. Hintergrund ist die Auffassung, dass Arbeit im kirchlichen und karitativen Dienst eine religiöse Dimension hat. Es gilt das Prinzip der Dienstgemeinschaft, wonach alle in der Kirche Tätigen gleichen Anteil am religiösen Auftrag der Kirche haben. Daraus leiten sich besondere Loyalitätspflichten ab. So können kirchliche Arbeitgeber Mitarbeiter für ein Verhalten außerhalb des Dienstes entlassen, das den Werten und Prinzipien ihrer Glaubensgemeinschaft widerspricht. Beim sogenannten Dritten Weg handelt es sich um eine konsensorientierte Suche nach einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Bereich der Kirchen. Das Betriebsverfassungsgesetz und die Möglichkeiten von Streiks und Aussperrung gelten für die Kirchen nicht. Alle Fragen des Tarifrechts werden durch paritätisch aus Dienstgebern und Dienstnehmern besetzte Kommissionen geregelt. Gewerkschaften wie ver.di und der Marburger Bund kämpfen für ein Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen. (KNA)