Bischof Wilmer: Wir stehen bei den Armen und Ausgestoßenen
Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer ist an diesem Samstag zum neuen Vorsitzenden der Deutschen Kommission Justitia et Pax gewählt worden. Er verweist er auf neue Themenschwerpunkte in der künftigen Arbeit. Und er erklärt, warum Religionen gerade in den Ländern des Globalen Südens größeres Vertrauen genießen als die Politik.
Frage: Sie sind in der Nachfolge von Bischof Stephan Ackermann, der die Kommission die letzten zwölf Jahre geleitet hat, zum Vorsitzenden gewählt worden und treten damit in eine beachtliche Reihe ein. Ich erinnere nur an Bischof Franz Kamphaus, Weihbischof Leo Schwarz, Erzbischof Reinhard Marx und eben Bischof Stephan Ackermann. Was möchten Sie persönlich in die Arbeit der Kommission einbringen?
Wilmer: Zunächst einmal habe ich einen großen Respekt und eine hohe Sympathie meinen Vorgängern gegenüber, zu denen ich aufschaue und die mich schon in der Vergangenheit inspiriert haben. Ich weiß, dass ich hier in große Fußstapfen trete. Hinzu kommt, dass ich mich schon ein paar Mal an der Kommission Justitia et Pax beteiligt habe und ich bin sehr angetan, wieviel Expertise hier in der Kommission vorhanden ist. Eine Expertise, die aus vielen Bereichen unserer Gesellschaft stammt. Einbringen möchte ich auch meine eigene Erfahrung: Ich war bis letztes Jahr Generaloberer einer Ordensgemeinschaft der Dehonianer mit 2.200 Mitbrüdern, die in 43 Ländern auf vier Kontinenten tätig ist. Ich war in vielen dieser Länder und möchte meine Erfahrung der gelebten Weltkirche einbringen. Auch meine Überzeugung, dass es gerade mit Blick auf die Zukunft wichtig ist, dass wir zusammenhalten, zusammenstehen und dass es nicht gehen kann, dass sich eine Gruppe auf Kosten einer anderen durchsetzt.
Frage: Was sind konkrete Erlebnisse und Begegnungen aus der Weltkirche, die Sie geprägt haben?
Wilmer: Die Begegnung mit Menschen im Kongo hat mich geschockt und entsetzt. Ich hatte lebhaft vor Augen, wie Kolonialismus nicht nur ein Thema der Vergangenheit ist, sondern hochaktuell, sehr perfide und verdeckt. Die Menschen wurden vom Staat zynisch behandelt – ob eine Million Menschen am Ende stirbt, spielt für die Regierung keine Rolle, Hauptsache das korrupte System bleibt an der Macht. Korruption wird auch mit unserem Verhalten und unserem Lebensstil in der westlichen Welt aufrechterhalten.
Frage: Die Diskussion um den Umgang mit dem kolonialen Erbe nimmt langsam an Fahrt auf. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, dass sie sich der Aufarbeitung dieses Erbes annehmen möchte. Welchen Beitrag kann die Kommission leisten?
Wilmer: Die Deutsche Kommission Justitia et Pax möchte vor allem der Frage nachgehen, welche Auswirkungen diese Erfahrungen auf unsere heutigen Beziehungen haben. Inwieweit ist die Geschichte des kolonialen Erbes präsent und inwieweit wird sie fortgesetzt. In einem zweiten Schritt geht es um die Frage, wie wir einen Raum schaffen können, um über diese Themen zu sprechen und die unterschiedlichen Partner an einen Tisch zu bringen. Ich glaube, dass die weltkirchliche Verbundenheit ein Vertrauenskapital ist, das es erleichtert, auch komplexe und schmerzhafte Themen anzusprechen. Auch Deutschland hatte Kolonien und war in Sklaverei verwickelt. Das Land lebt bis heute aufgrund einer Wertschöpfung, die auch durch die Versklavung vieler Menschen und vor allem von Frauen zustande kam. Wir haben bis heute kein Museum und keinen Ort, der diese Geschichte visualisiert und uns in der Bevölkerung vor Augen hält, was da geschehen ist.
Frage: Papst Franziskus hat mit Laudato Si' einen weltweit beachteten Impuls für die Bewahrung der Schöpfung aber auch die Frage nach der Gerechtigkeit unter den Bedingungen des Klimawandels gesetzt. Was bedeutet das für Arbeit der Kommission?
Wilmer: Die Umwelt-Enzyklika wird für unsere Arbeit ein roter Faden sein. Es ist ein unglaublich starker Impuls und das Dokument, das in den letzten 40 Jahren außerhalb der Kirche am meisten gelesen, rezipiert und geschätzt wird. Nicht zuletzt trägt diese Enzyklika auch die Amazonas-Synode, die derzeit in Rom stattfindet. Wir von der Deutschen Kommission Justita et Pax sagen: "Unsere Erde, unser Haus brennt". Es wird höchste Zeit und wir brauchen die unterschiedlichen Partner der Gesellschaft an einem Tisch. Die Lösung dieser Frage ist sehr komplex und alle sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Ziel muss es sein, Leben für alle zu ermöglichen, ein Leben in Frieden, der uns lebendig hält.
Frage: Es gibt bereits eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung für den Klimaschutz, an dem sich zahlreiche kirchliche Netzwerke und Organisationen beteiligen. Wie wird Justitia et Pax sich da konkret einbringen?
Wilmer: Wir verstehen uns als Gruppe, die versucht, diese unterschiedlichen Initiativen zu bündeln und eine "Versäulung" der kirchlichen Gruppen zu durchbrechen. Wir müssen schauen, wie wir gemeinsam an einen Tisch kommen, uns stärker vernetzen und verbinden.
Frage: Welche neuen Schwerpunkte will sie künftig setzen?
Wilmer: Ein neues Thema, dem wir uns künftig verstärkt widmen wollen, ist die Organisierte Kriminalität. Das wird in Deutschland noch immer stark ausgeblendet, Länder wie Italien und Albanien sind da viel weiter. Wir wollen schauen, wo es in Deutschland dunkle Machenschaften gibt, denen niemand auf die Füße tritt. Uns geht es um eine Darstellung und Visualisierung dessen, was ist. So wie es der italienische Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano macht, den ich sehr schätze.
Weitere Themen sind die nukleare Abrüstung, der wir uns schon in der Vergangenheit gewidmet haben. Und ein neueres Thema: Unser Verhältnis zu China – zum einen die Europäische Politik gegenüber China aber auch innerasiatisch. Uns ist schon klar, dass China neben unseren klassischen Supermächten wie Russland und den USA eine Größe sein wird, mit der wir in Zukunft deutlich rechnen müssen und wodurch sich die Konstellation in der Welt verschieben wird. Bis hin zu Themen wie Menschenrechte, Klima, Stadt-Land-Verhältnis und der Umgang mit Ressourcen.
Nicht zuletzt wollen wir auf das Menschenrecht auf angemessenen Umgang mit den Toten hinweisen. Es geht hier um Aufklärung, was mit Menschen passiert ist, die umgekommen sind, wie zum Beispiel die Verschwundenen in Argentinien, deren Mütter heute noch in Buenos Aires demonstrieren, oder auf dem Balkan, wo Tote verscharrt wurden.
Frage: Welche Themen waren für die Kommission in der Vergangenheit wichtig, haben sich aber im politischen und gesellschaftlichen Gespräch zu wenig durchgesetzt?
Wilmer: Die Abhängigkeit von Religion und Entwicklung muss stärker aufgezeigt werden. Den Vereinten Nationen ist inzwischen klar, dass wenn ausländische Experten ein bestimmtes Krisengebiet verlassen haben, die Religionsgemeinschaften in der Regel noch bei den Menschen sind, bei den Armen und Marginalisierten. Ein gutes Beispiel sind die Mönche von Tibhirine in Algerien, die im März 1996 verschleppt und enthauptet wurden. Sie waren bei den Menschen geblieben und haben nachhaltig für einen Ausgleich der Kulturen und der verschiedenen Religionen gesorgt. Hier sieht man, wie wichtig Religionsgemeinschaften sind, die bei aller Kritik auch ein Vertrauen genießen.
Frage: Wie kommt das?
Wilmer: Religion und das Christentum haben nach wie vor einen großen Vertrauensvorschuss, wenn es um möglichst uneigennütziges Vorgehen geht. Vielen Partnerorganisationen in der Entwicklungszusammenarbeit wird oft politische und wirtschaftliche Eigennützigkeit unterstellt. Eine Religionsgemeinschaft mag vielleicht auch gewisse eigennützige Anteile haben, aber in viel geringerem Maße. Das spüren die Menschen und das ist ein großes Kapital, unterschiedliche Gruppen an einen Tisch zu bekommen, um Vertrauen herzustellen und keinen billigen Frieden, sondern gerechten Frieden zu schaffen. Und hier sehe ich die zentrale Aufgabe der Deutschen Kommission Justitia et Pax: Sie hat eine prophetische Funktion und wir stehen auch heute dafür, bei den Armen, Ausgestoßenen und Marginalisierten zu sein.
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Internetportal weltkirche.de