Kolumne: Römische Notizen

Der vielfältige Klang der Amazonas-Synode

Veröffentlicht am 15.10.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Die Amazonas-Synode im Vatikan geht in ihre zweite Woche. Vatikan-Journalistin Gudrun Sailer ist in der Synodenaula mit dabei. Zufällig reingerutscht, wie sie beteuert. Aber wo sie schon mal da ist, sperrt sie Augen und Ohren auf.

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Die Synode singt. Nicht andauernd, aber immer wieder mal stimmt wer ein Liedchen an im großen Saal, am Ende seines Redebeitrags, auf Spanisch oder Portugiesisch, viele fallen ein, es wird ein spontaner Chor, und selbst wer – kulturfremd wie unsereins – nicht mitsingen kann, ist unversehens eingemeindet für die halbe Minute, die das Ganze dauert. Singen eint. Singen geht nur miteinander. Gegeneinander geht reden, brüllen oder schweigen. Aber singen nicht.

Der Sound der Amazonas-Synode ist also stellenweise ungewohnt im Vergleich zu früheren Versammlungen dieser Art. Ich war bei der Afrika-Synode vor zehn Jahren, und keiner sang, außer beim Stundengebet. Selbst bei der Jugendsynode vor zwei Jahren traute sich niemand auf den Hinterbänken, ein spontanes Liedchen inmitten der hohen Herren im Talar anzustimmen.

Und wo wir von Talaren reden: Bei der Amazonas-Synode gibt es keine mehr. Nicht einmal an den Tagen der Vollversammlung, wo die bodenlange Dienstkleidung für hohe Kleriker bisher Pflicht war. Glauben Sie keinem tagesaktuellen Medium, das Bilder aus der Synodenaula mit reihenweise lila Scheitelkäppchen der Bischöfe zeigt. Diese Bilder sind hübsch, aber von gestern.

Bischöfe im "Clergyman"

Schon am ersten Arbeitstag der Amazonas-Synode erteilte das Podium die erlösende Dispens vom Talar. Ein Seufzen stieg auf in den vorderen Reihen, wo die Bischöfe sitzen, und am Morgen danach tauchten – außer Franziskanern in Kutte und ein paar Würdenträgern, die gerade nicht hingehört hatten – nur noch zwei Männer in langen Gewändern und Käppchen auf, der Papst und Kardinal Lorenzo Baldisseri, scheidender Leiter der Synode. Die anderen rund 180 Bischöfe und Kardinäle kommen im "Clergyman", das ist der schwarze Anzug zum Hemd mit Priesterkragen, plus Brustkreuz. Alle übrigen Teilnehmenden sind in der Kleiderwahl ohnehin frei. Indigene tragen, oder auch nicht, traditionelle Gewänder, Federschmuck am Kopf und Bemalung im Gesicht, und ein Missionar aus Brasilien, ein Schrank von einem Mann, durchmaß zum Fest der Muttergottes von Aparecida in einem knallbunten Madonnen-T-Shirt die Pforte zur Synodenaula.

Warum ich diese Äußerlichkeiten erwähne? Damit ein ganzes Bild entsteht, ein Bild vom gemeinsamen Unterwegssein und von Veränderung, die innen geschieht und sich außen ankündigt, zur Freude vieler, zum Entsetzen anderer. Es ist Dynamik in dem, was da geschieht. Eine komplexe Dynamik. Die entspricht den Inhalten.

 Papst Franziskus bei Amazonas-Synode
Bild: ©Cristian Gennari/Romano Siciliani/KNA

Papst Franziskus umarmt eine Frau im Petersdom zu Beginn der Amazonas-Bischofssynode am 7. Oktober 2019 im Vatikan.

Wer sich für diese Synode interessiert, weiß, worum es geht, ich fasse zusammen: Amazoniens 33 Millionen Menschen sind auf vielfältigste Weise bedroht, ihrer Lebensgrundlage und ihrer Rechte beraubt. Rücksichtslose Ausbeutung ist im Begriff, den Urwald unwiederbringlich zu zerstören und den Indigenen ihr Haus, ihre Küche, ihren Markt, ihre Apotheke und ihr Leben zu nehmen, so sagte es einer vor der ganzen Synode. In den Städten wie im Regenwald geht es um Unterdrückung, Kolonialismus, Migration, Menschenhandel, Drogen, massive Gewalt. Und es geht um globalen Klimawandel und eine neue Form des Wirtschaftens auf der Welt. Alles hängt mit allem zusammen, wie Papst Franziskus in seiner Sozialenzyklika "Laudato Si" verdeutlichte. Zwei große inhaltliche Linien greifen bei der Synode eineinander: eine ökologisch-soziale und eine kirchliche. Die katholische Kirche braucht neue Wege, um den Menschen in Amazonien so beizustehen, wie sie es verdienen. Und sie muss sich ihrem Auftrag, die Schöpfung zu schützen, neu stellen. Sie braucht eine ökologische Umkehr.

Die Themen sind überall

Das alles kommt bei der Synode in hundertfacher Brechung zur Sprache. In der Aula bei der Vollversammlung, in den Nebensälen bei den zwölf Sprachgruppen, bei der Kaffeepause, auf dem Weg zur Messe, beim Essen mit alten und neuen Bekannten, bei Pressebriefings und in Mails nach Hause.

An den Tagen der Vollversammlung in der Aula geht es ums Zuhören. Konzentriert die Atmosphäre, streng getaktet der Ablauf. Kaum jemand spricht frei, einige fügen ihrem Manuskript etwas hinzu, andere kürzen ab, denn nach vier Minuten Redezeit und einem doppelten Signalton geht theoretisch das Mikrofon aus (praktisch bleibt es an, aber nur wenige Redner überziehen um mehr als ein paar Sekunden). Das bestens organisierte Synodensekretariat sammelt die vorab eingereichten Redemanuskripte, archiviert sie mit Stempel und ist gehalten, sie nicht herauszugeben, außer den übrigen Synodalen. Jeder darf seinen eigenen Redebeitrag veröffentlichen, wenn er möchte. Manche tun es, andere nicht. Kurienbischöfe sind zurückhaltender als andere.

„Niemand legt fertige Antworten auf den Tisch.“

—  Zitat: Gudrun Sailer

In den Kleingruppen geht es um Vertiefungen und Synthesen, bereits mit Blick auf das Schlussdokument. Ein deutscher Sprachzirkel kam diesmal nicht zustande. Das liegt an der Menge und nicht etwa daran, dass der Vatikan die bekanntlich explosiven Deutschen lieber in andere Sprachzirkel hinein neutralisieren wollte. Die Zahl deutscher Muttersprachler bei der Amazonas-Synode beträgt 13. Aber nur dann, wenn man den luxemburgischen Kardinal Hollerich mitrechnet.

Sehr unterschiedliche Gruppen

Eine weitere Besonderheit dieser Synode ist, dass in den beiden italienischen Sprachzirkeln erstens weder eine Frau noch ein Indigener sitzt, weil die Frauen und die Indigenen aus Amazonien kommen und kein Italienisch können, und sich zweitens dort die Kurienbischöfe häufen, aufgelockert nur von einigen Missionaren italienischer Abstammung. In diesen beiden Zirkeln prallen zwar nicht verschiedene Sprachen zusammen, dafür aber verschiedene Sprechweisen, Wahrnehmungen, Argumentationen und Prioritäten.

Die Leute in dem spanischen Zirkel, den ich beobachte, sind höchst engagiert bei der Sache. Sie berichten aus ihrer Praxis, tragen bedachte oder steile Thesen vor, hören mit ausgesuchtem Respekt auf die Indigenen und die Frauen. Niemand legt fertige Antworten auf den Tisch, und selbst bei Meinungsverschiedenheiten zur Ämterfrage bleiben alle in einem fragenden, verständnisvollen und sogar witzigen Tonfall, von dem einige kirchliche Medien gerne etwas lernen dürfen.

Häresie, Skandal, Schisma, Abfall vom Glauben? Ich sehe, wie schon oft im Pontifikat Franziskus', einen Unterschied zwischen der Außenwahrnehmung der Amazonas-Synode und dem, wie sie innen klingt. Ihr Sound ist soft, nicht dissonant. Ein vielstimmiges Miteinander. An keiner Stelle bisher habe ich Polemik oder gar Gehässigkeit wahrgenommen. Vorbehalte gegen manche Thesen, das ja, und schwach dosierten Applaus, einmal sogar einen Moment betretenen Schweigens in der Aula. Ich sehe den Freimut, die Franziskus von seinen Leuten dauernd einfordert, und im Großen und Ganzen die Hoffnung auf neue Wege. Es ist ein Ringen, aber kein Versuch, andere über den Tisch zu ziehen. Dass das Schlussdokument schon geschrieben sei, kann nur jemand glauben, der nicht bei der Synode ist.

Von Gudrun Sailer

Kolumne "Römische Notizen"

In der Kolumne "Römische Notizen" berichtet die "Vatikan News"-Redakteurin Gudrun Sailer aus ihrem Alltag in Rom und dem Vatikan.