Eine Synode des Aufbruchs – für Amazonien und für Europa
Nach dem Abschluss der dreiwöchigen Amazonien-Synode im Vatikan bleibt festzuhalten: Die Sonderversammlung der Bischöfe mit einer großen Beteiligung von Ordensleuten und Laien verändert Kirche. Sie war Ausdruck der Synodalität, die spezifische Weise, gemeinsam zu leben und zu handeln, einander zuzuhören und Wege zur Entscheidung zu finden. Auch wenn dringlich notwendige Reformen Zeit brauchen, ist ein Aufbruch auf neue und andere Wege erlebbar. Dieser Prozess wird kaum umkehrbar sein. Mit Papst Franziskus schlägt die Kirche einen synodalen, also auf betont gemeinsames Agieren ausgerichteten Weg ein. Das bedeutet: Die Kirche will stärker zuhören und ungeschminkte Realitäten ansehen und verstehen lernen. Aus alldem ergibt sich dann die Notwendigkeit zu verstehen, was aus der Perspektive Gottes, der Verteidigung des Lebens dazu zu sagen ist, und wie konsequent gehandelt werden soll. Zu dieser Form des Miteinanders gehört das gemeinsame Feiern.
Die Amazonien-Synode in Rom konnte erwartungsgemäß nicht auf alle diskutierten Fragen Antworten und Lösungen finden. Sie wird Aufruf sein zum Weiterdenken, zum Brückenbauen und zum Ausprobieren anderer Möglichkeiten, um der Kirche und ihrem Auftrag zunächst in den Gemeinden in Amazonien eine gute Zukunft zu erhalten.
Nicht zu unterschätzen ist bei dieser Synode die große Unterstützung für den notwendigen sozial-ökologischen Wandel der Weltgesellschaft. Der Potsdamer Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber hat in Rom eindringlich vor den Folgen mangelnden Handelns im Kampf gegen die Erderwärmung gewarnt. Eine Erhöhung der Abholzraten würde das Risiko erhöhen, dass der Amazonasregenwald großflächig abstirbt und damit den globalen Klimawandel verstärkt. Dieser Wald habe Bedeutung für den gesamten Planeten und sei ein Stabilitätsfaktor für das Weltklima. Werde weiterhin lediglich zaghaft gehandelt, würde es zu Kipppunkten im Erdsystem kommen – also zu schwerwiegenden und irreversiblen globalen Veränderungen.
Die Bewohner Amazoniens appellieren an eine persönliche und gemeinschaftliche Umkehr, etwa indem universale Rechte der Natur definiert und gesetzlich verankert werden. Umweltrechte und Menschenrechte stehen über wirtschaftlichen Kriterien. Die Kirche steht in der Verantwortung, diese Prozesse maßgeblich mitzugestalten und will Bündnispartnerin auf diesem Wege sein. Sie ist gewillt, die kulturelle Pluralität der verschiedensten Völker nicht nur zu respektieren, sondern diese als Reichtum einzubringen und sich als Lernende zu verstehen. Die Apostelgeschichte, Kapitel 15, kann uns als Narrativ dienen, wie verschiedene Völker mit ihren Traditionen in Vielfalt miteinander leben und dabei ihre individuellen Kulturen und Eigenheiten pflegen können.
Solche neuen Wege sind gemeint, wenn wir die Beschlüsse der Amazonien-Synode nicht nur auf dem Papier stehen lassen. Sie bedeuten, dass die deutsche Kirche im Rahmen ihres "synodalen Weges" sozial-ökologische Fragen mitberücksichtigen muss. Sie sollten bedeuten, dass wir das, was Frauen in aller Welt in Kirche und Gesellschaft leisten, mehr anerkennen, auch institutionell und in alldem, was zur Aufrechterhaltung einer pastoralen Präsenz in Gemeinden in Lateinamerika längst geschieht, zum Beispiel in der Gemeindeleitung durch Frauen.
Im Amazonien-Gebiet will die Kirche den Indigenen, Flussanrainern, Migranten, Quilombolas und anderen Bewohnern Bündnispartnerin sein, um deren Identität zu stärken und deren Lebensräume schützen zu können, damit Dialogräume entstehen, sich alle Beteiligten stärker vernetzen und ihre Territorien bewahren können. Darauf haben sie rechtlichen Anspruch, der immer wieder in Frage gestellt oder gewaltsam missachtet wird.
Wir haben eine Synode des Aufbruchs erlebt. An ihrem Ende steht ein Dokument des Neuanfangs einer Kirche, die in ihren bisherigen Strukturen längst erstarrt zu sein schien. Verantwortlich dafür ist der frische Rückenwind aus Amazonien, der uns Synoden-Teilnehmer getrieben und getragen hat. Ganz praktisch, wenn uns Indigene und andere engagierte Christinnen und Christen mit ihren Liedern und Gebeten auf dem Weg in die Synodenaula begleitet haben.
Der entscheidende theoretische Anstoß war die Idee, neue Formen der Zusammenarbeit durch das Amazonas-Netzwerk REPAM (Red Eclesial PanAmazonico) zu versuchen. Unsere Werke Adveniat und MISEREOR gehen seit der Gründung von REPAM 2014 diesen Weg an der Seite der Kirchen der neun Amazonas-Anrainerstaaten, zahlreicher indigener Organisationen und internationaler Initiativen mit. Papst Franziskus und Mitarbeiter der Kurie haben mit REPAM die Amazonien-Synode vorbereitet, um der weltweiten sozial-ökologische Krise mit neuen Wegen für eine ganzheitliche Ökologie und für die Kirche zu begegnen.
Die lateinamerikanischen Bischöfe haben sich bereits anstecken lassen. Auf der Synode hat der Präsident des Rates der Lateinamerikanischen Bischofskonferenzen CELAM, Erzbischof Miguel Cabrejos Vidarte von Trujillo/Peru, klar gemacht: Die 60 Jahre alten verkrusteten Strukturen sind nicht mehr zeitgemäß. In Netzen organisiert wollen Lateinamerikas Bischöfe künftig nach dem Vorbild von REPAM auf die gesellschaftlichen, kirchlichen und geistigen Herausforderungen reagieren.
Es ist Zeit, auch bei uns alte Zöpfe abzuschneiden. Wir brauchen ein kirchliches europäisches Netzwerk, das die Option für die Armen, für die Jugend und für die Schöpfung auch für unseren Kontinent durchbuchstabiert. In einer Phase, in der in Europa nationalistische Kräfte die Erderwärmung und den menschengemachten Klimawandel leugnen und gleichzeitig die Kirchen als Verbündete in einem vermeintlichen Kampf gegen den Untergang des christlichen Abendlandes missbrauchen wollen, ist es höchste Zeit für ein kirchliches Bekenntnis zu Europa. In einem europäischen Netzwerk können wir gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und Wissenschaftlern für unseren Kontinent und den Planeten zeitgemäße Antworten auf die globale sozial-ökologische Krise suchen und finden.