Bei "Theologie am Fass" geht es um Glaube, Bier und Poetry

Damit der liebe Gott nicht mehr auf dem Abstellgleis steht

Veröffentlicht am 01.11.2019 um 12:31 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wer spricht ab Sonntagnachmittag noch über Gott? Wenn sich junge Menschen über ihren Glauben austauschen wollen, fehlt oft die Möglichkeit dazu. Die Veranstaltung "Theologie am Fass" aus dem Bistum Fulda will das ändern – aber nicht mit theologischen Vorträgen.

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Außerhalb der Messe sprechen immer weniger Menschen über ihren Glauben, insbesondere junge Christinnen und Christen finden kaum Anlässe für Austausch. "Man geht nach dem Gottesdienst aus der Kirche und der liebe Gott steht bis nächsten Sonntag auf dem Abstellgleis", beschreibt es Kaplan André Lemmer aus Gelnhausen im Bistum Fulda. Deshalb rief er zusammen mit dem evangelischen Kaplan Philipp Ruess und weiteren Mitstreitern die Veranstaltungsreihe "Theologie am Fass – Gott, Bier und Poetry" ins Leben. Hier wird über Gott und die eigene Glaubenswelt gesprochen – allerdings als Poetry-Slam, also mit selbstgeschriebenen lyrischen oder literarischen Texten. Im katholisch.de-Interview sprechen Kaplan Lemmer und die Gemeindeassistentin und Mit-Slammerin Ayleen Nüchter über das Format, das gerade mit dem "Preis für pastorale Innovation" des Bistums Fulda ausgezeichnet worden ist.

Frage: Herr Lemmer, Frau Nüchter, Kneipenabende, bei denen über theologische Themen gesprochen wird, gibt es viele. Warum machen Sie Poetry-Slam und keine Vorträge?

Lemmer: Wir haben uns gefragt: Was bekommen die Menschen in den christlichen Kirchen besonders viel? Und das waren Vorträge. Theologische Vorträge sind natürlich gut und wichtig. Wir wollten aber etwas, das nicht immer die gleiche Zielgruppe anspricht. Wir möchten Menschen niederschwellig erreichen. Da liegt das Format Poetry-Slam nah, weil es kein halbstündiger Expertenvortrag ist. Stattdessen spricht ein Mensch für fünf bis sechs Minuten einfach über seinen Glauben.

Nüchter: Außerdem können sich die Menschen untereinander unterhalten, das wirkt einem Vortragscharakter zusätzlich noch entgegen. An einem Abend gibt es vier bis fünf Acts, ein- und ausgeleitet mit Musik. Nach jedem Act gibt es circa zehn Minuten Gesprächspause. Da können sich die Menschen an den Tischen über den Slam austauschen oder sich einfach unterhalten. Die Texte sind als Inspiration gedacht, um selber zum Nachdenken zu kommen.

Frage: Gibt es bei "Theologie am Fass" denn auch einen Wettkampf mit Publikumsentscheid wie bei "säkularen" Poetry-Slams?

Nüchter: Nein, uns geht es weniger um Wettkampf, als um unterschiedliche Eindrücke, die man durch die verschiedenen Beiträge bekommen kann. Es ist von uns gewollt, dass jeder Slammer seinen Text auf seine Art vortragen kann.

Lemmer: Wir wollen nicht den küren, der am besten über Gott geredet hat. Wir wollen den Menschen Mut machen. Damit sie verstehen, dass sie auch selbst sprachfähig sind. Beim zweiten Abend gab es eine offene Bühne. Wir haben uns gesagt: Wenn sich nur einer traut während des Abends einen eigenen Beitrag zu schreiben und ihn auch noch vorzutragen, dann haben wir schon gewonnen. Nachher waren es fünf Leute. Das hat uns fast den Abend gesprengt.

Frage: Poetry-Slam-Beiträge sind ja häufig kunstvolle Texte. Wie läuft das, wenn man sich da spontan hinsetzt und was schreibt?

Lemmer: Wir haben den Menschen am Anfang des Abends gesagt, wer sich inspiriert fühlt, der kann schreiben. Dazu war zwischen den Auftritten Zeit. Das Schöne beim Poetry-Slam ist, dass es keine großen Regeln gibt. Die Texte waren nicht alle sechs Minuten lang. Aber sie waren doch alle zwei bis drei Minuten lang. Und sie waren vor allen Dingen tief.

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Frage: Worüber haben die Menschen gesprochen?

Nüchter: Die Menschen haben die Situation genutzt, um sich über ihren Glauben Gedanken zu machen. Es waren positive Beiträge dabei, bei denen wir gemerkt haben, dass Menschen hier sitzen, weil sie etwas bewegt, weil sie etwas an Kirche schätzen.

Lemmer: Es ging um ihre Beziehung mit Gott. Wie sie mit diesem Gott ins Gespräch kommen. Zwei Texte, die mich sehr bewegt haben, fragten: Warum bin ich eigentlich noch in der Kirche?

Frage: Das klingt nach kritischen Themen.

Lemmer: Ja, eindeutig. Zur Realität meines Christ-Seins in der Kirche gehört nicht immer nur das Schöne, sondern auch das woran wir leiden. Das Gute an diesem Abend ist, dass wir hier abseits von Fake News und Hasskommentaren unseren Emotionen Ausdruck verleihen können. Die große Stärke der Slam-Texte und Gedichte ist, dass wir alles ansprechen dürfen und geschützt darüber reden können.

Nüchter: Das ist für Menschen auch eine Inspiration. Dass sie sehen, dass die Menschen da auf der Bühne die Wahrheit nicht gepachtet haben oder felsenfest im Glauben stehen. Sondern dass sie auch ihre Fragen und ihre Zweifel haben.

Frage: Wer stellt sich auf Ihre Bühne und spricht über seinen Glauben?

Lemmer: Wir haben im Moment ein festes Slammer-Team, das aus zwei Gemeindeassistentinnen, einem evangelischen und zwei katholischen Theologen besteht. Abgesehen von einer der Gemeindeassistentinnen hatte von uns noch nie jemand was mit Poetry-Slams am Hut.

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Frage: Also sind es die Mitglieder ihres Teams gewohnt, über Gott zu sprechen, nur nicht in diesem Format?

Lemmer: Genau. Allerdings versuchen wir in unseren Texten keine theologischen Fachwörter zu verwenden und auf große theologische Sprünge zu verzichten. Ich glaube die Stärke unserer Texte liegt darin, dass wir eine einfache und verstehbare Sprache wählen. Und wir haben ja gesehen, dass das Menschen inspiriert hat. Als Zuschauer einfach mal so nach vorne zu gehen und einen eigenen Text vorzutragen, da gehört ein bisschen mehr Mut zu als als studierter Theologe einen Reim über Gott zu finden.

Frage: Wie sieht das Publikum bei Ihnen aus?

Lemmer: Wir hatten dieses Jahr erst zwei Termine, aber wir konnten schon Folgendes feststellen: Beim ersten Mal hat die persönliche Ansprache im Gottesdienst gezählt. Es kamen viele ältere Menschen, das klassische Kirchenklientel. Doch schon am zweiten Abend war das Publikum viel jünger. Da hatte die Mund-zu-Mund-Propaganda eingesetzt.

Frage: Wie soll es im nächsten Jahr weitergehen?

Lemmer: Wir planen jetzt zusätzlich zu den vier Terminen in Gelnhausen selbst, acht Termine in anderen Pfarreien anzubieten. Dazu können uns Gemeinden einladen und wir machen unseren Slam vor Ort. So wollen wir mehr Menschen erreichen.

Von Cornelius Stiegemann