Wie der Glaube in der Familie weitergegeben werden kann
Schon seit Jahren wird in der katholischen Kirche an jeder Ecke von "Evangelisierung" gesprochen – auch und vor allem von Papst Franziskus. Der Ort, wo diese Begegnung mit dem Evangelium stattfinden soll, ist für den Pontifex klar: Die Familie. "Dort wird der Glaube weitergegeben, nicht nur mit Worten, sondern mit Liebe, mit Liebkosungen, mit Zärtlichkeit", so Franziskus im Mai 2018 in einer Frühmesse im vatikanischen Gästehaus "Domus Sanctae Marthae". Doch in der Praxis scheint das nicht immer zu gelingen: "Die Soziologen stehen vor einem Rätsel, warum sich der Nachwuchs selbst in hochreligiösen, erzieherisch vorbildlichen christlichen Familien rasant von der Kirche entfernt." Das war im Oktober im Leitartikel der Zeitschrift "Christ in der Gegenwart" zu lesen.
Wie Glaube und Religiosität in Familien weitergegeben wird, ist ein vielschichtiges, komplexes Feld, das für den deutschen Sprachraum noch recht unzulänglich erforscht ist. Deshalb widmet sich ein Forschungsprojekt des Münsteraner Exzellenzclusters "Religion und Politik" momentan diesem Thema. Ein wichtiger Baustein sind hier die großen gesellschaftlichen Trends der Postmoderne, wie die abnehmende Bindung zu den Kirchen. "Dass die Religiosität in den westlichen Gesellschaften von Generation zu Generation abnimmt, ist in der Forschung unumstritten", sagt die Religionssoziologin Christel Gärtner.
Die Bindungen lockern sich
In den 1960er Jahren wandte sich eine neue Generation gegen die bis dahin meist unhinterfragt vermittelten Dogmen und den Gehorsam gegenüber der Kirche. Eine größere Freiheit in der Familienplanung, in Lebens- und Familienformen entstand, auch abseits der kirchlichen Lehre. Andere Werte wurden in den Familien wichtiger. Das lässt sich etwa bei Familien beobachten, in denen die Elternteile unterschiedlichen Konfessionen angehören oder nur eines kirchlich gebunden ist. "Da die ganze Familie dann nicht gemeinsam in den Gottesdienst geht, rücken andere Aktivitäten in den Mittelpunkt, die die Familie als Gemeinschaft erlebt", sagt Gärtner. Das kann auch dazu führen, dass etwa ein religiöses Elternteil seine religiöse Bindung lockert und die Familie sonntagsmorgens lieber gemeinsam einen Ausflug macht, anstatt in die Kirche zu gehen.
Mit den gesellschaftlichen Umbrüchen hat sich auch das Erziehungsideal geändert. Kinder werden heute deutlich stärker als früher als individuelle Persönlichkeiten anerkannt, die ihre eigenen Talente entdecken und selbstbestimmte Entscheidungen treffen sollen. Die klassische kirchliche Sozialisation tritt da in den Hintergrund. Gleichzeitig ist aber heutzutage die in der Erziehung aufgebaute Beziehung zu den Eltern extrem wichtig. Wenn Eltern ihren Kindern einfach nur Glaubenssätze einhämmern und Wert auf die "strikte Beachtung der Regeln" legen, ist das für die Weitergabe des Glaubens eher hinderlich, schreibt der US-Soziologe Vern Bengtson, der über Jahrzehnte die Weitergabe von Religiosität in Familien im Südwesten der USA beobachtet hat. "Ohne emotionale Bindung wird der Glaube so nicht weitergegeben." Je mehr Liebe und gegenseitige Unterstützung zwischen den Familienmitgliedern herrscht, desto eher sind die Kinder bereit, den Glauben ihrer Eltern weiterzutragen. Bei einem kühlen Verhältnis wenden sie sich eher davon ab. Eine wichtige Rolle im Familiengerüst können auch die Großeltern spielen, die die Erziehung der Eltern unterstützen oder selbst spirituelle Akzente setzen können. Gegen die Eltern funktioniert das aber nicht. Religiosität sprießt laut Bengtson aus der Freiheit: "Wer den Kindern die Wahl lässt, kann sie zu religiöser Kontinuität anspornen."
Neben der persönlichen Beziehung müssen die Eltern aber auch authentisch sein: Wer nur von der Kirche redet, aber nie hingeht, wird Kinder nicht zum Nachmachen anregen. Denn sie haben ein feines Gespür dafür, was den Eltern wirklich wichtig ist. Leere Worthülsen treffen bei ihnen auf taube Ohren.
Großer Einfluss durch Umfeld
Abseits der intimen Familiensphäre spielt aber auch das Umfeld eine große Rolle. "Wenn eine Familie in eine Gemeinde eingebunden ist, wirkt sich das auf die Weitergabe positiv aus", sagt Christel Gärtner. Gleiches gilt etwa für den Kommunion- oder Konfirmandenunterricht. Durch eine gelebte religiöse Praxis, das Erleben einer Gemeinschaft oder durch karitative Aktivitäten können so Impulse gesetzt werden, betont die Religionssoziologin. Das kann die Erziehung zu Hause ergänzen, ersetzen kann sie sie nur schwer. Etwas anders sieht es beim Religionsunterricht in der Schule aus: Ein authentischer Lehrer kann viel vermitteln, doch auf einer anderen Ebene. In der Schule steht statt religiöser Praxis Wissensvermittlung auf dem Plan. "Hier können vor allem Jugendliche ihre existenziellen Fragen stellen und sich selbst im Licht der Welt reflektieren – und das auch als Gewinn erfahren." Da aber hier die persönliche Beziehung nicht so ausgeprägt ist, kann die Schule die Glaubenserziehung zu Hause nicht ganz übernehmen – auch wenn sich Eltern manchmal zu sehr darauf verlassen.
Einfluss hat auch die gesellschaftliche Stimmung dem Glauben gegenüber: Besonders in Europa gingen die 68er gegen die Verzahnung von Staat und Kirche vor und vertraten zum Teil sehr säkularistische Positionen. Da Staat und Religion etwa in den USA stets voneinander getrennt waren, war dort die Kirche auch nie so im Zentrum der Kritik wie hierzulande. Deshalb lassen sich die Ergebnisse von Forschern wie Vern Bengtson auch nur sehr bedingt auf die Verhältnisse in Europa übertragen. Das Team in Münster will sich dieser Aufgabe widmen.
Wovon hängt es ab, ob es der Glaube in die nächste Generation schafft? Dazu wird Christel Gärtner in den nächsten Jahren viele Familien untersuchen und viele Menschen befragen. Was ihr jetzt schon klar ist: Selbst wenn der Glaube weitergegeben wird, heißt das nicht, dass aus den Kindern von Kirchgängern wiederum begeisterte Gottesdienstbesucher werden. "Die nachfolgende Generation glaubt nicht genauso, sie versteht und lebt Glaube immer anders als die Eltern." Womit wieder der große Trend der sinkenden Kirchenbindung zum Tragen kommt. Die Kinder glauben weiter, brauchen dafür aber nicht mehr unbedingt die Kirche. Den Glauben weiterzugeben kann also gelingen – mit Leben gefüllt wird er aber immer anders.