Geistlicher beobachtet Mangel an Zivilcourage

Rabbiner warnt vor Vertrauensverlust von Juden in deutsche Politik

Veröffentlicht am 02.11.2019 um 15:45 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Viele Menschen wollten Toleranz, seien für ein jüdisches Leben in Deutschland - aber sie stünden zu wenig dafür ein. Das beklagt der Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal. Er hatte Antisemitismus kürzlich am eigenen Leib erfahren.

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Der Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal warnt vor einem sinkenden Vertrauen von Juden in die deutsche Politik. Er unterhalte sich oft mit Politikern, "die dies und jenes nicht in Ordnung finden. Aber sie tun trotzdem nichts", sagte Teichtal im Interview der "Welt" (Samstag). Dadurch sinke das Vertrauen. Er forderte die Politik auf, Gesetze so zu gestalten, dass sich die Menschen vom Rechtsstaat auch tatsächlich geschützt fühlten.

In der Schule ansetzen

Politiker könnten darüber hinaus mehr im Bildungsbereich tun. Viele Lehrer wüssten nicht, wie sie mit Antisemitismus an der Schule umgehen sollten, sagte Teichtal: "Wir sollten Lehrende auf allen Ebenen - an Schulen, Hochschulen, Universitäten - befähigen, Zeichen zu setzen". Sie müssten zum Beispiel erkennen können, dass ein Schüler unter Diskriminierung leide. Wichtig sei Prävention, denn bei Kindern könne man noch viel bewirken. Bildung müsse allerdings auch mit "persönlicher Verantwortung" einhergehen.

Bild: ©dpa/Soeren Stache

Rabbiner Yehuda Teichtal

Oft fehle es in der Gesellschaft an Zivilcourage, beklagte der Rabbiner. "Die Mehrheit will Toleranz, sie will ein jüdisches Leben in Deutschland. Aber die Frage ist, ob die Menschen bereit sind, in dem Moment, wo es darauf ankommt, aufzustehen." Antisemitismus habe in Deutschland immer geschwelt. In den vergangenen Jahren sei er auch wegen des Aufstiegs der AfD und der Zuwanderung aus muslimischen Ländern wieder offen zutage getreten.

Der Rabbiner war selbst Ende Juli auf Arabisch antisemitisch beschimpft und bespuckt worden war. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen die Ermittlungen eingestellt, weil die Täter nicht eindeutig zu identifizieren waren. (gho/KNA/epd)