Hallermann: Gemeinden werden zu sehr wie Unternehmen betrachtet
Die Nachricht kam prompt: Kurz nachdem im Bistum Trier die ersten Dekrete für Pfarrauflösungen und Neugründungen im Rahmen der Bistumsreform verschickt wurden, setzte der Vatikan die Umsetzung der Maßnahmen vorerst aus. Grund war unter anderem die Beschwerde einer Priestergruppe bei der Kleruskongregation. Darüber sprach katholisch.de mit dem emeritierten Würzburger Kirchenrechtler Heribert Hallermann.
Frage: Herr Hallermann, welche Rechtsgrundlage hat eine solche Beschwerde?
Hallermann: Jeder Gläubige, der durch eine Entscheidung seines Bischofs seine Rechte verletzt sieht, kann den hierarchischen Rekurs einlegen: Zunächst muss er den Bischof auffordern, die betreffende Entscheidung zurückzunehmen und das zu begründen. Wenn der Bischof dem nicht nachkommt, kann sich ein Gläubiger an die höhere Autorität wenden, in diesem Fall die Kleruskongregation. Nach der apostolischen Konstitution "Pastor bonus" ist sie für alle Fragen der Seelsorge zuständig. Dieser Rekurs ist ein Instrument, damit die Gläubigen ihre Rechte wahren können.
Frage: Welche Gründe können so entscheidend sein, dass der Vatikan derart in das Selbstbestimmungsrecht einer Diözese eingreift?
Hallermann: Zum einen hat ein Bischof in einem hohen Maße Recht und Pflicht, die pastorale Struktur in seinem Bistum zu ordnen (Can. 515 §2 CIC). Der Oberhirte kann aber nicht nach Lust und Laune Pfarreien errichten, aufheben oder zusammenfügen. Er ist an das ganz entscheidende Kriterium der "Verwirklichung der pfarrlichen Hirtensorge" gebunden (Can. 374 CIC). Es fällt grundsätzlich auf, dass in sehr vielen Diözesen zwar Geld- oder Priestermangel als Gründe für eine Reorganisation genannt werden, die pfarrliche Hirtensorge aber kaum eine Rolle spielt. Das erweckt schon den Anschein, als ob diese Großpfarreien im wesentlichen Wirtschaftsunternehmen wären. Im Erzbistum Freiburg beispielsweise werden in einem Arbeitsdokument Großpfarreien ganz klar mit einem mittelständischen Unternehmen verglichen. Das ist ein anderes Bild von Pfarrei, als es das Kirchenrecht will. Zudem können sich Pfarrer durch eine Reorganisation in ihren Rechten beeinträchtigt fühlen, wenn bei einer solchen rabiaten Verringerung der Anzahl der Pfarreien die meisten von ihnen ihr Pfarramt verlieren und als Pfarrvikare weiterarbeiten.
Frage: Im Brief aus Rom ist vom kirchlichen Leben und dem Heil der Seelen die Rede ...
Hallermann: Das Heil der Seelen ist das oberste Ziel der kirchlichen Rechtsordnung (Can. 1752 CIC). Es geht bei allen Organisationsmaßnahmen in einer Diözese maßgeblich um die Verwirklichung der Hirtensorge. In der kirchenrechtlichen Definition der Hirtensorge wird sehr deutlich, dass die Aufgaben der Hirtensorge (Cann. 528-529 CIC) nur im engen Zusammenwirken zwischen dem Pfarrer und den Gläubigen verwirklicht werden können. Dieser Rechtsanspruch der Gläubigen soll geschützt werden.
Frage: Doch selbst, wenn die Pfarreien im Bistum Trier jetzt größer werden, sind sie doch etwas verglichen mit den Strukturen am Amazonas immer noch winzig.
Hallermann: Wir sprechen hier keinesfalls von winzigen Pfarreien, sondern von Einheiten mit 15.000 bis 100.000 Gläubigen. Das ist enorm. Die Sorge vieler Gläubiger ist offensichtlich, dass sie in der Anonymität eines großen Raumes verlorengehen. Natürlich kann man auf andere Gegenden in der Welt hinweisen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass dieser Reorganisationsprozess für die Menschen im Bistum Trier etwas Neues, zum Teil bedrohlich Neues bringt und sie Angst haben, mit ihren Interessen und Ansprüchen auf der Strecke zu bleiben.
Frage: Konkret beschwert hat sich unter anderem die Priestergruppe "Unio Apostolica". Was wiegt für den Vatikan denn schwerer: Die Hirtensorge oder die "Entmachtung" der Pfarrer?
Hallermann: Ich weiß aus Gesprächen im Vatikan, dass beide Argumente entscheidend wichtig sind.
Frage: Könnte es sein, dass die Strukturreformen unterschiedlicher Bistümer durch Beschwerden massenweise zu Fall kommen?
Hallermann: Damit so eine Beschwerde überhaupt greifen kann, muss es einen Gegenstand geben, auf den man sich bezieht. Im Bistum Trier gab es die Diözesansynode und entsprechende Gesetzgebungen. In anderen Diözesen werden auf pastoralem Weg ohne besondere Gesetze einzelne Pfarreien fusioniert – das sind Prozesse, die man rechtlich nicht einordnen kann. Deshalb könnte man das nicht zum Gegenstand einer Beschwerde machen.
Frage: Wie geht es im konkreten Fall des Bistum Trier jetzt weiter?
Hallermann: Dem Trierer Bischof Stephan Ackermann hat man die Beschwerde jetzt zur Kenntnis gebracht – damit ist der Fall nun öffentlich. Der Bischof ist jetzt aufgefordert, zu dieser Beschwerde Stellung zu nehmen und dabei möglichst auf die Hinweise des Briefes der Kleruskongregation einzugehen. Gleichzeitig läuft unabhängig davon beim Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte eine Konformitätsklage. Dort muss also geprüft werden, ob dieses Diözesangesetz zur Umsetzung der Synodenergebnisse mit dem universalkirchlichen Recht konform ist.
Frage: Werden dadurch die Reformen im Bistum Trier bald Geschichte sein?
Hallermann: Das glaube ich nicht. Es wird möglicherweise notwendig sein, das ein oder andere zu verdeutlichen oder zu erklären, wie berechtigten Bedenken Rechnung getragen wird. Da werden viele Gespräche notwendig sein. Gerade die Tatsache, dass es zu solchen Beschwerden kommt, zeigt, dass es trotz aller Bemühungen im Bistum Trier offensichtlich einen ganzen Teil von Leuten gibt, die sich nicht mitgenommen fühlen.