Das war die Papstreise nach Thailand und Japan
Hiroshima - hier war "Ground Zero". Exakt 600 Meter über den Köpfen der Menschen auf dem Platz wurde damals - am 6. August 1945 um 8.16.02 Uhr - das Inferno entfesselt. Innerhalb einer Sekunde hatte die Bombe 80 Prozent der Innenstadt komplett zerstört und ihre Hitzewelle noch in zehn Kilometern Entfernung Feuer entzündet. An diesem Sonntagabend, dem 24. November 2019, liegt Stille über dem spärlich erleuchteten Platz.
Gesichter auf doppelte Größe angeschwollen
Der Himmel ist schwarz. Durch das tunnelförmige Mahnmal für die Opfer ist im Hintergrund das Kuppelgerippe der ehemaligen Industrie- und Handelskammer von Hiroshima zu sehen. Eines der wenigen Gebäude, die der Druckwelle standhielten. Es ist still. Eine Glocke schlägt. "Da gingen Menschen nebeneinander wie Gespenster", erzählt Yoshiko Kajimoto, die damals 14 Jahre alt war, "Menschen, deren ganzer Körper so verbrannt war, dass man nicht mehr sagen konnte, ob Männer oder Frauen. Ihre Haare standen zu Berge, ihre Gesichter auf doppelte Größe angeschwollen, die Lippen hingen lose herunter und von ihren ausgestreckten Händen hing die Haut in Fetzen herunter."
"Hier", so formuliert anschließend der Papst, wurde "in einem Augenblick alles von einem schwarzen Loch aus Zerstörung und Tod verschlungen." Franziskus ist nach Japan vor allem auch deshalb gekommen, um der Absage an Nuklearwaffen Nachdruck zu verleihen. Einige versetzte dies in Sorge. So hatten Vertreter von Atommächten, insbesondere Frankreichs, mehrfach versucht, im Vatikan eine Aufweichung der Formulierungen in den Papstansprachen zu erreichen. Vergebens. "Ebenso unmoralisch ist der Besitz von Atomwaffen. Wir werden darüber gerichtet werden", erklärt der Papst.
Am Tag nach Franziskus' Anti-Atomwaffen-Reden in Nagasaki und Hiroshima bringt die "Japan-Times" neben einem ausführlichen Bericht auf Seite 1 auch eine Analyse, warum es Nordkorea im Gegensatz zu anderen gelungen ist, (sehr wahrscheinlich) zu einer Atommacht zu werden. Als einen von mehreren Faktoren für Nordkoreas fragwürdigen Erfolg nennt der Autor "überentschlossene Beharrlichkeit".
Eine solche braucht es, wenn wahr werden soll, was im Friedenspark von Hiroshima geschrieben steht: Dass hier die ewige Flamme brennen soll, bis "der Tag kommt, an dem alle Atomwaffen von der Erde verschwunden sind". "Wenn wir tatsächlich eine gerechtere und sicherere Gesellschaft aufbauen wollen, müssen wir die Waffen aus unseren Händen legen" und das Geld in nachhaltige Projekte wie die UN-Entwicklungsziele 2030 stecken, fordert der Papst. Dialog sei die "einzige Waffe, die des Menschen würdig ist und einen dauerhaften Frieden gewährleisten kann", sagt er am Montagabend am Sitz des japanischen Regierungschefs Shinzo Abe. Eine aktuelle Mahnung angesichts zunehmend nationalistischer wie isolationistischer Tendenzen, die auch in Ostasien um sich greifen.
Auch andernorts auf seiner Asienreise wirbt Franziskus für Multilateralismus und Solidarität und beklagt eine "Kultur der Gleichgültigkeit". Die Zeiten seien vorbei, in denen Abschottung zur Lösung von Konflikten habe dienen können, erteilt er bei einem interreligiösen Treffen in Bangkok protektionistischem Denken eine Absage. Auch unter den Religionen seien gegenseitige Anerkennung und Zusammenarbeit "für die heutige Menschheit dringender denn je".
Überraschend deutlich - auf jeden Fall für asiatische Gepflogenheiten - wurde Franziskus gleich zu Beginn in Thailand. Ethnische Konflikte, Menschenhandel, Migration, Korruption, Prostitution, Ausbeutung, Umweltzerstörung - all diese für jedes Gastland unangenehmen Themen schneidet er an. Weniger, indem er fordert, sondern indem er entsprechende Gegenmaßnahmen lobt und um Fortsetzung bittet. Verstanden werden diese Hinweise wohl, inwieweit man ihnen folgt, ist etwas anderes. Thailands Regierungschef General Prayut Chan-o-cha wie Japans Abe scheinen sich durchaus im Glanz von Franziskus' moralischer Autorität sonnen zu wollen.
Prostitution und Sextourismus, mit denen westliche Klischees Thailand fast ausschließlich assoziieren, spricht er behutsam an: indirekter vor Politikern und Diplomaten, deutlich in seiner Predigt in Bangkoks Nationalstadion. Zu den wahren Geschwistern Jesu, so der Papst, gehörten auch die "Jungen, Mädchen und Frauen, die der Prostitution und dem Menschenhandel ausgesetzt sind". Sie alle "sind unsere Mütter, unsere Brüder und Schwestern".
Seine 32. Auslandsreise mit erst sechs, dann acht Stunden Zeitverschiebung, geht an dem fast 83-jährigen Pontifex nicht spurlos vorüber. Mitunter hinkt er auffälliger als sonst, quält sich aus dem Fond des Autos, wirkt müde. Sobald er aber vor Jugendlichen spricht, ist Franziskus verjüngt.
Linktipp: Papst prangert in Thailand Sextourismus und Kinderprostitution an
Direkt zu Beginn seiner Thailand-Reise fand Papst Franziskus deutliche Worte und prangerte den Sextourismus in dem asiatischen Land an. Auch traf er mit dem obersten Vertreter der Buddhisten zusammen – und will eine Zusammenarbeit.In Tokios Kathedrale, wo er den bereitgestellten weißen Papstsessel verschmäht, wird Franziskus sehr konkret und ermutigt etwa Mobbing-Opfer, gegen ihre Peiniger aufzustehen. Man müsse lernen zu sagen: "Es reicht! Das ist eine Seuche." Einem spanisch sprechenden Migranten sagt der Papst spontan: "Leonardo, wenn dich einer als 'fett' mobbt, sag' ihm: dünn ist weniger gesund." Auf die päpstliche Zwischenfrage, ob er sie langweile, schallt Franziskus ein lautes "Nein" entgegen.
Die Brüder und Schwestern stärken
Natürlich betreibt der Papst in Thailand und Japan auch seine grundlegende Aufgabe: Die Brüder und Schwestern zu stärken. So wirbt er nicht nur für ein Christentum lokaler Prägung mit eigenem Selbstbewusstsein, er fordert es geradezu. Das Thema Inkulturation, das vor gut vier Wochen die Amazonas-Synode prägte, setzt Franziskus in Fernost fort. Um dem Image einer "Religion der Ausländer" entgegenzutreten, müsse der christliche Glaube "ein thailändisches Gesicht und eine thailändische Gestalt" bekommen, fordert der Papst in Bangkok. Das Evangelium müsse "seine guten, aber ausländischen Kleider" ablegen. Es gelte, "nach neuen Symbolen und Bildern zu suchen", um andere für den Glauben zu interessieren.