Serie: Aus dem Priesterseminar – Teil 6

Zölibat: Warum viele Vorurteile falsch sind – und ich ihn leben will

Veröffentlicht am 04.12.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Im letzten Teil der katholisch.de-Serie beschäftigt sich Priesteramtskandidat Johannes Köhler mit dem Zölibat. Auch er kennt die vielen Bedenken und Vorurteile. Doch priesterliche Ehelosigkeit bedeute nicht nur Verzicht auf ausgelebte Sexualität. Sie ermögliche auch eine bestimmte Form von Freiheit.

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Kaum ein Thema interessiert Außenstehende so wie der Zölibat. Klar: "Sex sells". Immer wieder landen dann auch Anfragen dazu von den Medien im Seminar: Ob jemand bereit wäre dazu etwas zu sagen, lautet dann die Frage des Regens an die versammelte Seminargemeinschaft. Die schweigt darauf in der Regel gemeinschaftlich. Erstaunlich? Überhaupt nicht. Und auch nicht damit zu erklären, dass Seminaristen eben einfach verklemmt seien. Niemand möchte so Intimes in der Öffentlichkeit preisgeben – ob er nun verheiratet ist oder zölibatär lebt.

Dass Seminaristen öffentlich ungern über den Zölibat sprechen wollen, hat aber noch einen weiteren Grund. In der Regel wird in der Gesellschaft nicht (mehr) positiv oder einladend über den Zölibat gesprochen. Man erwartet so auch keine faire Betrachtung. Zumindest ich würde mich keiner Anfrage eines Journalisten stellen, wo sich schon im Vorfeld andeutet, wie der Artikel aussehen wird. Nämlich der nächste negative Beitrag zum "Pflichtzölibat", der Männer unnatürlicher Weise dazu zwingt, auf ihre Sexualität zu verzichten.

Man muss für diese Vorbehalte aber gar nicht so weit gehen. Auch im eigenen Umfeld wird letztlich meistens das Herausfordernde am Zölibat und nicht das Bereichernde betont. Schön ist das für einen als Kandidaten nicht, wenn zumindest die gefühlte Mehrheit mit der eigenen Lebensentscheidung nicht einverstanden ist. Einer großen Gruppe scheint der Zölibat wirklich ein Dorn im Auge. Einer größer werdenden Gruppe ist diese Lebensform aber auch einfach schlicht egal. Und für viele ist der Zölibat der Hauptgrund für Missbrauch durch Priester; ein Vorurteil, das längst widerlegt ist.

Johannes Köhler beim Kaffeetrinken
Bild: ©Hannah Falkenstein

Beim Kaffee tauscht sich Priesteramtskandidat Johannes Köhler mit einer Kommilitonin aus.

Ebenfalls ein weitverbreitetes Vorurteil ist, dass Sexualität in der Ausbildung tabuisiert oder zu wenig behandelt wird. Ich kann das jedenfalls nicht bestätigen. Im Gegenteil. Seit ich ins Priesterseminar gekommen bin, geht es immer wieder um dieses Thema. Schon im propädeutischen Vorkurs haben wir darüber gesprochen und auch in diversen anderen Formaten: Hausforen, Thematisches Wochenende oder geistliche Ausbildung. So haben wir uns auch in unserer Reflexionszeit Anfang des Jahres nochmal mit der Seelsorgestudie von 2015 befasst. Genauso wurde auch die MHG-Studie, die nicht zuletzt den "synodalen Weg" in Gang gesetzt hat, mehrfach thematisiert. Nachdem wir unser erstes Hausforum unter der Überschrift "Soziale und affektive Reife" hinter uns hatten, sagte ein Mitbruder sogar: "Ich habe noch nie so viel über Sexualität gesprochen wie hier im Seminar."

Aber es gibt noch ein Problem, wenn es um die Darstellung des Zölibats geht: Er wird auf die (nicht ausgelebte) Sexualität reduziert. Dass Zölibat als Ehelosigkeit "um des Himmelreiches Willen" aber mehr bedeutet als das "Problem", keinen Sex zu haben, wurde mir im Laufe der Ausbildung immer klarer. Daneben sind andere Aspekte mindestens genauso wichtig: die Frage danach, wie man dennoch intime, vertrauensvolle Beziehungen führen kann. Oder die Frage, wie man mit Einsamkeit umgeht.

Ausbildung verschweigt die Herausforderungen nicht

Über alle diese Aspekte und Fragen macht man sich Gedanken. In der Ausbildung werden einem die Herausforderungen des zölibatären Lebens nicht verschwiegen. In Gesprächen und Vorträgen geht es dabei nicht nur um Prävention, sondern auch den Umgang mit Einsamkeit, die Bedeutung von Freundschaften, die Fragen nach Orientierung und Präferenzen, nach Nähe und Distanz. Dafür kommen auch immer wieder Experten zu uns, um mit uns zu sprechen. 

Das Entscheidendste ist meiner Meinung nach aber nicht, wie viel ich über die Herausforderungen des Zölibats weiß. Wichtiger ist, dass ich mir die Frage stelle, warum ich mich für den Zölibat entscheide. Eine Frage, die vor allem in der geistlichen Ausbildung und Begleitung gestellt wird. Denn am Ende der Seminarausbildung soll die Lebensentscheidung für den Zölibat fallen. Oder eben nicht. Niemand zwingt einen dazu oder beeinflusst die Entscheidung in die eine oder andere Richtung.

Zwei Seminaristen gehen durch die Wandelhalle der Theologisch-Philosophischen Fakultät Sankt Georgen.
Bild: ©Hannah Falkenstein

Zwei Seminaristen gehen durch die Wandelhalle der Theologisch-Philosophischen Fakultät Sankt Georgen.

Lange war für mich einfach völlig klar und selbstverständlich, dass ein Priester zölibatär lebt. Und genauso selbstverständlich, dass es auch Seelsorger gibt, die das nicht tun. Schließlich sind meine Eltern selbst beide in der Seelsorge tätig. Dennoch bin ich nie auf die Idee gekommen, Pastoralreferent zu werden. Als mich mein damaliger Regens einmal dazu fragte, war ich vollkommen erstaunt. Ich würde sagen, dass es im Letzten eine Frage der eigenen Berufung ist.

Und dann ist es ganz einfach und selbstverständlich mit dem Zölibat? Ganz offensichtlich nicht. Es gibt immer wieder auch Studenten, die das Priesterseminar deswegen verlassen. Und manche von ihnen fühlen sich dennoch zum Priester berufen. Die Zeit im Priesterseminar ist ganz einfach eine Probezeit. Ganz allgemein kann ich aber sagen: Der Zölibat ist wie die Ehe eine Lebensentscheidung. Es ist zunächst mal ein Versprechen. Eine Garantie gibt es nicht. Es kommt dann auf den Versuch an, treu zu sein.

Priesterlicher Lebennstil muss sich auch sonst unterscheiden

Für mich geht es beim Zölibatsversprechen aber auch darum, anders leben zu wollen als ein Großteil der anderen, so dass die Menschen fragen: Was treibt dich dazu an? Natürlich darf es nicht nur bei der Ehelosigkeit bleiben. Der priesterliche Lebensstil muss sich auch sonst unterscheiden. Wer seinen Verzicht durch etwas anderes kompensiert, der verzichtet schließlich nicht wirklich. Dann gibt man aber kein Zeichen ab, sodass die Menschen nach der Hoffnung fragen, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15).

Der Zölibat muss also in einen Lebensstil eingebettet sein. Und zwar in einen, der den priesterlichen Dienst ganz durchscheinen lässt. Der Bereitschaft ausdrückt, Verfügbarkeit für andere. Der Zölibat ermöglicht diese Freiheit, sich für andere verfügbar zu machen. Es geht aber nicht darum völlig frei zu sein von menschlichen Bindungen und Beziehungen. Aber doch zumindest so frei, dass die erste Verantwortung demjenigen gilt, der gerade meine Hilfe braucht.

Seminaristen und Theologiestudenten bei einer morgendlichen Andacht in der Kapelle der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main.
Bild: ©Harald Oppitz/KNA

Für die Zeit nach dem Priesterseminar wünscht sich Johannes Köhler "eine Form echten Zusammenlebens mit anderen".

Die meisten Seminaristen wünschen sich aber eine Form der "vita communis", des Zusammenlebens. Einsamer Einzelkämpfer will niemand sein. Ich würde auch wirklich nicht sagen, dass ich einsam bin. Natürlich wird sich das verändern, wenn ich nicht mehr im Seminar wohne. Und ich würde mir auch später eine Form echten Zusammenlebens mit anderen wünschen. Auch habe ich Freundschaften und Gemeinschaften, die mich – hoffentlich – tragen können.

Zentral ist aber, dass sich der gesamte Dienst und das gesamte Leben von etwas anderem her tragen: nämlich von der Beziehung zu Christus. Für den priesterlichen Lebensstil ist sie entscheidend. Der Zölibat ist zudem Jesu Lebensstil gewesen: Er hatte keine Frau, kein Haus, war unabhängig von seiner Familie. Trotzdem war auch er nicht einsam. Er war immer im Kontakt mit den Menschen, war immer für sie da und hatte auch eine feste Gemeinschaft um sich. Aber er hat auch immer wieder die Einsamkeit gesucht, um zu beten. Und so sollten Priester meiner Meinung nach auch leben: aus dem Gebet heraus und für und mit den Menschen.

Von Johannes Köhler

Linktipp: Was sich bei der Priesterausbildung ändern muss – und was nicht

Als Seminarist macht sich Johannes Köhler auch Gedanken über den Priestermangel und Priesterausbildung. Die allgemeine Diskussion über dieses Thema laufe allerdings oft an den Kandidaten und den Priestern selbst vorbei, findet er. Mancher Meinungsbeitrag sei befremdlich – unter anderem von Seiten des BDKJ.