Stefan Vesper: "Wir sind nicht Zuschauer, sondern Mitspieler"
„Mit Ihrem Wechsel in den Ruhestand geht eine Ära zu Ende“, schrieb Kardinal Reinhard Marx Ende November in einem Brief zum Abschied von Stefan Vesper. In seiner Amtszeit hat der scheidende Generalsekretär erlebt, wie die Kirche durch die Missbrauchskrise immer weiter an Glaubwürdigkeit verloren hat. Große Hoffnungen setzt Vesper daher in den "synodalen Weg" – und hofft, dass sich vieles verändert.
Frage: Herr Vesper, Sie waren jetzt 20 Jahre Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und geben zum Ende des Jahres in den Ruhestand. Können Sie sich überhaupt noch ein Leben ohne ZdK vorstellen?
Vesper: Es hat ja zum Glück auch in den vergangenen 20 Jahren gelegentlich Wochenenden und Urlaub gegeben. Insofern: Ja, das kann ich mir vorstellen. Es wird aber natürlich schon eine Zäsur sein, weil mich die Dinge auch immer persönlich interessiert haben und ich meinen Job gerne gemacht habe. Aber ich bleibe auf jeden Fall katholisch und ich werde sehen, wo ich meinen Ort finde, um mich weiter zu engagieren.
Frage: Sie haben Ihren Rücktritt im vergangenen Jahr damit begründet, dass dies ein notwendiger Schritt für die Zukunft des ZdK sei. Warum ist das so?
Vesper: Wenn ich ganz normal Ende 2021 in Pension gegangen wäre, hätte es gleichzeitig einen Wechsel bei zwei wichtigen Positionen im ZdK gegeben: beim Präsidium und dem Generalsekretär. Und das in einer Zeit zwischen Ökumenischem Kirchentag und dem nächsten Katholikentag. Das wäre eine zu große Belastung für das ZdK geworden. Der einzige, der den Knoten auflösen konnte, war ich mit dieser Entscheidung, in den Ruhestand zu gehen – die ich dann gerne getroffen habe. Anfangs waren alle sehr betroffen und dagegen. Aber jeder, der einmal darüber geschlafen hatte, hat gesagt: Das ist eine kluge Entscheidung, so schwer sie auch ist.
Frage: Ist das ZdK ohne Sie jetzt besser dran?
Vesper: Das müssen andere beurteilen. Es ist für eine Institution auf jeden Fall gut, wenn nach so vielen Jahren in einem gewissen Stil jemand mit einem neuen Stil kommt, wenn es einen Wechsel, neue Impulse, neue Ideen und einen neuen Anfang gibt.
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Frage: Sie sind seit 1999 im Amt. Was hat sich aus Ihrer Sicht in der Zeit am meisten verändert?
Vesper: Am meisten verändert hat sich unsere Gesellschaft, das Tempo und die Informationsstrukturen. Hier muss das ZdK und muss der Katholizismus insgesamt mitkommen. Hier müssen die Arbeitsformen überdacht und neue Möglichkeiten und Mittel gefunden werden, um das zu tun, wofür wir da sind: kirchliche Anliegen in der Öffentlichkeit zu vertreten und die Politik mit unseren Überlegungen zu befruchten und zum Teil auch zu überzeugen.
Frage: Und was hat sich in der Kirche am meisten geändert?
Vesper: Natürlich hat sich in der Kirche auch ganz viel verändert. Wir haben mehrere Wellen tiefer Erschütterung in der Kirche erlebt, wodurch sich viele Menschen von uns abgewendet und die Kirche verlassen haben. Aber es gibt weiterhin viele stark engagierte Menschen in unserer Kirche mit einem großen Schatz an Ideen und Möglichkeiten. Insofern: Ja, es gibt große Probleme, aber wir sehen auch Chancen und Möglichkeiten für die Zukunft.
Frage: Auch die Zahl der Katholiken geht, zurück, der Einfluss der Kirche in der Gesellschaft nimmt ab. Merken Sie das auch beim ZdK?
Vesper: Ja. Ich habe mich allerdings nie daran orientiert, was abnimmt, sondern daran, wo Chancen bestehen und was gut läuft. Und da kann ich nur sagen, haben wir viele gute Initiativen durchgesetzt, zum Beispiel in der Schwangerschaftskonfliktberatung oder im Kampf gegen die Forschung mit embryonalen Stammzellen. Wir haben Aspekte in die Diskussion der Pflege und der Rente eingebracht, aber auch bei Klima- und ökologischen Fragen. Hier müsste der Einsatz der Katholiken vielleicht sogar noch mehr gebündelt und noch lauter werden, damit wir auch hier als Anwalt des Lebens wahrgenommen werden.
Frage: Die Rolle des ZdK muss sich also ändern?
Vesper: Wir sind nicht Zuschauer, sondern Mitspieler. Wir wollen nicht zuschauen, was geschieht und dann klagen, sondern uns als Katholiken aktiv einsetzen in der Gesellschaft, in der Politik, in Organisationen und Gewerkschaften. Unser Ort ist der Ort, wo Politik gemacht wird. Und das wollen wir aus christlicher Motivation, aus christlichem Geist heraus tun.
Frage: Sie sind ausgebildeter Theologe und haben Ihr ganzes Leben für die Kirche gearbeitet. Wird man da auch mal betriebsblind für die Sorgen der Menschen vor Ort?
Vesper: Nein. Ich glaube, jeder Christ ist vor Ort angebunden, durch den Gottesdienst und durch das Leben in der Gemeinde. Natürlich ist für mich unser Generalsekretariat zu einer eigenen Gemeinde geworden. Trotzdem sehen wir in unserem Umfeld einen erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust durch die Missbrauchskrise, die in ihrer ganzen Wucht noch immer nicht bei allen angekommen ist. Gerade deswegen müssen wir neue Wege finden, um wieder Glaubwürdigkeit zu bekommen. Darum ist auch der "synodale Weg" ein ganz wichtiger Vorgang, bei dem ich darauf setze, dass wir vieles beseitigen oder verändern können, was Menschen daran hindert, zu uns zu kommen.
Frage: Der "synodale Weg" ist jetzt gestartet. Hätten Sie Ihren Rücktritt auch beschlossen, wenn Sie damals gewusst hätten, dass dieser Reformprozess kommen wird?
Vesper: Das weiß ich nicht. Es gibt Entscheidungen, die man fällen muss und dann nicht mehr revidieren kann, weil sie auch strategisch zu wichtig sind. Jetzt ist der "synodale Weg" in der Tat erst nach meinem Rücktritt gekommen und es ist auch meine Aufgabe, eine gute Übergabe an meinen Nachfolger herzustellen. Was ich tun kann, werde ich auch weiter zum Gelingen des "synodalen Wegs" beitragen.
Frage: Bevor der Prozess begonnen hat, gab es ja schon Kritiker, die gesagt haben, Ihnen gingen die geplanten Reformen nicht weit genug – anderen wiederum gehen sie zu weit. Wer hat Recht?
Vesper: Wir sind auf einem Weg, der auf zwei Seiten Straßengräben hat. Die einen haben Angst, dass sich die Kirche verändert und meinen, sie muss immer bleiben, wie sie ist – sozusagen in Beton gegossen. Ich halte nichts von dieser Vorstellung. Auf der anderen Seite sagen die Menschen: Es wird sowieso nichts bringen und die Bischöfe werden dem nicht folgen. Auch von dieser Position halte ich nichts. Wir haben eine klare Abmachung mit der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und gemeinsam eine Satzung erarbeitet. Wir werden diesen Prozess jetzt beginnen und ich setze große Hoffnungen in diesen Weg.
Frage: Große Hoffnung in den "synodalen Weg" hat auch die Vizepräsidentin des ZdK, Karin Kortmann. Sie hat bei der Herbstvollversammlung gefordert, dass mindestens der Diakonat der Frau bei den Reformen herauskommen müsste, sonst wäre sie enttäuscht. Ist das überhaupt realistisch?
Vesper: Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, schon feste Erwartungen zu hegen, bevor wir überhaupt richtig begonnen haben. Jeder geht mit seinen Überlegungen und seinen Positionen hinein. Zu unserer Position gehört, dass die Geistesgaben der Frau nicht ausreichend in unserer Kirche berücksichtigt sind und deswegen setzen wir uns für den Diakonat der Frau ein. Das gilt auch für andere Themen, wo wir unsere Überzeugungen haben. Die hat natürlich auch die DBK und deswegen gehen wir gemeinsam einen Weg, um miteinander für die jetzige Zeit und dann auch die nächste Epoche des Lebens der katholischen Kirche in Deutschland als Teil einer großen und guten Weltkirche Lösungen für unsere Fragen zu finden.
Frage: Also sollte man nicht zu große Erwartungen im Vorfeld haben?
Vesper: Doch, man muss große Erwartungen haben, weil die Lage der Kirche in unserem Land von einer tiefen Vertrauenskrise geprägt ist. Und es muss uns alle die Erwartung einen, dass wir nach zwei Jahren, wenn dieser "synodale Weg" beendet ist, gemeinsam Reformen beschließen können. Nur so können wir den Glaubwürdigkeitsverlust in unserer Gesellschaft stoppen und wieder neues Vertrauen gewinnen. Deswegen müssen wir Erwartungen an diesen Weg haben. Sonst können wir es gleich lassen.