Vor 725 Jahren dankte der Eremit auf dem Stuhl Petri ab

Coelestin V. – Der "Vorgänger" von Papst Benedikt XVI.

Veröffentlicht am 16.12.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Papst Benedikt besucht den Sarkophag Papst Coelestins V. in Aquila.
Bild: © KNA

Rom ‐ Der Name Coelestins V. war nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. im Februar 2013 in aller Munde. Denn viele Gläubige erinnerten sich an Benedikts Geste am Sarg des Eremiten auf dem Stuhl Petri, der vor 725 Jahren freiwillig abgedankt hatte.

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Als sich Benedikt XVI. am 28. April 2009 in der Kirche Santa Maria di Collemaggio von seinem Sekretär Georg Gänswein sein Pallium reichen lässt und dieses auf dem Sarg Coelestins V. ablegt, denken sich Anwesende wenig dabei. Während Gänswein die päpstliche Stola noch in Form legt, weist Nunzio Spinelli, der Rektor der Kirche, den Gast aus Rom schon auf die massiven Erdbeben-Schäden im Gotteshaus hin.

Wie viele Gebäude in der Abruzzen-Hauptstadt L'Aquila war die Kirche von dem Erdbeben drei Wochen zuvor schwer getroffen; der gläserne Sarg mit dem Leichnam Coelestins blieb jedoch unversehrt. Im Februar 2013 wird sich Spinelli an die Szene mit der Stola erinnern: "Der Papst hatte das Pallium bei sich, das er bekam, als er gewählt wurde. Als wollte er sagen: Eines Tages werde ich das Gleiche machen" - soll heißen: zurücktreten.

Coelestin V. hatte schon als Eremit einen heiligmäßigen Ruf

Coelestin war in der Tat der letzte Papst, der vor Benedikt XVI. zurücktrat - unter ganz anderen Umständen. Pietro da Morrone war 85 Jahre alt, als König Karl II. von Neapel ihn 1294 in seiner Höhle in den Abruzzen besuchte. Den Gründer einer strengen Ordensgemeinschaft, der sich in die Berge zurückgezogen hatte, umgab ein heiligmäßiger Ruf.

Der Eremit, Sohn einer 14-köpfigen Bauernfamilie sollte das As in Karls Ärmel werden. Mit ihm wollte Karl II. von Anjou (1254-1309), französischer Herrscher in Neapel, ein zweijähriges Patt im Kardinalskollegium aufbrechen. Denn seit dem Tod von Nikolaus IV. 1292 rangen die rivalisierenden Kardinäle um den nächsten Papst. Vergebens.

Blick in eine zerstörte Kirche
Bild: ©KNA

Im April 2009 zerstörte ein Erdbeben die Stadt L'Aquila in der Region Abruzzen in Mittelitalien. Das Bild zeigt das eingestürzte Dach der Kirche Santa Maria di Collemaggio.

Also ging der König zum Eremiten und bat ihn, den Kardinälen einen geharnischten Brief zu schreiben: Sie sollten endlich einen Papst wählen, um Schaden von der Kirche abzuwenden. Der Eremit schrieb und fand Gehör - nur anders, als er dachte.

Am 5. Juli 1294 wählten die Kardinäle ihn zum Papst. Nach anfänglicher Weigerung nahm er an. Dem Vorbild Jesu gemäß ritt er auf einem Esel nach L'Aquila ein und wurde in der von ihm gegründeten Klosterkirche Santa Maria di Collemaggio zum Papst gekrönt. Als Namen wählte er Coelestin - der Himmlische.

Auf den "Papa angelicus" wurden große Hoffnungen gesetzt

Für viele im Land war dies ein Zeichen. Der "Papa angelicus" (Engelspapst), wie der fromme Eremit auf dem Stuhl Petri genannt wurde, sollte eine Voraussage erfüllen für ein neues Zeitalter, in dem die sündhafte Kirche sich bekehren und die Ungerechtigkeiten im Land beendet würden. In Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose" spielen diese Erwartungen eine wichtige Rolle.

"Damit stand ein Einsiedler, der 63 Jahre lang die Gesellschaft anderer Menschen systematisch gemieden hatte, an der Spitze eines ebenso umtriebigen wie intriganten Hofes, dessen Werte er nicht teilte, dessen juristische Bildung ihm fremd war und dessen verfeinertes Latein er wahrscheinlich kaum verstand", so der Historiker Volker Reinhard. Coelestin wurde zur Marionette im Ränkespiel der Kardinäle - und Karls II.

Mosaik von Papst Franziskus in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern in Rom.
Bild: ©katholisch.de

Das Mosaik des zurückgetretenen Papstes Benedikt XVI. in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern in Rom. Daneben das Porträt seines Nachfolgers Franziskus.

Um alle besser im Blick zu haben, nahm der König Papst und Kurie mit sich an den Hof in Neapel. Rom hat Coelestin nie betreten. Auch Kardinal Benedetto Caetani kümmerte sich um den überforderten Petrus-Nachfolger, weil er dessen Nachfolger werden wollte. Als Coelestin zögernd anfragte, ob ein Papst zurücktreten könne, lieferte Caetani bereitwillig fiktive Beispiele früherer Zeiten. Dabei war unstrittig, dass ein Papst aus Alters- oder Krankheitsgründen zurücktreten konnte.

Am 13. Dezember 1294, nach fünf Monaten im Amt, trat Coelestin V. zurück: wegen körperlicher Schwäche, fehlendem Herrschaftswissen und Sehnsucht nach dem Leben als Einsiedler. Er legte die Papstroben ab-, seine Mönchskutte an und nannte sich wieder Pietro da Morrone.

Benedikt XVI. besucht Coelestins Grab zweimal

Auf dem Weg nach Rom ließ Kardinal Caetani den Zurückgetretenen bewachen, um ein Schisma zu vermeiden. Pietro entkam jedoch. Monatelang wurde nach dem flüchtigen Ex-Papst gefahndet. Schließlich fand man ihn. So nahm Caetani, inzwischen Papst Bonifaz VIII. (1294-1303), seinen Vorgänger auf einer Festung bei Rom in Ehren- oder Schutzhaft - je nach Sicht. Dort starb Pietro am 19. Mai 1296 eines natürlichen Todes. 1326 wurde er in seine Kirche Santa Maria di Collemaggio umgebettet. Clemens V. sprach Pietro da Morrone, nicht Coelestin V. (!), 1313 heilig.

Als Benedikt XVI. Coelestins Grab im Juli 2010 ein zweites Mal besuchte, lobte er ihn als Vorbild für ein einfaches Leben in Stille. Seinen Amtsverzicht indes hat er selbst bislang nicht explizit mit ihm in Verbindung gebracht.

Von Roland Juchem (KNA)