Aus dem Dunkel zum Licht: Biblische Impulse zur Lichtmetaphorik
Jetzt, in der dunklen Jahreszeit, ist sie sehr groß, die Sehnsucht nach Licht. Gerade wenn es am Morgen sehr spät Tag wird und die Nacht schon am Nachmittag beginnt, schauen viele Menschen nach längeren und helleren Tagen aus. Die Dunkelheit schlägt sich mitunter sehr schnell aufs Gemüt nieder: Winterdepressionen und gedrückte Stimmung, aber auch einfach ein fehlender Antrieb und mangelnde Energie sind sehr häufig eng mit den Wintermonaten verbunden. Die ganze Schöpfung lebt vom Licht und auf das Licht hin. Sehr deutlich kommt das auch in den Gärten und auf den Feldern zum Ausdruck: Ohne wärmende Sonnenstrahlen kann nichts wachsen, bleiben Äcker und Beete leer. Erst im Frühjahr, wenn die Tage wieder länger werden und die Sonne hoch am Himmel strahlt, dann erst kommen die ersten Blüten zum Vorschein und das Leben beginnt von Neuem zu sprießen.
Nacht und Finsternis sind nichts, was den Menschen Freude macht. Vielmehr wächst gerade in den Monaten, in denen die Dunkelheit unausweichlich ist, die Sehnsucht nach dem, was diesem Dunkel ein Ende bereiten kann: Sehnsucht nach dem Licht. Nicht verwunderlich ist, dass das Winterhalbjahr seit alters her mit Bräuchen und Traditionen verbunden ist, die besonders das Licht in den Mittelpunkt stellen. Das Lichter anzünden auf den Gräbern an Allerheiligen und Allerseelen gehört ebenso dazu, wie die Laternenumzüge am Martinsfest oder das Entzünden der Adventskranzkerzen. Zuhöchst findet diese Sehnsucht nach Licht im Weihnachtsfest ihren Ausdruck: Inmitten der Finsternis der Lebensnacht strahlt der Stern von Betlehem am Himmel und zeigt den Weisen aus dem Osten den Weg zur Krippe, in der sie das wahre Licht der Welt finden. Die hell erleuchteten Straßen und Gassen in der Advents- und Weihnachtszeit, aber auch die Christbäume mit ihren vielen Lichtern sind ein Hinweis auf dieses Licht. Und gerade in der Dunkelheit des Winters wird hier deutlich: Finsternis und Nacht haben nicht das letzte Wort, der Mensch lebt auf das Licht zu, das aller Finsternis ein Ende zu bereiten vermag.
Leben der Schöpfung ist mit dem Licht verbunden
Bereits in der Bibel wird deutlich, wie sehr das Leben der Schöpfung mit dem Licht verbunden ist, und wie sehr die Dunkelheit und Nacht diesem Leben entgegensteht. Die Schöpfungserzählung aus der Genesis berichtet davon, wie Gott im Anfang im Chaos der ungeordneten Welt als erstes das Licht erschafft. Von der Finsternis wird das Licht von Gott geschieden – Finsternis und Licht gehören eng zusammen, aber sie fallen eben nicht in eins. Während es Finsternis schon in der ungeordneten Welt gibt, wird das Licht ausdrücklich von Gott erst erschaffen; das Licht ist Gottes Schöpfungswerk, während die Finsternis in Verbindung mit den Chaosmächten steht. Dennoch wird auch die Finsternis dem Schöpfer unterstellt: Sie wird nicht gänzlich abgeschafft, wohl aber durch seine Schöpfermacht begrenzt. So formuliert es auch der Prophet Jesaja: "Ich bin der Herr und sonst niemand. Der das Licht formt und das Dunkel erschafft, der das Heil macht und das Unheil erschafft" (45,6f). Licht und Finsternis werden, so wird es für den vierten Schöpfungstag festgesetzt, den beiden Gestirnen Sonne und Mond/Sternen zugeordnet. Das Buch Ijob sagt über die zeitliche Zuordnung zu Tag und Nacht weitergehend noch eine räumliche aus: Den "Toren des Todesschattens" (38,17) steht die "Wohnstatt des Lichts" (38,19) entgegen.
Obwohl das Alte Testament auch aussagt, dass JHWH selbst die Finsternis zu seiner Wohnung gemacht hat, wird sein Eingreifen doch hauptsächlich und in besonderer Weise mit dem Licht in Verbindung gebracht. Das "Wohnen im Wolkendunkel", wie es 1 Kön 8,12 aussagt, wird flankiert vom Gedanken, dass JHWHs heilbringe Rettung mit dem Morgen anbricht: "Gott ist in ihrer Mitte, sie wird nicht wanken. Gott hilft ihr, wenn der Morgen anbricht" (Ps 46,6). Oder, wie es im 143. Psalm heißt: "Lass mich am Morgen deine Huld erfahren, denn auf dich vertraute ich!" (V. 8a). Die Rettung durch JHWH ist eng mit dem Bild der aufgehenden Sonne verbunden: So, wie die Sonne das Dunkel der Nacht vertreibt und der Finsternis ein Ende setzt, so greift JHWH in das Dunkel des menschlichen Lebens ein, um es mit sehr Gegenwart zu erfüllen und zu erhellen. JHWH versagt diese heilbringende Nähe nie: "Die Huld des Herrn ist nie erschöpft, sein Erbarmen nie zu Ende. Neu ist es an jedem Morgen" (Klgl 3,22f).
Diese Verbindung zwischen göttlichem Handeln und dem Morgen bzw. dem Licht setzt sich im Neuen Testament fort: Inmitten ihrer Nachtwache umstrahlt die Hirten die Herrlichkeit des Herrn (Lk 2,9) und die Weisen aus dem Osten werden gar von einem Stern zum menschgewordenen Gott geführt (Mt 2,2). Jesus selbst bezeichnet sich im Johannesevangelium als das "Licht der Welt": "Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben" (8,12). Das Umhergehen in der Welt ohne Jesus wird als Finsternis verstanden, während die Nachfolge ein lichtvolles Leben verheißt. Entgegen einem Leben, das immer neu von der Dunkelheit bedroht wird, steht das Leben, das vom Evangelium her gelebt wird und das deshalb die Finsternis vertreibt und Licht verbreitet. Sehr deutlich wird dies auch in den Osterereignissen: Am Karfreitag, beim Sterben Jesu am Kreuz, verdunkelt sich die Erde (Mk 15,33); am Ostermorgen, im Schein der aufgehenden Sonne, erreichen die Frauen das Grab und vernehmen die Botschaft von seiner Auferstehung (Mk 16,2). Im Morgenschein steht der Auferstandene selbst am Seeufer, um mit den Jüngern Mahl zu halten (Joh 21,4).
Doch die Evangelien machen auch deutlich, dass die Finsternis der Nacht ihren Schrecken verloren hat, weil Gott selbst den Menschen gerade in der Dunkelheit nahe ist. Als die Jünger mitten in der Nacht auf dem See mit dem Boot unterwegs sind, ist es Jesus, der plötzlich bei ihnen erscheint und ihnen den uralten Gottesnamen zuruft: Ich bin es, fürchtet euch nicht (Joh 6,20). Und schließlich die Jünger auf ihrem Weg nach Emmaus, denen im letzten Abendlicht die Augen aufgehen und die den auferstandenen Herrn beim Brechen des Brotes erkennen (Lk 24,29.31).
Selbst Sonne und Mond werden nicht mehr gebraucht
Den Höhepunkt bildet gewissermaßen die Offenbarung des Johannes: Der Seher von Patmos schildert mit dem Bild des himmlischen Jerusalem die eschatologische Vollendung der Welt am Ende der Zeiten. Prägend für diese Stadt ist, dass sie keinen Tempel mehr braucht, weil Gott, der Herr, selbst in ihr wohnt. Mehr noch: Selbst Sonne und Mond braucht die Stadt nicht, die Herrlichkeit des Herrn leuchtet ihr (Offb 21,23); Nacht wird es in dieser Stadt nicht mehr geben (Offb 21,25). Im himmlischen Jerusalem ist den ganzen Tag lang Tag, oder anders: Dunkelheit und Finsternis sind dieser Stadt fremd, denn in ihr gibt es nur Helligkeit und Licht. Die dunklen Erfahrungen, mit denen sich das menschliche Leben immer wieder auseinandersetzen muss, gibt es in der Welt, die Gott am Ende der Zeiten erschafft, nicht mehr. Dort ist alles Licht, dort ist die Sehnsucht des Menschen nach Licht ein für alle Mal endgültig erfüllt.
Das Ausschauen des Menschen nach Licht ist ein uraltes Motiv, das bereits die Bibel durchzieht. Den Erfahrungen von Dunkel und Nacht stellen die Texte die Gegenwart des lebendigen Gottes entgegen, die als lichtvoll beschrieben wird. Dort, wo Gott rettend in die Schöpfung eingreift, dort wird die Nacht vertrieben und das Dunkel durchbrochen. Dort gibt es keine Finsternis mehr, weil Gott Licht ist und Licht schafft. Die biblischen Texte sind verheißungsvoll. Sie sagen: Selbst in der größten Dunkelheit lohnt es sich, nach dem Licht auszuschauen und auf das Licht zu hoffen. Denn Gott selbst kommt, um die Menschen aus der Finsternis zu befreien und zum Licht zu führen. Das ist die große Hoffnung, die sich dann vollenden wird, wenn Gott die Schöpfung ihrem Ziel entgegenführt.