Schwester Birgit Stollhoff über das Sonntagsevangelium

Zerbrechliche Sicherheit

Veröffentlicht am 28.12.2019 um 17:45 Uhr – Lesedauer: 
Ausgelegt!

Hannover ‐ Bilder der Heiligen Familie zeigen meist ein ländliches Idyll. Das heutige Sonntagsevangelium stellt dem ein Bild der Not entgegen. Schwester Birgit Stollhoff hat lange gebraucht, um diese Leseordnung nachzuvollziehen – und blickt jetzt anders auf Familien.

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Impuls von Schwester Birgit Stollhoff

"Gib mir irgendwas, was bleibt…gib mir einfach nur 'n bisschen Halt. Und wieg mich einfach nur in Sicherheit"

Das Lied der Gruppe Silbermond hat mir geholfen, zu verstehen, warum die Kirche am Fest der Heiligen Familie ausgerechnet die Bibelstelle von der Flucht liest. Was es bedeutet, dass Jesus Flüchtling ist, darüber wird viel gepredigt. Aber was bedeutet es für Familien, dass wir ihr Fest mit einer Erzählung von Flucht und Not feiern?

Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit – bei allen Bilder von Flucht ist mir dieses aufgefallen: Mütter, ärmlich gekleidet und abgemagert, das Baby saugend und schmatzend an der Brust; Väter, sichtlich erschöpft, ein oder oft zwei Kinder sicher auf dem Rücken und im Arm tragend; große Geschwister, selber verängstigt, aber das kleine Geschwisterkind fest an der Hand. Inmitten all der Not, in ärmlichen und dreckigen Zelten, auf gefährlichen Routen, in überfüllten Schiffen, in Schnee, Sturm und Regen, während der Bedrohung durch Piraten und Militärs gibt es diese kleinen Blasen von Halt, von Heil, von ungebrochener Zuwendung: Mütter und Väter, die sich um ihre Kinder sorgen, Geschwister, die einander Halt geben.

Würden wir Bilder ertragen, bei denen etwa Väter ihre Kinder im Wald zurücklassen, um schneller zu flüchten? Mütter, die selber zuerst essen, bevor die Kinder gefüttert werden? Ich glaube nicht. Familien, so zerbrechlich sie sind und egal, wie bunt zusammengesetzt, scheinen eine letzte unumstößliche Sicherheit zu geben. Sie sind immer noch ein letzter Ort, an dem die Kleinsten und Schwachen geschützt und behütet werden. Wenn es keinen Halt mehr in der Familie gibt, wo dann?

Für die koptischen Christen in Ägypten gehört die Erzählung der Flucht zu ihrer Gründungsgeschichte. Sie, die selber verfolgt werden, berufen sich auf das geflüchtete Kind, auf Jesus, den Ägypter. Aus den außerbiblischen Überlieferungen wurde der Weg der Heiligen Familie rekonstruiert. Er wird dargestellt als ein Weg voller Not, aber auch voller Gastfreundschaft oft von Armen und Witwen, als ein Weg der Begegnung, ein Weg "von Heimat zu Heimat".

Es gibt auch heute noch viele Sorgen und Nöte in Familien, viele Veränderungen, viel Unterwegs-Sein und Suche – nach einer besseren Wohnung, nach dem sichereren Job, nach einer guten Schule etc. Und wenn wir am Fest der Heiligen Familie das Evangelium von der Flucht hören, dann sind wir eingeladen, Familien zu helfen, wie damals der Heiligen Familie geholfen wurde. Da muss nicht gleich die kostenlose Nachhilfe für die Nachbarschaftskinder sein: Mal bücken und das Kind anlächeln, wenn das Kuscheltier aus dem Kinderwagen fällt, reicht aus. Wenn es in der Wohnung über uns wieder rumpelt und poltert – einfach ein kleines Stoßgebet sprechen für die Kinder statt einer Beschwerde. Familien brauchen uns alle und das nicht nur an Weihnachten.

Von Sr. Birgit Stollhoff CJ

Evangelium nach Matthäus (Mt 2,13-15.19-23)

Als die Sterndeuter wieder gegangen waren, siehe, da erschien dem Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten. 

Da stand Josef auf und floh in der Nacht mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten. Dort blieb er bis zum Tod des Herodes. Denn es sollte sich erfüllen, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen. 

Als Herodes gestorben war, siehe, da erschien dem Josef in Ägypten ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und zieh in das Land Israel; denn die Leute, die dem Kind nach dem Leben getrachtet haben, sind tot. Da stand er auf und zog mit dem Kind und dessen Mutter in das Land Israel. 

Als er aber hörte, dass in Judäa Archelaus anstelle seines Vaters Herodes regierte, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und weil er im Traum einen Befehl erhalten hatte, zog er in das Gebiet von Galiläa und ließ sich in einer Stadt namens Nazaret nieder. Denn es sollte sich erfüllen, was durch die Propheten gesagt worden ist: Er wird Nazoräer genannt werden.

Die Autorin

Sr. Birgit Stollhoff CJ gehört dem Orden Congregatio Jesu (auch bekannt als Mary-Ward-Schwestern) an, arbeitet im Jugendpastoralen Zentrum "Tabor" in Hannover, studiert Theologie im Fernstudium an der Universität Luzern und ist mitverantwortlich für die Öffentlichkeits- und Medienarbeit ihres Ordens.

Ausgelegt!

Katholisch.de nimmt den Sonntag stärker in den Blick: Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de nun "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreibt ein Pool aus Ordensleuten und Priestern für uns.