Pflege am Limit: 12 Tage Schicht, 2 Tage frei, 12 Tage Schicht
"Es ist 5.00 Uhr morgens, Donnerstag. Ich stehe total geschafft auf. Es ist der elfte Tag in Folge, an dem ich arbeite" – so beginnt die Pflegerin Sandra Lutz-Lang die Petition, in der sie auf die Arbeitsbelastungen in der ambulanten Altenpflege aufmerksam macht. Sie selbst arbeitet seit 28 Jahre in ihrem Beruf. Das erfüllt sie, schreibt sie, doch das genügt nicht: "Wir tun das engagiert und mit Überzeugung – aber nicht länger auf Kosten unserer Gesundheit." Die Arbeitsbedingungen sind hart: Personalmangel führt dazu, dass sie und ihre Kollegen regelmäßig zwölf Tage am Stück arbeiten müssen.
"Darüber wird viel geredet, aber wenig getan", sagt sie. Deshalb hat Lutz-Lang vor einem halben Jahr die Petition gestartet. Entstanden ist die Idee bei einem der "Pflegetreffpunkte" der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) Rottenburg-Stuttgart, bei denen sich Pflegende vernetzen. Mittlerweile haben über 70.000 Menschen unterschrieben. In den Kommentaren auf der Plattform change.org berichten viele von der eigenen Arbeitssituation oder sprechen den Pflegern Solidarität aus.
70.000 Unterschriften gehen an den Pflegebeauftragten
Am Montag übergibt Lutz-Lang die Petition dem Pflegebeauftragten der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus. Ihre Forderung: Das Verbot von Zwölf-Tages-Schichten muss ins Arbeitszeitgesetz aufgenommen werden. Zwölf Tage Dienst, zwei Tage frei, zwölf Tage Dienst – das ist bisher rechtlich zulässig.
Bei der Caritas gibt es Zuspruch für das Anliegen der Petition. "Grundsätzlich begrüßen wir alles, was die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte verbessert", heißt es vom Deutschen Caritasverband. "Dass die Pflegekräfte zum Teil an der Grenze der Überlastung arbeiten, ist uns sehr bewusst." Auch auf Dienstgeberseite gebe es das Interesse, Arbeitsplätze attraktiv zu gestalten.
Lange Arbeitsphasen ohne freie Tage kommen aber auch bei kirchlichen Sozialeinrichtungen vor. Alfons Maurer, einer der Sprecher des Netzwerks "Alter und Pflege" des Rottenburg-Stuttgarter Diözesancaritasverbands, bestätigt das. Zwölf-Tage-Schichten seien zwar nicht die Regel oder gängige Praxis, manchmal könne man sie aber nicht vermeiden. Jedenfalls nicht, "solange wir ökonomische Zwänge haben".
Caritas-Vertreter gegen gesetzliche Regelung
Vor allem der Personalmangel zwinge Einrichtungen, solche Dienstpläne aufzustellen, erläutert Maurer. Der Königsweg für ihn wäre eine Erhöhung des Personalschlüssels: "Dann löst sich das Thema dieser Aneinanderreihung von Arbeitstagen rasch auf, und es können alle Mitarbeitende in einer Fünftagewoche arbeiten", sagt er. In der Forderung nach mehr Personal sind die Dienstgeber mit den Pflegenden also einer Meinung. Allerdings: Maurer ist gegen eine gesetzliche Regelung. Die Begrenzung auf maximal zehn Arbeitstage am Stück sei "unnötig und nicht hilfreich". Statt einer gesetzlichen Regelung zur Arbeitszeit brauche es schlicht mehr Personal.
Das sieht die KAB anders. Der Rottenburg-Stuttgarter Diözesansekretär Peter Niedergesäss gesteht den kirchlichen Sozialeinrichtungen zwar zu, dass viele bereits jetzt auf eine entsprechende Dienstplangestaltung hinarbeiten. "Die Realität des Pflegekräftemangels macht das aber zunichte, und dann fahren die Einrichtungen doch wieder Zehn- und Zwölf-Tage-Schichten", erläutert Niedergesäss. Deshalb will die KAB sich nicht auf Absichtserklärungen verlassen und fordert eine gesetzliche Regelung. Darauf, dass der Personalmangel in der Pflege gelöst wird, wollen die Initiatoren der Petition nicht warten.
Lutz-Lang sieht die Pflegekräfte zerrieben zwischen verschiedenen Interessen: "Wirtschaftlich gilt die Pflege als gewinnbringender Sektor. Politisch wird sie als Kostenfaktor behandelt: beides wird auf dem Rücken des Pflegepersonals ausgetragen", heißt es in ihrer Petition. Das alles führe zu Arbeitsbedingungen, in denen die Qualität der Pflege kaum sichergestellt werden könne.
Verlässliche Dienstpläne auch für Arbeitgeber sinnvoll
Dabei wäre das eigentlich auch im Sinne der Arbeitgeber, findet Daniela Brunner. Die Geschäftsführerin der Sozialstation Rottenburg stellt gerade ihre Dienstplanung um. An die Stelle von Monatsplänen, die sich je nach Länge des Monats ändern, sollen verlässliche Vier-Wochen-Dienstpläne treten. Sie sollen genügend Pufferzeiten enthalten, so dass auch bei Krankheiten und anderen unplanbaren Ausfällen niemand zwölf Tage am Stück arbeiten muss. Ein fester vierwöchiger Rhythmus ermöglicht allen Mitarbeitern, verlässlich freie Tage einzuplanen – davon haben Arbeitgeber wie Arbeitnehmer etwas.
„Einer wird krank, andere müssen einspringen, das führt zu vielen Diensten am Stück, und dann werden durch die Belastung die Mitarbeiter erst recht häufiger krank.“
"Zwölf Dienste am Stück gehen gar nicht", berichtet Brunner von der Arbeitsbelastung ihrer Mitarbeiter: "Zehn Dienste sind schon an der Kante." Solche langen Zeiträume entstünden aber fast zwangsläufig, wenn von vornherein mit langen Diensten am Stück geplant werde: Ein Krankheitsfall reicht dann aus, um alles durcheinander zu bringen, und ein Teufelskreis beginnt: "Einer wird krank, andere müssen einspringen, das führt zu vielen Diensten am Stück, und dann werden durch die Belastung die Mitarbeiter erst recht häufiger krank."
Pflegekräfte brauchen Wertschätzung – aber reicht das?
Ob das neue Dienstplansystem auch einen Wettbewerbsvorteil bei der Suche nach neuem Personal auf dem umkämpften Pflegefachkräftemarkt bedeutet, kann Brunner noch nicht einschätzen. Für sie geht es in erster Linie um die Fürsorge für ihre Mitarbeiter. Da man aber neue Mitarbeiter hauptsächlich durch Kontakte gewinne, etwa über Empfehlungen von Mitarbeitern, ist die Zufriedenheit ein wichtiger Faktor.
Eine gesetzliche Regelung, wie sie die KAB fordert, ist für Brunner dabei nicht so zentral. Gesetze gebe es bereits jetzt viele, der bürokratische Aufwand sei hoch. Feste Arbeitszeit- und Pausenregelung schützten Mitarbeiter, seien aber manchmal auch unflexibel. "Eine gute Work-life-Balance kann man gesetzlich kaum verordnen, der Arbeitgeber muss sich darum kümmern, dass es jedem einzelnen Mitarbeiter gut geht", findet sie. Zudem brauche es auch mehr Wertschätzung für Pflegekräfte: "Das ist ein anspruchsvoller, wertvoller Beruf, den nicht jeder machen kann."
Um Wertschätzung geht es auch Sandra Lutz-Lang. Sie ist überzeugt: Eine gesetzliche Regelung, wie viele Dienste aufeinander folgen dürfen, würde die Situation verbessern. "Studien zeigen, dass hunderte von Pflegekräften in ihren Beruf zurückkehren, sobald die Bedingungen stimmen!", führt die Pflegerin in ihrer Petition an.