133 Katechesen von Johannes Paul II.

Der Körper als Geschenk: Die "Theologie des Leibes"

Veröffentlicht am 03.02.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Heiligenkreuz ‐ Für manche ist sie die ideale Hinführung zur Liebe, andere sehen sie als unerreichbar und abgehoben. Papst Johannes Paul II. hat mit seiner "Theologie des Leibes" provoziert. Er will allgemeingültige Antworten geben, die sich aber auch auf seine damalige Gegenwart beziehen.

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Jahrhundertelang steht beim Blick des katholischen Lehramts auf die Sexualität die Zeugung von Nachkommen im Mittelpunkt. Dass dafür zwei Menschen Sex haben, wird zum Teil sogar eher als ein notwendiges Übel gesehen, als dass dies einen eigenen Wert darstellen würde. Für Augustinus ist jede Form von Begehren die Wurzel der Erbsünde. Erst Pius XI. spricht dann in Bezug auf die Sexualität vom "Gattenwohl", unterstreicht also, dass es beim Sex nicht ausschließlich um Fortpflanzung geht. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) betont, dass der Sexualität die Qualität zukommt, eine Ehe zu vertiefen und zu stabilisieren. Drei Jahre später folgt die Enzyklika "Humanae vitae" (1968) von Paul VI. Von diesem lehramtlichen Dokument ist aber bei den meisten nur hängen geblieben, dass die Kirche die Pille verbietet. Einige Bischofskonferenzen – darunter die deutsche – versuchen daraufhin, die Papstworte zu relativieren. In dieser Situation bleibt die kirchliche Beschäftigung mit der Sexualität weitestgehend stehen, während um sie herum die sexuelle Revolution die Gesellschaft tiefgreifend verändert.

Das ist in etwa die Ausgangssituation von Johannes Paul II., als er 1979 seine "Theologie des Leibes" präsentiert. In 133 Katechesen will er einen großen Wurf wagen und Liebe wie Sexualität aus theologischer Sicht betrachten. Das entstandene Konzept ist vor allem nördlich der Alpen umstritten und wird bis heute innerkirchlich diskutiert. Für Johannes Paul II. ist die "Theologie des Leibes" ein notwendiger nächster Schritt, denn das Thema beschäftigt ihn schon lange: Bereits 1959 hat er das Buch "Liebe und Verantwortung" veröffentlicht, auch an "Humanae vitae" hat er mitgearbeitet.

Dabei schlägt Karol Wojtyła in seinen Texten neue Töne an. Schon in "Liebe und Verantwortung" von 1959 schreibt er ganz offen über den Orgasmus – in der Zeit vor dem Kinsey-Report ein Novum. Auch in den 1970er Jahren setzt seine Theologie in der Kirche einen neuen Akzent: Er tritt dem menschlichen Leib von Grund auf positiv entgegen. So ist die Grundlage der "Theologie des Leibes" kein Verbotskatalog, sondern die Wertschätzung für die Liebe von Mann und Frau. Der Leib und die Liebe sollen nun einen Platz im "großen Ganzen" von Mensch, Welt und Glauben bekommen.

Gegenseitiges Schenken

In seiner "Theologie des Leibes" bezieht sich der polnische Papst neben Bibeltexten wie dem Hohelied oder dem Buch Tobit auf die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" (1965), die von den Teilnehmern des Zweiten Vatikanischen Konzils geschrieben wurde. Dort heißt es über die Ehe, sie sei ein freier Akt, "in dem sich die Eheleute gegenseitig schenken und annehmen" (GS 48). Grundlage dafür ist eine Parallele zu Gott: Wie sich Gott den Menschen in Form von Jesus Christus geschenkt hat, sollen sich auch die Menschen gegenseitig als höchste Form der Liebe einander schenken. Für Johannes Paul II. ist dieses gegenseitige Geschenk die Grundlage seiner Theologie.

Bild: ©KNA-Bild

Papst Johannes Paul II. präsentierte seine "Theologie des Leibes" ab 1979 in 133 Katechesen.

Es geht laut seinen Katechesen in der Liebe und der Sexualität nicht darum, etwas zu bekommen, sondern sich selbst jemand anderem zu schenken – im Gegensatz zur Objektivierung des anderen, vor der schon Augustinus warnt. Dieses Geschenk soll wie die Liebe Gottes frei, treu, bedingungslos und lebensspendend sein. Der polnische Papst hängt die Sexualität also moralisch sehr hoch: Seine Worte werden so interpretiert, dass ein Paar beim Sex jedes Mal sein Eheversprechen erneuert. Für Corbin Gams ist dies ein wichtiger Punkt: "Das Eheversprechen am Altar ist nur die halbe Miete des Sakraments", sagt der Leiter des Studiengangs "Theologie des Leibes" an der von Zisterziensern getragenen Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. im niederösterreichischen Heiligenkreuz. Johannes Paul II. sei nicht lustfeindlich gewesen, sondern habe der Sexualität eine andere Dimension gegeben. An die Stelle einer rein körperlichen Begierde, die ihre eigene Befriedigung auf Kosten eines anderen sucht, setzt er auf einen ganzheitlichen Ausdruck der Liebe: Das sexuelle Begehren und die körperliche Liebe sind ein Ausdruck des gegenseitigen Gebens und Empfangens. "Wenn das klar ist, ist Sexualität viel lustvoller", so Gams.

Ein Schritt zum Ebenbild Gottes

Diese geistliche Sicht auf Sexualität ist für Johannes Paul II. auch über die Beziehung eines Paares hinaus von Bedeutung. Denn durch das eigene Geschenk spiegelt ein Mensch das Handeln Gottes wider, der sich den Menschen geschenkt hat. Wenn sich Mann und Frau also gegenseitig schenken, vollenden sie gemeinsam ihre Gottesebenbildlichkeit. "'Gott ist Liebe' und lebt in sich selbst ein Geheimnis personaler Liebesgemeinschaft", schreibt Johannes Paul. "Die Liebe ist demnach die grundlegende und naturgemäße Berufung jedes Menschen."

Zu dieser Berufung gehört es auch, fruchtbar zu sein. Diese Fruchtbarkeit ist seit Jahrhunderten das Hauptaugenmerk, das die Kirche auf Ehe und Sex legt – Johannes Paul II. hält diese bedeutsame Stellung bei. Wie Gott das Leben schenkt und dadurch fruchtbar ist, sollen es auch die Eheleute sein – wieder eine Form der Ebenbildhaftigkeit Gottes. Das geschieht für Ehepaare normalerweise durch ihre Kinder. Dies ist aber nicht die einzige Form der Fruchtbarkeit: "Ein Paar wird fruchtbar, wenn es nicht sich selbst genügt, sondern auch nach außen wirkt und Frucht bringt", sagt Gams. Das kann auch soziales Engagement oder Fürsorge für andere sein. Deshalb gilt diese Berufung zur Fruchtbarkeit auch etwa für Paare, die keine Kinder bekommen können, für verwitwete oder auch ehelos lebende Menschen. Auch sie sollen nicht in sich selbst verharren, sondern Elemente des Lebens weitergeben.

Bild: ©Christine Kocher Fotografie

Corbin Gams leitet den Studiengang "Theologie des Leibes" an der von Zisterziensern getragenen Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. im niederösterreichischen Heiligenkreuz

Was bei der "Theologie des Leibes" auffällt: Außer heterosexuellen Ehepaaren und zölibatär lebenden Menschen scheint es nichts zu geben. Selbst unverheiratete Paare sind für den damaligen Pontifex eine Übergangserscheinung. Gams erklärt das einerseits mit der Zielgruppe der Katechesen: Sie richten sich an verheiratete Paare, Menschen vor der Hochzeit, zölibatär lebende Menschen und jene, die sich noch nicht für eines dieser Modelle entschieden haben. Andererseits führt er zeitgeschichtliche Umstände an: So seien etwa bei der Grundlage der Katechesen, "Liebe und Verantwortung" von 1959, nichteheliche Lebensgemeinschaften noch ein Tabuthema gewesen. Auch wiederverheiratete Geschiedene, homosexuelle oder polyamore Partnerschaften spielten zur damaligen Zeit eine untergeordnete gesellschaftliche und kirchliche Rolle. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Bezugspunkt von Johannes Paul II. vor allem auf "Humanae vitae" liegt, er will die Inhalte dieser Enzyklika ausformulieren und begründen. Hier wie auch in den Katechesen ab 1979 werden alle Lebensgemeinschaften abseits der Ehe nicht behandelt.

Unterschiedliche Rezeption

Für die Kirche war die "Theologie des Leibes" Ende der 1970er Jahre also durch ihre positive Sicht auf Liebe und Leiblichkeit durchaus ein Aufbruch. Der Entwicklung einer pluralen Gesellschaft folgt sie allerdings nicht – die heterosexuelle Ehe bleibt das Maß aller Dinge. Kritiker bemerken, dass die körperliche Lust bei Johannes Paul keinen Eigenwert erhält und dass die hohen Ansprüche an Sex sich nicht jedes Mal umsetzen lassen.

Diese Umstände sorgen für die sehr unterschiedliche Rezeption der Katechesen 15 Jahre nach dem Tod von Johannes Paul II. und der Frage, wie aktuell die Antworten der Katechesen heute noch sind. Einerseits gibt es etwa den Studiengang in Heiligenkreuz, in dem Gams von positivem Feedback der Teilnehmenden berichtet. Andererseits sprechen die Zahlen aus Umfragen eine andere Sprache: Den meisten Katholiken ist die Meinung der Kirche zur Sexualität völlig egal.

Dabei gibt es abseits der Amtskirche etwa in der Wissenschaft durchaus neue Ansätze für den theologischen Blick auf Sex. Dazu gehören Überlegungen, die Sexualmoral durch eine Beziehungsethik zu ersetzen, also weitere Aspekte menschlicher Beziehungen in die Betrachtung mit einzubeziehen. Der Blick der Kirche auf das Begehren und die Lust wird ebenso hinterfragt wie die lehramtliche Sicht auf Homosexualität. So verschieden diese Überlegungen sind: Die Amtskirche nimmt sie bisher nicht auf.

Von Christoph Paul Hartmann