Vor 100 Jahren wurde die Fokolar-Gründerin geboren

Chiara Lubich – "Die wohl mächtigste Frau in der katholischen Kirche"

Veröffentlicht am 21.01.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Die Italienerin Chiara Lubich gründete Anfang der 1940er Jahre die Fokolar-Bewegung.
Bild: © KNA

Augsburg ‐ Sie gilt als eine der großen spirituellen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts: Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges gründete Chiara Lubich die religiöse Laienbewegung der Fokolare. Eine Erfolgsgeschichte – nicht ohne Schatten.

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Der "Spiegel" nannte sie "die wohl mächtigste Frau in der katholischen Kirche": Chiara Lubich. Die Italienerin hat eine der heute am weitesten verbreiteten religiösen Laienbewegungen gegründet: die Fokolare. Am 22. Januar 2020 würde Lubich 100 Jahre alt. Ihre "Karriere" begann als Reaktion auf den Schrecken der Welt.

Trient, 1943: Bomben erschüttern die Stadt in Norditalien. Tausende Menschen fliehen, auch die Familie Lubich. Doch Chiara bleibt. 23 Jahre jung ist die tiefgläubige Volksschullehrerin. Mit Freundinnen bezieht sie eine kleine Wohnung. Die Frauen setzen auf praktizierte Nächstenliebe, sozusagen als Kontrastprogramm zum Weltkriegsgrauen um sie herum. Das erste Fokolar entsteht, das die Trienter Bevölkerung nach einem Wort für Herdfeuer benennt, in Anlehnung an die Wärme von Flammen und der sich darum sammelnden Familie.

Die Frauengemeinschaft will ihr Leben komplett in den Dienst Gottes stellen, getreu einem Satz aus dem Johannes-Evangelium: "Alle sollen eins sein." Daraus entwickelt sich unter den Fokolaren - zu denen bald auch Männer zählen - der vehemente Einsatz für ein friedvolles Miteinander aller Menschen in Geschwisterlichkeit, unabhängig von Konfession und Religion.

Am Anfang steht ein "geistiges Abenteuer"

Lubich selbst wächst mit drei Geschwistern auf. Sie ist Kind einer überzeugten Katholikin und eines engagierten Sozialisten. Mit 19 beginnt ihr "geistiges Abenteuer", wie es die Fokolare nennen. Lubich besucht den marianischen Wallfahrtsort Loreto in Mittelitalien. In der dortigen Basilika steht der Tradition zufolge Marias Geburtshaus aus Nazareth. Als sie dort gekniet habe, so Lubich später, habe etwas Göttliches sie umfasst. "Ich weinte unkontrollierbare Tränen."

Vier Jahre später tritt Lubich dem Dritten Orden der Franziskaner bei. 1949 beendet sie ihre Mitgliedschaft, behält aber ihren geänderten Namen: Chiara - statt Silvia, wie sie getauft wurde -, zu Ehren der Ordensgründerin Klara von Assisi, wegen deren "entschiedener Wahl Gottes", so die Fokolare. Am 7. Dezember 1943 legt Lubich das ewige Gelübde der Keuschheit ab. Dieses Datum gilt als Beginn der Fokolar-Bewegung.

Andrea Rösch ist die Sprecherin der Fokolar-Bewegung in Deutschland.
Bild: ©Christopher Beschnitt/KNA

Andrea Rösch ist die Sprecherin der Fokolar-Bewegung in Deutschland.

An deren Spitze steht laut Statut immer eine Frau. Dieses "weibliche Postulat" erklärt die deutsche Fokolar-Sprecherin Andrea Rösch aus Ottmaring bei Augsburg so: "Chiara wollte sicherstellen, dass die Fokolare immer laiengeführt sind, und die marianische Dimension zum Ausdruck bringen."

Und so heißen die längst päpstlich approbierten Fokolare kirchenrechtlich "Werk Mariens". Aktiv sind sie heute in 182 Ländern und zählen rund 110.000 Mitglieder, davon 3.500 in Deutschland, wie Rösch sagt. Zugehörig fühlten sich der Organisation bis zu zwei Millionen Menschen. 90 Prozent der Fokolare seien katholisch, hinzu kämen Angehörige anderer Konfessionen und Religionen sowie Bekenntnislose.

So erfolgreich die Ausbreitung der Fokolare gelungen sein mag - ihre Geschichte hat auch Schatten. Da gibt es etwa den Vorwurf eines sektenähnlichen Personenkults um Chiara Lubich. Die Kritik sei heute nicht mehr haltbar, aber früher teils begründet gewesen, meint Rösch. "Chiara selbst war daran nie gelegen."

Würdigung durch den Papst

Lubich starb am 14. März 2008 mit 88 Jahren in Rocca di Papa bei Rom. Papst Benedikt XVI. gedachte ihrer als einer "Botin der Hoffnung und des Friedens". Geehrt worden war Lubich auch zu Lebzeiten: etwa mit dem Menschenrechtspreis des Europarats, dem Unesco-Friedenspreis und dem Templeton-Preis, dem "Nobelpreis der Theologie". Ferner war sie Ehrenpräsidentin der "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden". Posthum könnte eine weitere Würde folgen: Der 2015 eröffnete Seligsprechungsprozess für Lubich hat es just in die vatikanische Prüfung geschafft.

Die Fokolare selbst huldigen ihrer Gründerin zum Jubiläum unter anderem mit einer international koordinierten Jahresschau des Historischen Museums von Lubichs Heimatstadt Trient. Zudem sind 2020 weltweit Festgottesdienste, Kulturveranstaltungen, Symposien und Tagungen zum Gedächtnis an die Italienerin geplant. Chiara Lubich mag also fast zwölf Jahre tot sein - ihr Feuer brennt weiter.

Von Christopher Beschnitt (KNA)