So leben die Gläubigen in Deutschlands flächengrößter Pfarrei
Wenn Pfarrer Andreas Sommer die Gläubigen seiner Pfarrei besuchen möchte, muss er mitunter weit fahren. Sehr weit. Denn Sommer ist Pfarrer der Gemeinde St. Bernhard von Clairvaux in Vorpommern – und die ist seit ihrer Gründung am 1. Januar dieses Jahres die flächengrößte Pfarrei Deutschlands. Mit rund 3.200 Quadratkilometern im äußersten Nordosten der Bundesrepublik ist sie fast so groß wie das Bistum Aachen. Ihr Gebiet erstreckt sich von Kap Arkona an der Nordspitze der Insel Rügen über Stralsund, Grimmen und Demmin bis kurz vor Neubrandenburg. Satte 150 Kilometer beträgt die Nord-Süd-Ausdehnung der nördlichsten Pfarrei des Erzbistums Berlin.
"Ohne Auto geht bei uns gar nichts", erzählt Sommer im Gespräch mit katholisch.de von seinem Alltag. Ob für ein Seelsorgegespräch, die Erstkommunionkatechese oder eine Beerdigung – oft muss sich der Pfarrer von seinem Büro in Stralsund aus für längere Strecken hinters Steuer setzen, um zu seinen Schäfchen zu kommen. "Da geht angesichts der großen Distanzen schnell mal ein ganzer Vormittag drauf", so Sommer. Um mit den Gläubigen direkt in Kontakt zu kommen, müsse man sich aber darauf einlassen – "anders ist es nicht möglich".
Zwei Gläubige pro Quadratkilometer – das reicht nicht mal für eine Partie Skat
Doch es sind nicht nur die großen Distanzen, die den Alltag des Pfarrers und seiner Gemeinde bestimmen. Auch die geringe Zahl der Katholiken ist eine Herausforderung. Lediglich rund 6.400 Gläubige zählt die neue Pfarrei, rein rechnerisch sind das gerade mal zwei Gläubige pro Quadratkilometer – nicht einmal genug für eine Partie Skat. Die Gemeinschaft mit anderen Gläubigen, wie sie andernorts für Christen selbstverständlich ist, erleben die Katholiken der Region angesichts dieser extremen Diasporasituation nur selten. "Wer sein Katholischsein hier aufrechterhalten will, muss sich auf den Weg machen. Sonst droht die Vereinsamung", betont Pfarrer Sommer.
Eine wichtige Stütze des Pfarreialltags sind deshalb die gelben Boni-Busse des Bonifatiuswerks. Drei davon hat die Gemeinde zur Verfügung, in Demmin, Stralsund und auf Rügen. "Dafür sind wir sehr dankbar, denn ohne diese Busse wäre vieles nicht möglich", erzählt Sommer. Die Fahrzeuge ermöglichten es, die Gläubigen auch über große Distanzen zusammenzubringen und Gemeinschaft erlebbar zu machen. Zuletzt habe man so etwa die Sternsinger zu ihren Hausbesuchen gebracht.
Ein entscheidender Träger des Lebens in der Gemeinde sind zudem die Ehrenamtlichen. Auch wenn Pfarrer Sommer betont, dass seine Pfarrei mit ihm als Leitendem Pfarrer und zwei Pfarrvikaren personell noch vergleichsweise gut ausgestattet sei. Ohne das ehrenamtliche Engagement der Gläubigen würde das kirchliche Leben an den insgesamt 15 Gottesdienstorten der Pfarrei und den weiteren "Orten kirchlichen Lebens" wie etwa den kirchlichen Seniorenzentren und den Einrichtungen der Caritas aber nicht existieren können. "Unsere Pfarrei lebt davon, dass sich die Gläubigen vor Ort für eine Sache engagieren", betont Sommer.
Pfarrei mit großen regionalen Gegensätzen
Die Neugründung der Großpfarrei, die im Zuge des diözesanen Entwicklungsprozesses "Wo Glauben Raum gewinnt" entstand, war unter den Gläubigen zunächst nicht unumstritten und mit manchen Ängsten verbunden. "Das war schon ein schwieriger Weg", erzählt Sommer vom Entstehungsprozess der Gemeinde in den vergangenen Jahren. Vor allem Gläubige im strukturschwachen Süden der Pfarrei – auf dem Territorium der ehemals eigenständigen Pfarrei Maria Rosenkranzkönigin in Demmin – hätten Bedenken geäußert. "Die Gläubigen in kleineren Ortschaften fernab der Oberzentren haben Angst, in der neuen Pfarrei aus dem Blick zu fallen", sagt der Pfarrer. Diese Sorgen nehme die Kirchengemeinde ernst, etwa in dem sie versuche, ihre Präsenz in der Fläche weiter aufrechtzuerhalten. Ob und wie das gelingt, werden aber erst die kommenden Jahre zeigen.
Tatsächlich – und das ist eine weitere Herausforderung – ist die neue Pfarrei von großen regionalen Gegensätzen geprägt, die sich auch auf die pastorale Arbeit auswirken. Während Rügen und Stralsund stark vom Tourismus profitieren und in den vergangenen Jahren eine gute wirtschaftliche Entwicklung erlebt haben, haben die küstenfernen Gebiete mit Abwanderung, überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit und einem hohen Anteil von Sozialleistungsempfängern zu kämpfen. Entsprechend unterschiedlich sind auch die kirchlichen Angebote ausgerichtet.
Besonders deutlich zeigen sich diese Gegensätze am Beispiel der beiden Orte Binz und Demmin. In Binz bietet die Tourismuspastoral den meist gut betuchten Rügen-Urlaubern "außergewöhnliche Aus-Zeiten an, um Ruhe zu finden und Atem zu holen, den Stress des Alltags hinter sich zu lassen", wie es auf der Internetseite der Rügener Kirche heißt. In Demmin dagegen geht es vor allem darum, Menschen mit dem Nötigsten für ihren Alltag zu versorgen. Beispielhaft dafür steht der von der Caritas betriebene "CARIsatt-Laden". Hier können Bedürftige einen günstigen Kaffee trinken und verbilligte Lebensmittel einkaufen, die für normale Supermärkte nicht mehr gut genug sind. "Die Menschen sind hier ein stückweit abgehängt und finden nur selten eine adäquate Anstellung", erzählt Thomas Witkowski, der Regionalleiter der Caritas in Vorpommern. "Not sehen und handeln, das haben wir uns auf die Fahne geschrieben, und daher sind wir in Demmin mit unserem Angebot genau richtig."
"Nach neuen Möglichkeiten suchen, den Glauben an Gott zu wecken"
Die großen Entfernungen, die wenigen Katholiken und die großen regionalen Unterschiede – die Herausforderungen für die neue Pfarrei St. Bernhard von Clairvaux sind groß. Wie sie ihnen in den kommenden Jahren begegnen will, zeigt das Pastoralkonzept, das die Gemeinde in den vergangenen Jahren für ihren gemeinsamen Weg entwickelt hat. Wichtigste Zielgruppen der pastoralen Arbeit sollen demnach Kinder, Jugendliche, Familien und Senioren sein. Hier gelte es, Vorhandenes zu stärken und "nach neuen Möglichkeiten zu suchen, den Glauben an Gott zu wecken". Darüber hinaus will die Pfarrei den Glauben mit Kreuzwegandachten, Prozessionen, Wallfahrten, neuen Formen von Gottesdiensten und ökumenischen Initiativen auch "nach außen" tragen – zur überwältigenden Mehrheit der Konfessionslosen.
Bei all dem vertraut die neue Pfarrei auf die Fürsprache von Bernhard von Clairvaux. Der große Heilige soll als identitätsstiftendes Element dienen und das Zusammenwachsen der Kirchengemeinde fördern. Im Pastoralkonzept heißt es dazu: "Der Hl. Bernhard hat Neues gewagt, innerhalb der Kirche und des Ordens. Sein großes Anliegen war, dass jeder, auf Grund seiner persönlichen Gotteserfahrung und -begegnung, zu einem ganz persönlichen Glaubensbekenntnis kommt und von sich sagen kann: 'Ich glaube!'. So wollen wir dieses gemeinsame Patronat in der Pfarrei, in den Gemeinden, an allen Orten kirchlichen Lebens und darüber hinaus für alle Menschen hier vor Ort erfahrbar und erlebbar machen."