Die Kirche kommt nicht ohne Macht und Autorität aus
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"Die Autorität ist der Nullpunkt einer Reihe, etwas Originäres, aber auch etwas, das man unmöglich 'haben' kann. Die Bestreitung der Autorität dagegen ist, selbst, wenn man ihr die Berechtigung abspricht, zunächst einmal eine Tatsache… Wer von uns hat das Recht, die Forderungen christlicher Gewissen zurückzuweisen, die Fragesteller mundtot zu machen und aus der öffentlichen Diskussion zu verbannen, so die Kirche der Veränderungen zu berauben, die um der Wahrhaftigkeit ihres Zeugnisses willen notwendig sind, und den Ausdruck authentischen Glaubens auf die Aussagen einiger weniger zu beschränken?"
So liest man nicht bei einem Kommentator des Synodalen Weges oder der jüngsten Personalveränderungen im Vatikan, sondern beim Lieblingsautor des regierenden Papstes Franziskus, dem französischen Jesuiten Michel de Certeau. "La faiblesse der croire" ("GlaubensSchwachheit") heißt die 1987 auf Französisch und 2009 auf Deutsch erschienene Textsammlung, der das Zitat in einem bis heute höchst lesenswerten Text über christliche Autoritäten und soziale Strukturen entnommen ist. Dass ein Text, der vermutlich in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden ist, auf die heutige Situation immer noch passt, kann eigentlich nur melancholisch stimmen. Gleichzeitig mahnen die jüngsten Entwicklungen in der deutschen und römischen Kirche, über Autorität (der heiligen Schrift, Jesu und der von ihm eingesetzten Autoritäten) vielleicht neu und tiefer zu reflektieren, als dies im eiligen und nicht selten aggressiven Alltagsgeschäft geschieht.
Wer an Autorität festhält, lässt sie dahinschwinden
Denn auch die kritischste Freundin von Veränderungen in der Kirche und der reformunwilligste (Erz-)Bischof kann, falls intellektuelle Redlichkeit als Kategorie überhaupt eine Rolle spielt, nicht umhin, nach einer künftigen Form von Autorität zu fragen, wenn denn die alte endgültig dahingeschwunden ist. Ihrem Dahinschwinden leisten übrigens die besonderen Vorschub, die mit größter Gewalt, absurden Argumenten und wider besseres Wissen an ihr festhalten.
Dass aber künftige Kirchenstrukturen ohne die Ausübung von Macht und Autorität auskommen, muss nach allen philosophischen und soziologischen Erkenntnissen genauso bezweifelt werden. Wer von herrschaftsfreien Räumen und Diskursen träumt, findet sich im schlimmsten Fall in neuen Zwangsjacken wieder. Für Macht gilt der horror vacui in einem geradezu physikalischen Sinne, und nach wahrer Autorität sehnen sich viele in unseren Gesellschaften und Kirchen so sehr wie nach wenig Anderem.
Es lohnt sich also vielleicht noch einmal hinzuschauen, wie der Psychoanalytiker und Historiker Michel de Certeau eine künftige Autorität skizziert – wir dürfen vermuten, dass Franziskus ihn aufmerksam gelesen hat: "Christliche Autorität schafft einen Raum. Sie macht Unterschiede möglich. Sie öffnet für ein anderes Wort oder für ein anderes Werk… Die Wahrheit, von der sie Zeugnis ablegt, bewahrt sie nicht für sich; sie lässt sie zu, ohne sie zu besitzen, sie erkennt sie als anderes vor ihr in dem Augenblick, indem sie sie möglich macht. Sie autorisiert ein Risiko, indem sie es teilt."