Zölibatäre Lebensform geht "gegen die Biologie"

Ordensfrau: Man kann seine Sexualität auch ausleben ohne Sex zu haben

Veröffentlicht am 04.03.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Nürnberg ‐ Beim Synodalen Weg fiel Schwester Franziska Dieterle mit einer Wortmeldung zum Thema Sexualität auf. Im Interview mit katholisch.de spricht sie darüber, warum sie die katholische Sexualmoral stört, wie sie trotz Zölibat ihre Sexualität auslebt und warum das Ordensleben kein Massenphänomen ist.

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"Als Ordensfrau lebe ich meine Sexualität auch ohne Sex zu haben. Man kann auch fruchtbar leben ohne Sex." Mit diesem Statement hat Schwester Franziska Dieterle bei der ersten Vollversammlung des Synodalen Wegs viele verwundert. Was sie damit meint, erklärt sie im katholisch.de-Interview.  

Frage: Schwester Franziska, Ihre Aussage zum Thema Sexualität und Fruchtbarkeit als Ordensfrau haben bei der ersten Vollversammlung des Synodalen Wegs viele überrascht. Was bedeutet das, seine Sexualität auszuleben, ohne Sex zu haben?

Dieterle: Das Zitat war Teil meines Statements, als die Ergebnisse des Vorforums zum Thema Sexualität vorgestellt und die verschiedenen Positionen zur kirchlichen Sexualmoral diskutiert wurden. Bei der Position der gültigen Kirchenlehre ist immer von Fruchtbarkeit die Rede und dass bestimmte Lebens- und Partnerschaftsformen in der Kirche nicht gehen, weil die Menschen in ihnen nicht fruchtbar sein können – zum Beispiel homosexuelle Paare. Für mich hat sich das so angehört, als wenn man in einer Partnerschaft nur Sex mit dem Ziel hat, sich fortzupflanzen. Das geht mir gegen den Strich, weil Fruchtbarkeit mehr ist als biologische Fruchtbarkeit! Mein Hinweis war deshalb, im Synodalforum sehr darauf zu achten, dass man zwischen Sex und Sexualität unterscheidet. Sexualität ist mehr als Sex, deshalb kann man auch fruchtbar leben, ohne Sex zu haben.

Frage: Wie sieht das aus, wenn man seine Sexualität als Ordensschwester auslebt?

Dieterle: Dazu muss man zunächst klären, was Sexualität bedeutet. In unserer sexualisierten Gesellschaft wird diese nämlich immer gleich als Sex betrachtet, also als ein entsprechender Körperkontakt. Für mich ist Sexualität aber zunächst eine Schöpferkraft, die in uns Menschen angelegt ist und im weitesten Sinne eine Kultur der Zärtlichkeit. Das im Orden zu leben bedeutet für mich, einen zarten Umgang mit sich selbst, mit seinen Mitmenschen und mit dem zu finden, was einen umgibt. Es geht nicht um einen Körperkontakt im Sinne einer sexuellen Annäherung, sondern tatsächlich um einen zärtlichen Umgang.

„Für mich steckt die Frage dahinter: Dient das, was ich tue, dem Leben – oder verhindert es Leben?“

—  Zitat: Schwester Franziska Dieterle

Frage: Was bedeutet das ganz konkret?

Dieterle: Das kann bedeuten empathisch und achtsam zu sein, mit mir selbst und mit allen Menschen, die mich umgeben und Dingen, die ich nutze. Das meine ich mit einer Kultur der Zärtlichkeit. Dafür gibt es unzählige Möglichkeiten, wie man das leben kann. Das fängt damit an, wie man über sich und andere denkt und welche Worte man gebraucht. Wenn mir zum Beispiel etwas herunterfällt und ich sage "Du Dummkopf!", ist das kein zärtlicher Umgang mit mir selbst.

Frage: Und was bedeutet das im Hinblick auf Fruchtbarkeit?

Dieterle: Fruchtbarkeit ist in erster Linie natürlich etwas Biologisches. Ein Same geht auf, wächst, reift und bringt Frucht oder es entsteht ein Kind. Für mich heißt das auch, dass ich da fruchtbar bin, wo ich Leben schaffe oder wo ich dem Leben diene. Da bin ich wieder beim Umgang mit anderen Menschen oder auch beim Umgang mit mir selbst. Für mich steckt die Frage dahinter: Dient das, was ich tue, dem Leben – oder verhindert es Leben? Und das im weitesten Sinn: Man kann Menschen zum Schweigen bringen oder so verletzen, dass sie sich verschließen. Dann finde ich nicht, dass man fruchtbar ist und dem Leben dient. Oder man kann sich so verhalten, dass ein Mensch einen Raum findet, wo er zum Blühen bringen kann, was in ihm angelegt ist. Worte wie blühen, wachsen oder entfalten geben uns schon in unserer Sprache einen Hinweis darauf, was im nicht-biologischen Sinn fruchtbar ist – und was eben nicht.

Schwester Franziska Dieterle mit verschränkten Armen
Bild: ©privat/katholisch.de

Schwester Franziska Dieterle nimmt für die Deutsche Ordensobernkonferenz am Synodalen Weg teil.

Frage: Sie sehen Fruchtbarkeit also nicht biologisch, sondern im Umgang mit allem?

Dieterle: Ich würde nicht sagen, dass ich es nicht biologisch sehe. Ich sehe es weiter. Auch ich bin eine Frau und es wäre fatal, wenn ich sagen würde: Wenn man in einen Orden geht, hat das nichts mehr mit Biologie zu tun und man lebt alles nur noch im übertragenen Sinne. Das klappt nicht, wie wir an den Entwicklungen und Enthüllungen in der katholischen Kirche sehen. Für mich hat das sehr viel damit zu tun, ob ich einen guten Umgang mit meiner Sexualität finde oder nicht – und das meine ich auch biologisch. Die Lebensform, die ich gewählt habe – ohne Partner und ohne partnerschaftlich gelebte Sexualität – ist grundsätzlich widernatürlich und entspricht nicht meiner biologischen Ausstattung. Und trotzdem kann ich das leben, wenn ich einen guten Umgang damit finde.

Frage: Wie sieht so ein guter Umgang denn aus?

Dieterle: Ich glaube, dass wir Menschen angewiesen sind auf Nähe, die wir auch körperlich spüren. Ich glaube, jeder zölibatär lebende Mensch braucht intime Freundschaften. Und mit Intimität meine ich nicht Geschlechtsverkehr, sondern einen Seelenfreund, der mir ganz nahe ist, dem ich mich zeigen kann, wie ich bin. Das bedeutet konkret, dass ich zum Beispiel Menschen brauche, die mich in den Arm nehmen. Dadurch verliebe ich mich ja nicht gleich in sie. Es ist auch keine sexuelle Annäherung, sondern erstmal ein Beziehungsgeschehen. Das können Mitschwestern sein, denen ich mich anvertrauen und die ich fragen kann: Kannst du mich mal in den Arm nehmen? Oder außerhalb der Gemeinschaft, bei Menschen in meinem Freundeskreis.

„Die Lebensform, die ich gewählt habe – ohne Partner und ohne partnerschaftlich gelebte Sexualität – ist grundsätzlich widernatürlich und entspricht nicht meiner biologischen Ausstattung. Und trotzdem kann ich das leben, wenn ich einen guten Umgang damit finde.“

—  Zitat: Schwester Franziska Dieterle

Frage: Aktuell wird häufig über den Pflichtzölibat gesprochen und nicht wenige fordern, ihn ganz abzuschaffen. Ordensmänner und -frauen kommen in dieser Diskussion aber selten vor. Sollte man auch darüber diskutieren, den Zölibat für Ordensleute abzuschaffen?

Dieterle: Nein. Ich sehe da einen ganz wesentlichen Unterschied: Wenn ich den Beruf des Priesters ergreifen möchte – den Dienst der Verkündigung, die Feier der Eucharistie –, dann kann ich das nach aktuellem Stand nur in der Lebensform des Zölibats. Das eine geht nicht ohne das andere. Wenn ich aber das Ordensleben wähle, dann wähle ich keinen Beruf, sondern eine Lebensform und entscheide mich ganz klar dafür. Ich selbst empfinde die Berufung zu dieser Lebensform und lebe sie im Orden. Die Lebensform des Zölibates hat eine Aussage- und Symbolkraft und ich glaube, dass es dafür eine Berufung gibt. Aber man sollte dem selbst auf die Spur kommen und eine Wahl haben. Als Priester habe ich die nicht – als Ordensfrau schon. Nachfolge kann ich ja auch leben, ohne dafür in einen Orden zu gehen. Es gibt genug Laien-Gemeinschaften, die eine bestimmte Ordensspiritualität in ihren Alltag tragen und leben, aber kein zölibatäres Leben führen, oder Personen, die Jesus nachfolgen und eine Familie haben.

Frage: Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für ein Leben im Orden. Kann das auch daran liegen, dass sie diese Lebensform nicht mit einem modernen Leben vereinbar sehen?

Dieterle: Grundsätzlich glaube ich, dass das Ordensleben kein Massenphänomen ist. Es ist normal und passt zu dieser Lebensform, dass das nicht viele Menschen machen. Sie geht eben auch gegen die Biologie und wenn das alle machen würden, gäbe es keine Kinder mehr. Gründe für den Eintritt, die in vergangenen Jahrhunderten vielleicht eine Rolle gespielt haben – einen sozialen Beruf ausüben, sich bilden und emanzipieren – spielen heute keine Rolle mehr. Ich glaube aber, dass das Ordensleben nach wie vor interessant ist, denn es kommen ja noch junge Menschen. Gerade in der heutigen Zeit, wo alles beliebig wird und es im Trend liegt, sich möglichst vieles offen zu halten und zu optimieren, da ist es ein krasses Gegenmodell, sich verbindlich für etwas zu entscheiden. Und trotzdem spricht das eine Sehnsucht im Menschen an und hat nach wie vor eine Kraft und eine Wirkung.

Von Christoph Brüwer

Zur Person

Schwester Franziska Dieterle (44) gehört der Kongregation der St. Franziskusschwestern Vierzehnheiligen an und lebt im Ausbildungskonvent in Nürnberg. Seit 18 Jahren ist sie Ordensschwester und arbeitet als Sozialpädagogin und in ihrer Gemeinschaft als Noviziatsbegleiterin. Für die Deutsche Ordensobernkonferenz nimmt sie am Synodalen Weg teil.