Auch Päpste kennen sie: Einsamkeit – ein weit verbreitetes Leiden
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In Großbritannien gelten neun Millionen Menschen als einsam. Deshalb hat das Land im Jahr 2018 ein Ministerium für Einsamkeit gegründet, als erstes der Welt. Aber kann die Politik das Problem überhaupt lösen? "Ich glaube nicht, dass man das Problem 'lösen' sollte", sagt Amy Perry, eine der Mitinitiatorinnen des Ministeriums. "Ich glaube, dass wir erst einmal anerkennen müssen, dass das Problem existiert, und dass es etwas Normales ist, dass wir alle irgendwann einmal durchleben."
Auch Deutschland hat entsprechende Zahlen vorzuweisen. Nach einer Studie fühlt sich hierzulande jeder Fünfte einsam, vor allem Jugendliche und Menschen über 80. Gerade die Einsamkeit bei älteren Menschen birgt ein hohes, gesundheitliches Risiko: Depressionen oder frühzeitige Demenz können die Folge sein. Bei Jugendlichen ist es paradoxerweise die häufige Nutzung sozialer Medien, die Einsamkeit begünstigt. Politiker in Deutschland fordern deswegen seit längerem ähnliche Maßnahmen wie jene in Großbritannien.
Doch Einsamkeit schleicht sich bisweilen in jedes Leben, und hat nichts zu tun mit Alleinsein, das ja als Quelle von Kreativität und Erholung geradezu wohltuende Effekte haben kann. So ist Einsamkeit nicht gebunden an die An- oder Abwesenheit von Menschen, kommt eher einer gefühlten inneren Isolation gleich. Das Gefühl, einsam zu sein, ist ein wichtiges Warnsignal. Es fordert dazu auf, dazugehören zu wollen, nach Menschen Ausschau zu halten, denen man vertrauen kann. Häufig tritt das Gefühl auf nach größeren Veränderungen im Leben: Nach einem Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land, nach dem Verlust des Jobs oder des Partners. Einen gewissen Schutz gegen Einsamkeit, so zeigen andere Studien, bieten emotionale Bindungen wie eine Partnerschaft oder die Zugehörigkeit zu einem Verein oder einer Kirche. Maike Luhmann, Psychologieprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum, formuliert es so: "Ein höherer Grad an sozialer Einbindung, Teil einer Gruppe zu sein, in die Kirche zu gehen oder sich ehrenamtlich zu engagieren, verbinden wir bis ins hohe Alter mit einem geringeren Grad an Einsamkeit."
In der Geschichte der Menschheit war die Zugehörigkeit zu anderen stets überlebenswichtig, und nicht umsonst war und ist der Ausschluss aus einer Gruppe gewissermaßen als Höchststrafe verschrien. Und da sind natürlich jene Menschen, die aufgrund ihrer Funktionen und der damit verbundenen Verantwortung dem bitteren Gesicht der Einsamkeit begegnen: Dass ein hoher Würdenträger wie der Papst mit solchen Augenblicken zu kämpfen hat, zeigt der Film "Die zwei Päpste". Besonders bewegend die wechselseitige "Beichte" der beiden Kirchenmänner, in der Benedikt XVI. Kardinal Bergoglio tief erschüttert von der Einsamkeit seiner Rolle und der Last der Verantwortung berichtet. Und wer und was symbolisiert Einsamkeit eindrucksvoller als der verlassene Jesus am Kreuz? Erst von seinen Anhängern gepriesen und dann von der ganzen Welt verlassen. Auch heute sind Menschen gefährdet, die von Massen bewundert werden: Stars, Künstler und Intellektuelle, die aufgrund ihrer Kreativität stark auf sich zentriert sind und hohe Anforderungen an ihre Mitmenschen stellen. Sie fühlen sich meist nur wohl unter ihresgleichen, heißt, sie halten allenfalls Kontakt zu ebenfalls chronisch Einsamen.
Ja, wir leben in einer Zeit, in der es schwieriger geworden ist, Kontakt mit anderen Menschen aufzubauen und ihn auch zu halten. So schwierig, dass es viele Menschen nicht mehr schaffen. Wer akut unter Einsamkeit leidet, darf bei der Wahl seiner Gesellschaft allerdings nicht zu wählerisch sein. Denn nur in der Hinwendung zu den Mitmenschen ergeben sich Chancen für ein sinnhafteres Leben, es ist und bleibt die einzige Möglichkeit, Einsamkeit zu lindern. Und noch etwas: Könnte es sein, dass Einsamkeit der Zustand ist, in dem wir Gott begegnen können?
Die Autorin
Brigitte Haertel ist Redaktionsleiterin von "theo – Das Katholische Magazin".Hinweis: Der Artikel erschien zuerst im "theo"-Magazin.