Kirchen kritisieren Verfassungsgerichtsurteil zur Suizidbeihilfe
Die beiden großen Kirchen haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe scharf kritisiert. "Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar. Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen", erklärten die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Mittwoch in einer gemeinsamen Stellungnahme. Je selbstverständlicher und zugänglicher Optionen der Hilfe zur Selbsttötung würden, desto größer sei die Gefahr, dass sich Menschen in einer extrem belastenden Lebenssituation innerlich oder äußerlich unter Druck gesetzt sähen, von einer derartigen Option Gebrauch zu machen und ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten.
Aus Sicht der Kirchen entscheiden sich an der Weise des Umgangs mit Krankheit und Tod "grundlegende Fragen unseres Menschseins und des ethischen Fundaments unserer Gesellschaft". Die Würde und der Wert eines Menschen dürften sich nicht nach seiner Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere, seiner Gesundheit oder seinem Alter bemessen. "Sie sind – davon sind wir überzeugt – Ausdruck davon, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat und ihn bejaht und dass der Mensch sein Leben vor Gott verantwortet", so Bischofskonferenz und EKD. Die Qualität einer Gesellschaft zeige sich gerade in der Art und Weise, "wie wir einander Hilfe und Unterstützung sind".
Kirchen wollen Fürsorge und Begleitung stärken
Die Kirchen kündigten an, sich weiter dafür einzusetzen, Menschen in besonders vulnerablen Situationen Fürsorge und Begleitung anzubieten. Neben den bereits bestehenden und weiter auszubauenden Angeboten palliativer und hospizlicher Versorgung gehöre dazu auch die Frage, wie man Menschen, die einsam seien, Hilfe anbieten und sie seelsorglich begleiten könne: "So wollen und werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass organisierte Angebote der Selbsttötung in unserem Land nicht zur akzeptierten Normalität werden."
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Der Vorsitzende der Unterkommission Bioethik der Bischofskonferenz, Bischof Gebhard Fürst, bedauerte in einer Stellungnahme ebenfalls den Richterspruch. Das Urteil erhöhe "den inneren und äußeren Druck auf Alte, Schwerkranke und Pflegebedürftige, von der Option der geschäftsmäßigen Sterbehilfe Gebrauch zu machen, um keine Last für die Angehörigen zu sein". Einen Abschied in Würde zu ermöglichen, bedeute aus christlicher Sicht, dass der Sterbende an der Hand eines Menschen sterbe – und nicht durch sie. Gerade in seinem letzten Lebensabschnitt brauche der Mensch vor allem Zuwendung, Schutz und Trost, so der Rottenburger Bischof.
Freiburgs Erzbischof Stephan Burger erklärte: "Sterbende Menschen und ihre Angehörigen müssen einen Platz in der Normalität unseres Alltags haben." Das Karlsruher Urteil dürfe nicht dazu führen, dass Selbsttötung "zur Normalität" werde. Vielmehr gelte es, Wege zu suchen, die ein Sterben in Würde ermöglichten. Auch besage die christliche Überzeugung, dass der Mensch sein Leben dem Schöpfer verdanke und dieses geschenkte Leben nicht eigenmächtig beenden sollte.
"Sterbehilfe kann kein Geschäftsmodell sein"
Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck betonte: "Sterbehilfe kann kein Geschäftsmodell sein." Er habe die Sorge, dass alte und schwache Menschen nun "glauben, sie seien eine Last", sagte Overbeck am Rande des Sozialpolischen Aschermittwochs der Kirchen in Essen. "Jeder Mensch hat ein Recht auf einen würdevollen Tod, aber der Zeitpunkt wird von Gott bestimmt."
Fuldas Bischof Michael Gerber warnte nach dem Urteil vor einem möglichen "Druck zur Selbsttötung". Die Entscheidung der Richter des Bundesverfassungsgerichts zugunsten der Selbstbestimmung dürfe nicht ins Gegenteil umschlagen und Fremdbestimmung fördern – etwa wenn "dem Umfeld des Leidenden die emotionale und auch finanzielle Belastung als zu hoch erscheint", erklärte der Bischof. Die Gesellschaft sollte Leiden und Sterben nicht ausblenden, sondern das Lebensende als "wertvolle Phase" gestalten.
"Das Erbarmen mit lebensmüden, schwerstbehinderten und schwerstkranken Menschen hat in Deutschland am Mittwoch ein Ende gefunden", sagte Erfurts Bischof Ulrich Neymeyr in Reaktion auf das Urteil. Der Richterspruch sei ein Ausdruck der Kultur des Todes, die Papst Johannes Paul II. immer wieder beklagt habe. Die Entscheidung der Karlsruher Richter sei zugleich ein "Schlag ins Gesicht" all derer, die sich um schwerstkranke und suizidgefährdete Menschen kümmerten.
Mit Bestürzung reagierte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. "Dieses Urteil ist ein tiefer Einschnitt für den Schutz des Lebens in unserem Land", so Sternberg. Der Wegfall des Verbots der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung laufe auf eine folgenreiche Umwertung hinaus: Was als schrankenlose Selbstbestimmung am Lebensende propagiert werde, könne zu einer gesellschaftlichen Normalisierung des assistierten Suizids und bei kranken, schwachen und auf Unterstützung angewiesenen Menschen zur Verinnerlichung eines Erwartungsdrucks und einem Sterbewunsch führen. "Hier droht vielen Menschen statt der verheißenen Selbstbestimmung eine wachsende Fremdbestimmung am Lebensende. Jeder Mensch hat das Recht auf ein Sterben in Würde – aber die Vorstellung einer Gesellschaft, in der die Selbsttötung als Dienstleistung verfügbar ist, hat für mich nichts mit der Achtung der Menschenwürde zu tun", betonte der ZdK-Präsident.
Caritas-Präsident Neher: Sterbehilfe verstößt gegen die Menschwürde
Der Präsident des Deutschen Caritasverbands, Prälat Peter Neher, betonte, dass sterbenskranke Menschen eine Begleitung brauchten, die ihre Ängste und Nöte und die ihrer Angehörigen ernst nehme. "Sie müssen alle mögliche Unterstützung erfahren, um würdevoll sterben zu können. Wir werden uns weiterhin unermüdlich für eine gute Hospiz- und Palliativversorgung einsetzen. Sterbehilfe verstößt gegen die Menschwürde und gegen das christliche Menschenbild", so Neher wörtlich. Ziel einer guten Betreuung und Begleitung am Lebensende müsse es sein, die körperlichen Schmerzen zu lindern, vor denen sich viele Menschen fürchteten.
Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor das geltende Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe gekippt. Entsprechend erklärte der Zweite Senat die 2015 vom Bundestag verabschiedete Neufassung des Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch für nichtig, weil damit die Möglichkeit „einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert“ werde. (stz)
26.02.2020, 15:30 Uhr: ergänzt um weitere Stellungnahmen
27.02.2020, 13 Uhr: ergänzt um weitere Stellungnahmen