"Grundsolidarität" statt totaler Identifikation

Ex-Generalvikar Beer: Kirchliches Arbeitsrecht muss flexibler werden

Veröffentlicht am 26.02.2020 um 13:08 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Die besondere Verpflichtung zur Loyalität ist immer schwerer zu vermitteln – sowohl gegenüber Mitarbeitern wie gegenüber Gerichten: Der ehemalige Münchner Generalvikar Peter Beer macht deshalb Vorschläge zur Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechts.

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Der ehemalige Münchner Generalvikar Peter Beer hat sich dafür ausgesprochen, das kirchliche Arbeitsrecht flexibler zu gestalten. In einem Beitrag der aktuellen Ausgabe der "Herder-Korrespondenz" (März) betonte Beer, dass sich die Konzepte der Dienstgemeinschaft wie der Loyalitätspflichten kirchlicher Mitarbeiter mit Blick auf eine plurale Realität in der Kirche weiterentwickeln müssten.

Dabei stellte Beer fest, dass es ihm gerade nicht um eine Abkehr von einem kirchlichen Eigenrecht geht. Sowohl unter kirchlichen Mitarbeitern wie vor staatlichen Gerichten gelte es, kircheneigene Regelungen besser plausibel zu machen. Beer plädiert dafür, kirchliches Arbeitsrecht als "Ausdruck von Kirche-sein" und zum Sendungsauftrag der Kirche zu verstehen. Die Fragen, warum es überhaupt spezifische kirchliche Regelungen brauche und woraus dieses kirchlich Spezifische bestehe, müsse zuerst geklärt sein.

Anforderungen an Arbeitnehmer differenzieren

Konkret spricht sich Beer für eine Revision der Konzepte der Dienstgemeinschaft und der sogenannten Loyalitätsobliegenheiten aus. "Dienstgemeinschaft" bezeichnet im kirchlichen Sprachgebrauch die Gemeinschaft der kirchlichen Mitarbeiter auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite (im kirchlichen Sprachgebrauch Dienstnehmer und -geber), die mit ihrer Arbeit am Sendungsauftrag der Kirche teilhaben. Für Beer könne man angesichts der tatsächlichen Pluralisierung unter den Mitarbeitern diesen Begriff nicht mehr so verstehen, "dass an alle Glieder der Dienstgemeinschaft die gleichen kirchlichen Anforderungen als verbindendes Identitätsmerkmal gestellt werden". Stattdessen müsse man zur Kenntnis nehmen, dass die Dienstgemeinschaft "immer auch schon Teil der Welt ist, in die sie hineinwirken und die sie verändern will".

Daraus folge, dass man die Anforderungen an Arbeitnehmer differenzieren müsse: "Denkbar wären hier Berufsgruppen wie etwa caritativ-pflegerisch-beratend, pädagogisch-erzieherisch, pastoral- verkündigend, verwaltend-unterstützend." Insbesondere wäre damit auch eine Beschäftigung nicht-katholischer Mitarbeiter zu begründen, die zwar nicht in voller Gemeinschaft mit der Kirche stehen, aber in Teilen an ihrem Sendungsauftrag mitwirken können.

Institutionenorientiertes Loyalitätsverständnis

Um dies zu ermöglichen, müssen "die im Arbeitsrecht an die Arbeitnehmer gestellten kirchlichen Anforderungen jene Pluralität und Dynamik zulassen […], ohne die Identität der Dienstgemeinschaft als solche zu gefährden". Dazu gehört auch ein neues Verständnis von Loyalität. Beer spricht sich dabei für einen Wechsel des Blickwinkels aus. An Stelle der Forderung einer "Vollidentifikation" mit dem kirchlichen Arbeitgeber könne "eine gewisse Grundsympathie" und "Grundsolidarität" stehen, "die im Handeln die Grundausrichtung an denselben Zielen bedeutet, dabei aber Unterschiede im Detail keineswegs ausschließt". Ein solches Loyalitätsverständnis setze mehr auf Individualität und Pluralität, "ohne das Gemeinsame aus dem Blick zu verlieren".

Streik vor Ottweiler Krankenhaus
Bild: ©Michael Merten/KNA (Archivbild)

Streiks sind im kirchlichen Arbeitsrecht ausgeschlossen. Dennoch zeichnet sich ab, dass das Streikverbot auf der Kippe steht. Erstmals haben 2017 Beschäftigte der katholischen Marienhausklinik im saarländischen Ottweiler einen Warnstreik aufgenommen.

Beer spricht sich dabei für einen eher institutionenorientierten als personenorientierten Ansatz aus: "Dementsprechend hängt die Glaubwürdigkeit einer kirchlichen Einrichtung nicht daran, ob einzelne Mitarbeiter alle Loyalitätsobliegenheiten erfüllen, sondern jeder die für sein Tätigkeits- und Aufgabenfeld relevanten." Der institutionenorientierte Ansatz habe zur Folge, "dass das Verständnis der Dienstgemeinschaft als plural und dynamisch und jenes von Loyalität als Grundsympathie in den Vordergrund rückt".

Kirchliches Arbeitsrecht in der Diskussion

Derartige Konzepte zur Weiterentwicklung des kirchlichen Arbeitsrechts werden derzeit in einer Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz diskutiert. Religionsgemeinschaften haben in Deutschland ein durch das Grundgesetz garantiertes Selbstbestimmungsrecht, das auch eigene Regelungen im Bereich des Arbeitsrechts umfasst. Im katholischen Bereich regelt eine von den Bischöfen erlassene "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" besondere Loyalitätsobliegenheiten. Außerdem gelten statt dem staatlichen Betriebsverfassungsgesetz eigene Regelungen zur betrieblichen Mitbestimmung. Anstelle von Arbeitskampf und Tarifverhandlungen wird im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts der sogenannte "Dritte Weg" angewandt, bei dem paritätisch besetzte Kommissionen aus Dienstgebern und Dienstnehmern Regelungen aushandeln. Auch die evangelische Kirche wendet ähnliche Regelungen an.

Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes wurde zuletzt 2015 geändert, um "vielfältigen Veränderungen in der Rechtsprechung, Gesetzgebung und Gesellschaft" Rechnung zu tragen, wie es damals in einer Pressemitteilung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) hieß. Damals wurden unter anderem die Loyalitätsobliegenheiten neu gefasst mit Blick auf den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexuellen.

Das kirchliche Arbeitsrecht ist in den vergangenen Jahren in die Diskussion geraten. Während das deutsche Bundesverfassungsgericht traditionell das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen sehr stark gemacht hat, herrscht dagegen vor allem auf europäischer Ebene Skepsis. Einige Urteile des Europäischen Gerichtshof zur Reichweite der Loyalitätsobliegenheiten gingen zuungunsten der kirchlichen Dienstgeber aus und haben den Beurteilungsspielraum der staatlichen Gerichte gegenüber kircheninternen Entscheidungen gestärkt.

Peter Beer war von 2009 bis 2019 Generalvikar der Erzdiözese München und Freising. Er ist Vorsitzender des Stiftungsrats der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Im April nimmt der promovierte Theologe und Pädagoge einen Lehrauftrag als Professor am Zentrum für Kinderschutz (CCP) an der Päpstlichen Universität Gregoriana auf. (fxn)