Vergessenes Brauchtum in der Fastenzeit
Todaustragen
Am vierten Fastensonntag, dem Sonntag Laetare, gibt es mancherorts noch einen Brauch, der mit der langsam beginnenden Frühlingszeit zusammenhängt: das Todaustragen. Obwohl dieses Brauchtum regional sehr unterschiedlich ist, wird doch überall eine Figur aus Stroh oder ähnlichem Material in einem festlichen Umzug durch das Dorf getragen. Dabei werden Lieder gesungen oder andere Sprüche aufgesagt. In manchen Gegenden ist mit dem Todaustragen auch ein Heischebrauch verbunden, in dessen Zuge man an den Häusern der Einwohner um eine kleine Gabe bittet. Der Höhepunkt ist das Hinaustragen der Figur aus dem Dorf und die Zerstörung derselben zum Beispiel durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen.
Die Ursprünge dieses Brauchtums liegen im Dunkeln. Möglich ist, dass es sich hierbei um einen alten heidnischen Brauch handelte, der in Zusammenhang mit dem Frühlingsbeginn stand und den Winter personifizierte. Der Winter wurde gewissermaßen aus einem Dorf hinausgetragen und zerstört; alles Dämonische und Böse musste dem Guten weichen, das im Frühling und in der wieder erwachenden Natur seinen Ausdruck fand. Im Zuge der großen Pestepidemien in Europa könnte dieser Brauch neuen Aufschwung erhalten haben: Die Pest, der schwarze Tod, wurde dabei sehr augenfällig aus den Wohnbereichen der Menschen verbannt.
Linktipp: Das bedeuten die Fastensonntage
Sie verleihen der österlichen Bußzeit Struktur und unterbrechen sie: die Fastensonntage. Jeder von ihnen hat einen bestimmten Namen, jedem von ihnen kommt eine besondere liturgische Bedeutung zu. Katholisch.de erklärt, was es mit den Fastensonntagen auf sich hat.Vielleicht wurde die Tradition auch christlich umgedeutet: Die Evangelien der Fastenzeit weisen auf die Auferstehung Jesu und auf das Ende des Todes hin, wie zum Beispiel die Erweckung des Lazarus deutlich macht. Möglich, dass man hier einen Anknüpfungspunkt für den Brauch des Todauftreibens sah und das Verbrennen der Todes-Figur den Sieg Jesu über den Tod symbolisierte.
Eindeutig lassen sich die Spuren der Geschichte nicht mehr zurückverfolgen. Das liegt wohl auch daran, dass hier zwei Traditionen verschmolzen sind und das Todaustragen mit der Austreibung des Winters verknüpft wurde. Welches Brauchtum älter ist, lässt sich dabei nicht mehr mit Gewissheit ausmachen. Dass beide Traditionen mittlerweile zusammengehören zeigt zum Beispiel ein altes Lied in fränkischer Mundart, in dem es heißt: „Der Totensonntag is kumma, a Veichela hommer gfunna“ („Der Totensonntag ist gekommen, wir haben ein Veilchen gefunden“). Das Auffinden des Veilchens (als Zeichen des Frühlings) und der Totensonntag (also der Sonntag des Todaustragens) hängen hier zusammen.
Der Funkensonntag
Als Funkensonntag wird der erste Fastensonntag, der sogenannte Sonntag „Invocabit“, bezeichnet. Funkensonntag wird dieser Tag deshalb genannt, weil an ihm vielerorts die Funkenfeuer entzündet wurden und die Menschen mit brennenden Fackeln über die Felder ihrer Dörfer zogen. Wie genau dieser Brauch abläuft, ist wiederum regional verschieden. Teilweise gibt es auch die in der alpinen Gegend verbreitete Tradition, brennende Holzscheiben von den Bergen in die Täler hinab zu rollen. Auch das Funkenschlagen, bei dem eine brennende Holzstange bis zum Erlöschen geschwenkt wird, ist an diesem Tag in manchen Gegenden verbreitet.
Der Ursprung dieses Brauchtums liegt wiederum in einem alten Fruchtbarkeitsritual begründet. Der Zug über die Felder soll ihre Fruchtbarkeit wecken, was gerade im Blick auf den beginnenden Frühling von sehr großer Bedeutung war. Im alemannischen Raum ist das Funkenfeuer auch mit dem Todaustragen verknüpft: Hier wird auf den Funkenfeuern eine Strohpuppe, die „Funkenhex“, verbrannt, die den Tod bzw. den Winter symbolisiert. Auch die Funkenfeuer sind daher ein klassisches Brauchtum, das in engem Zusammenhang mit dem Frühlingsbeginn steht. Aus christlicher Perspektive markieren die Funkenfeuer am ersten Fastensonntag auch den Beginn der Fastenzeit und das Ende der Fastnacht. Freilich ist beides eigentlich mit dem Aschermittwoch verbunden, doch konnten auch hier in früheren Zeiten regionale Unterschiede ausgemacht werden.
Vielleicht liegen die Ursprünge der Funkenfeuer auch in ganz profanen Tätigkeiten: Zum Abbrennen der Haufen brauchte man Brennmaterial, das wohl hauptsächlich aus unterschiedlichem Unrat bestand. Wenn zum Frühjahrsbeginn Haus und Hof gereinigt wurden, gab es wohl manches, was auf dem Holzhaufen landete. Die damals typische Entsorgungsart war eben das Verbrennen, was später vielleicht tatsächlich in ritualisierter Form ausgeübt wurde.
Der Rosensonntag
Die Goldene Rose ist eigentlich kein richtiges Brauchtum, sondern eine päpstliche Auszeichnung. Wohl erstmals um das Jahr 1096 wurde die Auszeichnung verliehen, bezeugt ist sie jedenfalls für dieses Jahr. Papst Urban II. schenkte sie zu dieser Zeit dem Grafen von Anjou. In späteren Jahren wurde die Anerkennung vor allem jenen zuteil, die sich um den Papst bzw. den Kirchenstaat verdient gemacht hatten. Herrscherinnen und Herrscher, aber auch Städte, Kirchen und Wallfahrtorte wurden durch die Jahrhunderte hindurch mit der Goldenen Rose ausgezeichnet. Die Rose selbst besteht übrigens aus vergoldetem Silber, das in Form eines Rosenstrauches gearbeitet ist; das Innere der Rose ist mit duftenden Ölen gefüllt, sodass die Rose des Papstes auch wirklich duftet. Zuletzt hat Papst Franziskus im Juni 2019 die Basilika Unsere Liebe Frau in Șumuleu Ciuc in Siebenbürgen mit der Goldenen Rose geehrt.
Was die päpstliche Auszeichnung nun mit der Fastenzeit zu tun hat? Traditionell überreicht der Papst die Rose am vierten Fastensonntag, weshalb dieser auch den Beinamen „Rosentag“ oder „Rosensonntag“ trägt. Auch der „Rosenmontag“ (der zwar der Fastenzeit vorausgeht) hängt damit zusammen: Das Kölner Fastnachtskomitee tagte seit 1823 immer am Montag nach dem vierten Fastensonntag, weshalb das Komitee bald als „Rosenmontagsgesellschaft“ bezeichnet wurde.
Das Ratschen
„Die Glocken fliegen in den Kartagen nach Rom, wo sie vom Papst gesegnet werden“: So erklärt zumindest der Volksmund das Schweigen der Glocken, das mit dem Gloria am Gründonnerstag einsetzt und bis zum Gloria der Osternacht andauert. Die von Trauer um die Kreuzigung Jesu getragene Zeit bis zur Osternacht ist von einer großen Stille geprägt. Alles ist auf das Wesentliche konzentriert, weshalb ab dem Gründonnerstag auch auf das Orgelspiel verzichtet wird. Auch die Feierlichkeit des Glockengeläuts passt nicht in diese Stimmung.
Als Alternative zum Gebetsaufruf, den normalerweise das Glockenläuten bildet, steht in den Kartagen das Ratschen. Mit hölzernen Instrumenten, die hauptsächlich auf das Erzeugen von Lärm angelegt sind, wird mancherorts heute noch durch die Straßen gezogen. Dabei werden unterschiedliche Sprüche aufgesagt, mit denen entweder zum Gottesdienst eingeladen oder an die Gebetszeit erinnert wird. Ein solcher Vers lautet zum Beispiel: „Wir klippern und klappern den Englischen Gruß, den jeder katholische Christ beten muss: Das Ave Maria gratia plena“. In einigen Gemeinden haben sich auch große Holzratschen erhalten, die sich in den Kirchtürmen befinden. Anstelle der Glocken erklingt in den Kartagen der Lärm der Ratschen vom Turm.
Der markante Klang der Holzklappern betont den ernsten Charakter dieser Tage. Mitunter heißt es auch, das laute Geräusch der Ratschen würde an die Schläge erinnern, mit denen Jesus einst ans Kreuz genagelt wurde. Alles in allem hat die Tradition des Ratschen vor allem den Hintergrund, jegliche Festlichkeit, die durch das Läuten von Glocken entstehen würde zu vermeiden und die Traurigkeit zu betonen, von der die Kartage geprägt sind. Heute sind es vielerorts Ministrantengruppen, die den Brauch des Ratschens bewahren und durch die Dörfer ziehen. Oft erhalten sie von den Einwohnern dafür eine kleine Gabe.