Der erste Tag der Vollversammlung: Kirche an einer Zeitenwende?
Die Kirche befindet sich in einer Umbruchsituation, da ist sich Kardinal Reinhard Marx sicher. Es habe "sich manches zugespitzt" und einige richtungsweisende Entscheidungen stünden an, gab der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz in seiner letzten Pressekonferenz in diesem Amt zu. Vor wenigen Wochen hatte der Münchener Erzbischof angekündigt, "für eine eventuelle zweite Amtszeit nicht zur Verfügung" zu stehen. "Ich finde, es sollte die jüngere Generation an die Reihe kommen", hatte er Mitte Februar gesagt. Vor Beginn der Frühjahrs-Vollversammlung der deutschen Bischöfe wollte Marx dem "nichts mehr hinzufügen".
Selbst der Rückblick auf die sechs Jahre seiner Zeit als DBK-Vorsitzender fiel spärlich aus, auch wenn es an Themen nicht gefehlt hätte: die schleppende Bewältigung des Missbrauchsskandals, die schwierige Reform des finanzstarken Verbands der Diözesen Deutschlands und der von Kontroversen begleitete Beginn des Synodalen Wegs. Entscheidungen, die die deutsche Kirche für die kommenden Jahrzehnte prägen werden.
Doch auch wenn die Kirche an einer Zeitenwende stehen mag, treffen sich die Bischöfe turnusmäßig zu ihrer Frühjahrsvollversammlung – in diesem Jahr in Mainz. Alles scheint seinen gewohnten Gang zu gehen und auch Marx betont, dass "die Wahl eines Vorsitzenden etwas ganz normales" sei. So dankte ihm Bischof Franz-Josef Bode im Namen der anderen Bischöfe mit bewegten Worten und übergab dem Kardinal einen Gutschein für eine Reise nach Schottland – zur Erholung nach den aufreibenden Jahren an der Spitze der DBK.
Bei den Laien macht sich derweil statt Entspannung immer mehr Anspannung breit: Nach dem Start des kirchlichen Reformprozesses in Frankfurt am Main Ende Januar sind die Hoffnungen auf echte Veränderungen in der Kirche gestiegen. Ihren Erwartungen an den Synodalen Weg machen die katholischen Frauenverbände mit einem symbolischen Akt auf dem Mainzer Marktplatz vor dem Dom Luft: Vertreterinnen der großen Verbände kfd und KDFB übergeben dem Synodalpräsidium mehr als 130.000 Unterschriften von Gläubigen, die eine geschlechtergerechte Kirche fordern – und damit etwa auch die Priesterweihe von Frauen. Sie mahnen Entscheidungen und Ergebnisse statt langer Diskussionen an. Denn viele der Anwesenden setzen sich bereits seit Jahrzehnten für kirchliche Reformen ein. Bereits vor dem Pressetermin standen sie gemeinsam in lilafarbener Kleidung in einem Halbrund vor der Mainzer Bischofskirche und sangen Taizé-Gesänge und Protest-Lieder. Doch nicht allen reformwilligen Katholiken reicht das: Sie fordern ein drastischeres Vorgehen.
Bei einer Pressekonferenz mehrerer Verbände im Vorfeld der Vollversammlung sprach sich etwa Angelika Fromm für einen Kirchenaustritt auf Zeit aus. Die Mitbegründerin der Aktion "Lila Stola" setzt sich seit Ende der 1990er Jahre für den Diakonat der Frau ein. Während andere Gruppierungen wie "Maria 2.0" vergleichsweise jung sind, kann Fromm auf eine längere Protestgeschichte zurückblicken – und damit auch auf deren Misserfolge. Im Gegensatz zu Demonstrationen würden Kirchenaustritte die Bischöfe finanziell schmerzen und so eher zu konkreten Veränderungen führen, glaubt sie.
Auch die Opfer sexuellen Missbrauchs durch Kirchenmitarbeiter sind des Wartens müde. Der Sprecher der Betroffenenorganisation "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, sagte beim gleichen Pressetermin, dass man sich nicht mit einer Anerkennung des Erlittenen zufriedengeben werde. Missbrauchsopfer hätten ein Recht auf eine angemessene Entschädigung. Sollte das Ergebnis der Versammlung in Mainz nicht konkrete Maßnahmen beschließen, wie Betroffene zu entschädigen seien, ziehe er eine nächste Stufe des Protests in Betracht: "Wir haben bisher davon abgesehen, Gottesdienste zu stören".
Eine Kirchenvolksrevolution ist in Mainz dennoch nicht zu erwarten. Denn auch wenn man harte Worte wählt, setzt man noch immer auf die Bischöfe, vor allem auf den neuen Vorsitzenden. So hofft Aktivistin Fromm auf einen Bischof, der "die Reformwilligen um sich schart", um mit einer schlagkräftigen Mehrheit im deutschen Episkopat Reformen durchzusetzen. Auch die kfd-Bundesvorsitzende Mechthild Heil betont: "Der Neue soll bis nach Rom kundtun, dass wir hier nicht die Kirche spalten wollen". Im Gegenteil, man sei ihr Kern. Das hatte auch Thomas Sternberg als Präsidiumsmitglied des Synodalen Wegs bei der Übergabe der Unterschriften gesagt: Er dankte den Frauen, deren Proteste "in und für die Kirche" geschehen würden.
Auch wenn Ergebnisse beim Synodalen Weg noch lange nicht in Sicht sind, versucht Marx bei der Bischofs-Vollversammlung die in Frankfurt geweckten Hoffnungen nicht zu enttäuschen: In seiner Predigt während des Eröffnungsgottesdienstes im Mainzer Dom schrieb er der seinen bischöflichen Mitbrüdern und allen Gläubigen ins Stammbuch, "die Zeichen der Zeit zu erkennen, um eine Kirche des Aufbruchs zu sein." Er fügte hinzu: "Haben wir den Mut, das hinter uns zu lassen, was nicht der Kern unseres Glaubens, was schal geworden ist?" Er wünsche sich eine Kirche, die spüre, "was diese Epoche, diese Gesellschaft von uns erwartet, was notwendig ist, was ansteht". Eine große Aufgabe, der sich künftig ein anderer Bischof an der Spitze der DBK stellen muss.