Wie eine Kirchengemeinde um ihre Franziskaner kämpft
Eine rote Backsteinkirche, zentral auf einem Platz, drumherum eine Straße, Wohnhäuser, gediegene Restaurants, ein Geschäft für Kinderbekleidung, eine Buchhandlung. Bäume und Blumenrabatte auf dem großzügigen Kirchenvorplatz, daneben ein Spielplatz.
Sankt Ludwig heißt das katholische Gotteshaus in Berlin-Wilmersdorf, unweit des weltbekannten Kurfürstendamms, zwischen 1895 und 1897 erbaut. Bis zu 2.000 Menschen kommen hier an jedem Wochenende in einen der fünf Gottesdienste - eine absolute Ausnahme im kirchenfernen Berlin, in dem nur etwa neun Prozent der Einwohner katholisch sind. So gilt Sankt Ludwig als attraktivste Gemeinde der Hauptstadt - mit beinahe internationaler Ausstrahlung, sagen Gemeindemitglieder.
Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), die zwei Minuten vom Ludwigkirchplatz entfernt wohnt und hier regelmäßig den Gottesdienst besucht, empfindet das so. Das Kirchengebäude, der Platz, das Miteinander der Gemeinde. Es ist ein "Sonderfall in der städtischen Topografie, der sich glücklich zusammenfügt", sagt die Katholikin. "Hinzu kommt die menschenfreundliche und weltoffene Spiritualität der Franziskaner, die uns mitten in der Großstadt guttut. Prototypisch dafür ist Pater Josef. Seine gelassene Intellektualität und Seelsorge sind offenbar gefragt."
Bis zu 400 Menschen besuchen die "Messe für Ausgeschlafene", wie es salopp heißt, die ab 12.00 Uhr jeden Sonntag stattfindet, und in der meistens Franziskanerpater Josef Schulte predigt. Der Gottesdienst zieht nicht nur die Gemeindemitglieder aus den umliegenden Straßen an, darunter Intellektuelle und Medienvertreter wie ZDF-Chefredakteur Peter Frey. Es sind auch Diplomaten und Christen, die extra aus Brandenburg kommen.
Es ist eine finanzstarke und florierende Gemeinde mit Kita, einem Hort und einer Schule; entsprechend ist auch die Familienmesse ab 10.30 Uhr immer gut besucht. Viele Kinder, nicht nur alte Leute, gute Predigten, schöne Musik: "Man geht behütet aus dem Gottesdienst", sagt Ute Gericke vom Kirchenvorstand.
So war der Aufschrei groß, als die Franziskaner, die seit Ende der 1980er Jahre die Gemeinde Sankt Ludwig betreuen, im vergangenen Oktober wegen fehlenden Nachwuchses im Orden überraschend ihre Abberufung für kommenden August bekannt geben mussten: Der Provinzial, Pater Cornelius Bohl, war für die Überbringung dieser Hiobsbotschaft extra aus München angereist.
Tränen, Unverständnis, lange Debatten nach dem Gottesdienst - dann nahmen Gemeindemitglieder ihr Schicksal selbst in die Hand. Sie sammelten mit einer in den Messen verlesenen Petition 1.800 Unterschriften unter den Gläubigen um zu signalisieren, dass sie ab jetzt Mitverantwortung übernehmen wollten, und übergaben diese dem Provinzialat und dem Erzbistum Berlin. Danach fingen sie selbst an, nach Lösungen zu suchen.
Für Gericke vom Kirchenvorstand ist dabei entscheidend, Sankt Ludwig weiter darin zu unterstützen, "Anziehungspunkt" zu sein. So hört sich die Gemeinde auf eigene Faust nach geeigneten Geistlichen um, die bereit sind, einen der fünf sonntäglichen Gottesdienste zumindest vertretungsweise zu übernehmen. Jesuitenpater Klaus Mertes, ehemaliger Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, wurde bereits angefragt.
Auch für Pater Josef und Mitbruder Norbert bieten sie eine Lösung an: Sie sollen mietfrei in den Räumen der Gemeinde am Ludwigkirchplatz wohnen bleiben können. Ein Vorschlag, mit dem beide Patres, die seit Jahrzehnten in der Gemeinde tätig sind, sie aufgebaut und viele Menschen von der Taufe bis zur Hochzeit begleitet haben, einverstanden wären - wenn denn der Provinzial der Franziskaner und das Erzbistum der Idee zustimmen. Die Entscheidung steht noch aus.
Wie Pater Josef jeden Sonntag in Berlin die Kirche voll bekommt
Wie kann man heute noch Menschen für die Heilige Messe begeistern? Ein Berliner Pater hat gleich an mehreren Stellen an Stellschrauben gedreht: Dazu gehört die richtige Uhrzeit, die richtige Musik – aber vor allem die richtigen Worte.Ein Vorteil dabei wäre auch, dass Pater Josef, solange es seine Gesundheit erlaubt, weiter die begehrte Messe um 12.00 Uhr halten könnte - eine personelle Entlastung bei fünf Gottesdiensten am Wochenende, 100 Taufen im Jahr sowie 100 Kommunionkindern, sagt Gericke.
Der Vorschlag ist an sich ungewöhnlich: Franziskanerpatres leben eigentlich in Gemeinschaft mit anderen Ordensmitgliedern und sind zudem ihrem Ordensoberen zum Gehorsam verpflichtet. Auch ist ein regelmäßiger Wechsel der Tätigkeit alle paar Jahre vorgesehen. Gericke wendet ein: "Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Mittel. Was wir jedenfalls nicht wollen, ist, tatenlos zuzusehen, wie das vorhandene Potenzial nicht genutzt wird." Auch wären die Franziskanerpatres weiter an die zweite Berliner Niederlassung Pankow angebunden, wo der Orden weiterhin eine Suppenküche betreibt.
Pater Maximilian Wagner, der die Pfarrei Sankt Ludwig derzeit leitet, und Pfarrvikar Pater Damian Bieger, bedauern zwar, dass sie Sankt Ludwig verlassen müssen. Sie sagen aber auch: "Es ist um jeden Ort, den wir aufgeben müssen, schade." Und hätte der Orden denn der reichen Gemeinde im Westen der Stadt den Vorzug vor der Suppenküche im Osten geben sollen? "Wir sehen uns als Franziskaner eher am Rand der Gesellschaft", betont Pater Damian. Und regelmäßig Ort und Tätigkeit zu wechseln - das gehöre bei Ordensangehörigen eben dazu.
Vielleicht sei der Weggang auch eine Chance für die Gemeinde, einen schärferen Blick für die soziale Wirklichkeit des Viertels unweit des Zoos zu bekommen, finden die Brüder. Insider beschreiben die teilweise großbürgerliche Klientel auch mit ironischem Unterton. "Meinen Fisch kaufe ich ausschließlich im KaDeWe, und zu meinem Gottesdienst gehe ich ausschließlich nach Sankt Ludwig", heißt es etwa. Es ist eine reiche Gemeinde im Herzen des Berliner Westens: So wurden die Kosten für die Sanierung der Kirche von rund 270.000 Euro innerhalb von zwei Jahren allein durch Spenden aufgebracht.
Eine Lösung von Seiten des Erzbistums ist für Sankt Ludwig bisher nicht in Sicht. Das macht Gemeindemitglied Grütters Sorgen: "Der Erzbischof muss jetzt sehr schnell eine starke Figur finden", findet sie, schließlich gebe es eine "Menge zu verteidigen". Sie hofft, dass die Eigeninitiave der Gemeinde "Schule macht und vielleicht Modellcharakter für die katholische Kirche in Deutschland haben könnte: dass sie ihr Schicksal gemeinsam mit dem Klerus in die Hand nehmen - nicht gegen den Klerus". Allein sei die Institution Kirche offensichtlich überfordert mit den Rissen in ihrem Gefüge.
Auch Pfarrer Frank-Michael Scheele, der im Zuge der Zusammenlegungen von Gemeinden als Leiter des Pastoralen Raums für die Gemeinde Sankt Ludwig wie für seine eigene Gemeinde Maria-unter-dem-Kreuz zuständig sein wird, hofft, dass bis Ostern die Personalfragen geklärt sind. Bei den Gemeindemitgliedern wirbt er dafür, "den Neuen willkommen zu heißen und offen dafür zu sein, dass sich die Dinge ändern".
Es sei ein "Verlust" für das Erzbistum, "dass die Franziskaner entschieden haben, die Seelsorge in der Pfarrei Sankt Ludwig künftig nicht mehr zu übernehmen", räumt Bistumssprecher Stefan Förner ein. Er betont mit Blick auf die Zukunft aber auch, dass Sankt Ludwig "viele Aktivposten" habe, reich an Gremien und Einrichtungen sei und eine gute Kirchenmusik pflege.
Noch fünf Monate, dann ist es August. Falls bis dahin keine Lösung da ist, würden sich die Gläubigen von Sankt Ludwig für den Sonntagsgottesdienst womöglich eine andere Kirchengemeinde suchen, sagt Gericke voraus. "Oder sie lassen den Kirchenbesuch eben ganz".