Der Pfarrgemeinderat: Ein Mitbestimmungsorgan mit Zukunftssorgen
Wer das kirchliche Leben in seiner Heimatgemeinde mitgestalten möchte, hat eine ziemlich einfache Möglichkeit dazu: als Mitglied im Pfarrgemeinderat. Die Arbeit in diesem Gremium ist in vielen Fällen erfüllend. "Wir haben festgestellt, dass die Zufriedenheit der Pfarrgemeinderäte deutlich höher ist, als wir erwartet haben", sagt Martin Müller, Geschäftsführer des Diözesanrats im Erzbistum Freiburg. Durch seine Arbeit hat er auch Kontakt zu den Pfarrgemeinderäten vor Ort. "Besonders zufrieden sind diejenigen, die sagen können, wir haben etwas bewirkt und haben uns auch als Glaubensgemeinschaft in unserer Pfarrei erlebt."
Das Thema Pfarrgemeinderat beschäftigt Müller ganz akut: Am 22. März finden im Erzbistum Freiburg Wahlen statt – und er ist intensiv in die Vorbereitung eingebunden. Rund 1,5 Millionen Wahlberechtigte dürfen in 224 Kirchengemeinden über die Zusammensetzung des Gremiums bestimmen. Eine Kirchengemeinde ist im Erzbistum Freiburg das, was in anderen Diözesen etwa ein Pastoralverband oder ein pastoraler Raum ist. Sie besteht aus mehreren Pfarreien. Das Beratungs- und Beschlussorgan der Kirchengemeinde heißt wiederum Pfarrgemeinderat. Doch nicht nur im Erzbistum Freiburg wird an diesem Datum gewählt, sondern auch in Rottenburg-Stuttgart. Dort heißt das entsprechende Gremium Kirchengemeinderat. Rund 1.020 davon können von rund 1,6 Millionen Wahlberechtigten gewählt werden. Daneben stehen auch etwa 100 sogenannte Pastoralräte zur Abstimmung. Dabei handelt es sich um die Vertretungen der muttersprachlichen Gemeinden.
Doch die Probleme, die andere Bistümer haben, werden auch im Südwesten der Republik immer deutlicher: Die Kandidatensuche gestaltet sich zunehmend schwieriger. Mancherorts gibt es gerade einmal so viele Kandidaten, wie es Sitze im Pfarrgemeinderat gibt. In einigen Gemeinden steht der Pfarr- beziehungsweise Kirchengemeinderat sogar auf der Kippe, weil sich nicht genügend Gläubige zu einer Kandidatur bereiterklären. Auch die Wahlbeteiligung sinkt immer weiter: In Rottenburg Stuttgart waren es bei der letzten Wahl 2015 23 Prozent; im Erzbistum Freiburg etwa 18 Prozent.
An sich ist die Arbeit im Pfarrgemeinderat eine lohnende Sache: Pfarrgemeinderäte sind an der Leitung der Pfarrei beteiligt und setzten sich aus gewählten Pfarreimitgliedern sowie den pastoralen Mitarbeitern der Pfarrei oder Seelsorgeeinheit zusammen. Je nach Größe der Gemeinde werden unterschiedlich viele Mitglieder direkt in den in das Gremium gewählt. Der Leitende Pfarrer beziehungsweise der Ortspfarrer ist geborenes Mitglied mit Stimmrecht, alle weiteren Mitarbeiter des Seelsorgeteams, etwa Diakone, Gemeinde- und Pastoralreferenten, gehören dem Pfarrgemeinderat beratend an.
Traditionell befasst sich der Pfarrgemeinderat mit den pastoralen Anliegen der Kirchengemeinde. Arbeitsfelder sind unter anderem Sakramentenkatechese, Caritas, Liturgie, Jugendarbeit, Ehe- und Familienpastoral, Seniorenarbeit, Feste und Feiern oder Ökumene. Dazu ist er meist in verschiedene Ausschüsse unterteilt. Beschließen kann er Maßnahmen, die den Dienst der Gemeinde für die Gesellschaft und die Welt betreffen, zum Beispiel Caritas, Medien und Kirchenasyl. Auch bei liturgischen Fragen, die die Gemeinde Betreffen, etwa Gottesdienstzeiten, kann er mitbestimmen. Vom Pfarrgemeinderat zu unterscheiden ist der Kirchenvorstand oder die Kirchenverwaltung: Dieses Gremium kümmert sich um die Finanzen einer Pfarrei und wird ebenfalls von den Gemeindemitgliedern gewählt wird.
Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung aller Gläubigen
Pfarr- oder Kirchengemeinderäte sind eine "Erfindung" des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Dessen Anliegen war es, das Laienapostolat zu koordinieren und zu fördern. Im Dekret "Apostolicam actuositatem" heißt es: "In den Diözesen sollen nach Möglichkeit beratende Gremien eingerichtet werden, die die apostolische Tätigkeit der Kirche im Bereich der Evangelisierung und Heiligung, im caritativen und sozialen Bereich und in anderen Bereichen (…) unterstützen." Solche Gremien, so der Text weiter, sollten auch auf pfarrlicher Ebene geschaffen werden. Die Würzburger Synode (1971-1975), die die Beschlüsse des Zweiten Vatikanums auf Deutschland übertragen sollte, beschloss auf dem Hintergrund von "Apostolicam actuositatem" die Einführung von Pfarrgemeinderäten in Deutschland. Sie sollten Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung aller Gläubigen für die Kirche und die Seelsorge in der Gemeinde sein.
In den Bistümern wurden daraufhin entsprechende Satzungen verfasst, die die Zusammensetzung, die Aufgaben und den Wahlmodus des Pfarrgemeinderates festlegten. So haben in den verschiedenen Bistümern die Pfarrgemeinderäte auch verschiedene Kompetenzen. Im Bistum Rottenburg-Stuttgart etwa ist der Kirchengemeinderat gemeinsam mit dem Pfarrer in einer Doppelspitze für die Pfarrei verantwortlich. Die Diözese war auch zeitlich ein Vorreiter: Dort wurde bereits 1968 erstmals auf Pfarreiebene gewählt – und somit vor der Würzburger Synode. Zudem gibt es in den Rottenburg-Stuttgarter Gemeinden keine eigene Kirchenverwaltung, die sich nur um Finanzen kümmert: Die Kirchengemeinderäte haben auch die Beschlusshoheit über Geldfragen.
Linktipp: So ist eine Kirchengemeinde aufgebaut
Eine Pfarrei ist die kleinste Einheit innerhalb der kirchlichen Struktur. Egal wie groß oder klein eine Kirchengemeinde ist, ihr Aufbau ist fast immer gleich. katholisch.de erklärt, wie eine katholische Pfarrei organisiert ist.Im Erzbistum Freiburg wurden die ersten Pfarrgemeinderäte im Jahr 1969 gewählt und damit ebenfalls vor den Synodenbeschlüssen. Auch dort kümmern sich die Pfarrgemeinderäte sowohl um den Haushalt als auch um pastorale Fragen. "Bei uns gibt es dafür den Stiftungsrat, der wie ein Ausschuss des Pfarrgemeinderats ist", erläutert Diözesanrats-Geschäftsführer Martin Müller. Der Stiftungsrat leistet die Vorarbeit; abstimmen über die Vorschläge darf der komplette Rat. Theoretisch leitet auch im Erzbistum Freiburg der Pfarrgemeinderat gemeinsam mit dem Pfarrer die Gemeinde. Ob das auch in der Praxis der Fall ist, liegt daran, wie die einzelnen Pfarrgemeinderäte ihre Rechte laut Satzung nutzen: Jeder Pfarrgemeinderat im Erzbistum Freiburg ist nämlich verpflichtet, seine eigene Konzeption zu schreiben, die er dann selbst umzusetzen muss. Er gibt sich gewissermaßen seine Aufgaben selbst – natürlich im Rahmen, die die Satzung vorgibt. "Vieles hängt somit auch vom Selbstbewusstsein in der jeweiligen Kirchengemeinde ab", sagt Martin Müller.
Autonomie genießen die Kirchengemeinden im Erzbistum Freiburg auch bei der Organisation der Wahl: Sie können den Wahlmodus, die Anzahl der Stimmbezirke und die Zahl der Sitze im Pfarrgemeinderat selbst festlegen. Bis 2015 hatte die Erzdiözese noch Zahlen vorgegeben, was sich allerdings als nicht mehr praktikabel erwiesen hat, weiß Martin Müller. "Die Gemeinden vor Ort wissen selbst am besten, wie viele Personen sie für ein funktionsfähiges Gremium brauchen." Dennoch gibt es Maßgaben, an der die Kirchengemeinden nicht vorbeikommen: Jeder Stimmbezirk soll mindestens einen Sitz im Pfarrgemeinderat haben, der Pfarrgemeinderat soll aus mindestens acht Personen bestehen. Im Bistum Rottenburg-Stuttgart läuft es ähnlich ab: Auch hier bestimmt der aktuelle Kirchengemeinderat selbst über die Anzahl der Sitze, die es zu wählen gilt.
Mitglieder müssen sich für Engagement rechtfertigen
Die Kandidatensuche sei herausfordernder als noch vor zehn oder 20 Jahren, findet Martin Müller. "Aber es war noch nie einfach, Kandidaten für den Pfarrgemeinderat zu finden." Es sei ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend, dass sich immer weniger Menschen für das Ehrenamt begeistern lassen. Doch auch die zunehmenden innerkirchlichen Probleme machten es schwieriger, Menschen für den Pfarrgemeinderat zu gewinnen. Mitglieder dieses Gremiums müssten sich immer öfter für ihr Engagement rechtfertigen. "Einer hat kürzlich gesagt: 'Mir ist es wichtig, dass hier bei uns im Dorf der Glaube gelebt wird.' Was in der Erzdiözese oder in der Weltkirche passiert, ist für ihn erst einmal weit weg." Die primäre Aufgabe eines Pfarrgemeinderats liegt darin, das kirchliche Leben vor Ort zu stärken.
Im Bistum Rottenburg-Stuttgart gibt es regionale Unterschiede bei der Zahl der Kandidaten, so Christiane Bundschuh-Schramm, Referentin für pastorale Grundsatzfragen und pastorale Entwicklung im bischöflichen Ordinariat. In Großstädten sei es traditionell schwieriger, genügend Katholiken für das Gremium zu finden. Generell werde es auch Gemeinden geben, die nicht wählen können, weil sie nicht genügend Kandidaten haben. Um die Wahl der Kirchengemeinderäte allerdings besser gewährleisten zu können, hat auch das Bistum Rottenburg-Stuttgart Maßnahmen ergriffen: Die Mindestzahl der Sitze wurde verringert und der Kandidatenausschluss bei Verwandtschaftsverhältnissen aufgelöst. Das bedeutet, dass ab sofort auch Geschwister und Ehepaare gleichzeitig Mitglieder des Kirchengemeinderats sein dürfen.
Gibt es heutzutage noch wirkungsvolle Instrumente zur Kandidatengewinnung? Martin Müller ist überzeugt: "Wenn es eine gute Arbeitszielvorgabe gibt, wenn die Kandidaten wissen, was sie zu tun haben, trägt es dazu bei, dass Gläubige zur Kandidatur motiviert werden." Ein weiterer Faktor sei, was das Gremium zu sagen hat und ob seine Kompetenzen geklärt sind. Essenziell sei auch ein gutes Arbeitsklima zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen. Laut Christiane Bundschuh-Schramm ist es immer noch wichtig, dass potenzielle Kandidaten angesprochen werden. "Entscheidender ist aber, dass Leute den Eindruck haben, dass sie mitreden dürfen." Deshalb setzt sie große Hoffnungen in den Synodalen Weg. "Wenn die Leute spüren, dass es einen Kulturwandel in der Kirche gibt, dann wird das sicherlich auch Auswirkungen auf die Kandidatengewinnung haben."
Die Ordinariatsmitarbeiterin ist froh, dass sich noch immer viele Katholiken zu einem Engagement im Kirchengemeinderat bereiterklären – im Bistum Rottenburg-Stuttgart sind es immerhin an die 10.000. Deren Bewusstsein will die Diözese der nach der Wahl mit einer "Qualifizierungsoffensive" stärken. "Den Kirchengemeinderäten soll deutlich gemacht werden, dass sie das Leitungsgremium der Gemeinde und an den Entscheidungen beteiligt sind", betont Christiane Bundschuh-Schramm. Das Erzbistum Freiburg hat dieses Jahr besonders die Wahlbeteiligung im Blick: Erstmals besteht die Möglichkeit, neben der Abstimmung im Wahllokal und der Briefwahl die Mitglieder der Pfarrgemeinderäte auch online zu wählen. Freiburg ist deutschlandweit die erste Diözese, die diese Möglichkeit flächendeckend anbietet. Die Internetplattform dafür ist bereits freigeschaltet.