Warum auch Frauen Priester werden können
Die Frage nach einem gleichberechtigten Zugang von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern lässt sich nicht mehr aus der römisch-katholischen Welt verdrängen. Ihre positive Beantwortung angesichts der Zeichen der Zeit wird immer dringlicher. Dafür gibt es ernstzunehmende Indizien. Genannt sei hier nur das Votum der Amazonassynode in Rom vom Herbst 2019 oder der kürzlich gestartete Synodale Weg der katholischen Kirche in Deutschland, bei dem sich auch eines der vier Foren dem Thema "Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche" widmet. Nicht zuletzt erklärte der neu gewählte Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, die Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche zur wichtigsten Herausforderung in seinem neuen Amt. Dennoch: Rom ist offenbar trotz zunehmenden und auch theologisch wie pastoral argumentativ gut begründeten Widerspruchs (noch) nicht bereit, sich in der "Frauenfrage" zu bewegen. Dies bestätigt auch das jüngst veröffentlichte nachsynodale Schreiben von Papst Franziskus "Querida Amazonia".
Dabei wurde bereits 1976 die Erklärung "Inter insigniores" der Glaubenskongregation gegen die Frauenordination ungeachtet eines kritischen Gutachtens der Päpstlichen Bibelkommission zur Tragfähigkeit ihrer Argumentation veröffentlicht. Und seither sind keine neuen, theologisch wie exegetisch belastbaren Argumente vorgebracht worden. Im Gegenteil: Wie die Münsteraner Theologin Dorothea Sattler zutreffend feststellte, fokussiert sich die Ablehnung der Frauenordination durch das kirchliche Lehramt zunehmend auf das Argument, dass nur ein männlicher Priester den Mann Jesus Christus in der Eucharistiefeier repräsentieren beziehungsweise "in persona Christi" handeln könne, sofern die sakramentale Symbolik nicht verdunkelt werden solle.
Aus neutestamentlicher Perspektive verdient in der Widerlegung gerade dieses Arguments eine alte, auf die Anfänge nachösterlicher Theologie zurückreichende Tauftradition, die Paulus in Gal 3,27f. zitiert, eine größere Beachtung, als ihr bisher in der Diskussion geschenkt wurde.
Wörtlich übersetzt, lautet diese Tradition:
"Die ihr nämlich auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen.
Da ist nicht Jude noch Grieche,
da ist nicht Sklave noch Freier,
da ist nicht männlich und weiblich.
Ihr alle nämlich seid EINER in Christus Jesus."
Die alte Tradition hält also fest, was die Taufe bei den Menschen, die sie empfangen, bewirkt: Sie haben Christus angezogen – gleichsam wie ein Gewand. Kleider machen bekanntlich Leute. In bildhafter Sprache wird damit ausgedrückt: Die Getauften sind zu Christus selbst geworden, sie haben unterschiedslos in der Taufe seine Identität, die Identität des Sohnes Gottes geschenkt bekommen. Dass dies tatsächlich so zu verstehen ist, bestätigt Paulus ausdrücklich, indem er die Tradition folgendermaßen einleitet: "Denn alle seid ihr durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus" (Gal 3,26). Dieser neue Status als Sohn Gottes kennzeichnet die Getauften damit völlig unabhängig von ihrer religiösen Herkunft (Jude/Grieche), ihrem sozialen Stand (Sklave/Freier), aber gerade auch unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht (männlich/weiblich). Als Mitglieder der Gemeinschaft derer, die ihr Heil untrennbar mit Christus verknüpft haben, d.h. als Mitglieder der Kirche (ekklesia) unterscheiden sie sich durch die Taufe also nicht mehr voneinander, sie sind vielmehr EINER, jeder und jede (!) Getaufte ist Sohn Gottes in Christus Jesus.
Alle werden in der Taufe zu "Geistlichen"
Eng mit dieser frühen Tauftheologie verbunden ist die Überzeugung, dass alle Christusgläubigen in der Taufe den Geist empfangen haben, also zu "Geistlichen" geworden sind (vgl. z.B. Gal 4,6; 1Kor 12,13; Apg 2,17f/Joel 3,1f). Diese Überzeugung hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Gestaltung des gemeinschaftlichen (ekklesialen) Lebens. So steht für den Apostel Paulus fest, dass sich der Geistempfang in den einzelnen Getauften durch eine je eigene Berufung (Charisma) individuell konkretisiert, die für den Dienst am Evangelium und für den Aufbau der Glaubensgemeinschaft fruchtbar werden muss (vgl. 1Kor 12,4–28). Obwohl die verschiedenen Charismen als geistgewirkt gleichwertig sind, sind jedoch schon durch die Paulusbriefe für die erste urchristliche Generation Leitungsfunktionen belegt (z.B. 1Thess 5,12f; 1Kor 16,15f), deren Wahrnehmung selbst eines entsprechenden Charismas bedarf (1Kor 12,28f). Solche Leitungsfunktionen wurden nachweislich auch durch teils sogar namentlich bekannte Frauen wahrgenommen. Erwähnt seien hier nur die Apostelin Junia (Röm 16,7) oder die Diakonin Phöbe (Röm 16,1f).
Die Aufgabenschwerpunkte der Leitung lagen in den Bereichen Verkündigung und Gemeindeorganisation. Dagegen wird weder in den sieben authentischen Paulusbriefen noch in späteren Schriften des Neuen Testaments eine Leitungsfunktion bei der eucharistischen Mahlfeier der Gemeinden thematisiert, geschweige denn priesterlich definiert. Überhaupt fällt auf, dass der bei einer priesterlichen Funktion der zu erwartende griechische Begriff "hiereus" im Kontext neutestamentlicher Gemeindestrukturen komplett fehlt. Und obwohl die späteren Amtsbezeichnungen "episkopos" (Aufseher/Inspector), "presbyteros" (Ältester) und "diakonos" (Beauftragter/Indienstgestellter) einzeln oder in wechselnden Kombinationen belegt sind, kennen die neutestamentlichen Schriften noch kein dreistufiges, hierarchisch gegliedertes Leitungsamt. Erste Ansätze hierfür dokumentieren allein die deutlich nach der Wende zum 2. Jahrhundert verfassten Pastoralbriefe (1.2Tim; Tit). Die Entwicklung verdankte sich offenkundig der notwendigen Anpassung kirchlicher Leitungsstrukturen an eine veränderte Lebenssituation der Christusgläubigen, um optimale Rahmenbedingungen für das innerkirchliche Leben wie für die Verbreitung des Evangeliums zu schaffen.
Jeder Getaufte repräsentiert Christus in der Welt
Aus diesem kurz skizzierten Befund ergeben sich drei Schlussfolgerungen für heute:
1. Getauften Frauen aufgrund ihres biologischen Geschlechts a priori absprechen zu wollen, "in persona Christi" handeln zu können und zu dürfen, ist mit der Tauftradition, die der Apostel Paulus in Gal 3,27f zitiert, unvereinbar. Denn gemäß dieser Tradition erhalten alle Christusgläubigen unterschiedslos durch die Taufe die Identität Christi oder anders gesagt: Sie werden Christus gleichgestaltet. Aufgrund dessen repräsentiert jeder und jede Getaufte Christus in der Welt. Entsprechend sind getaufte Männer wie getaufte Frauen gleichermaßen prinzipiell befähigt, Christus auch sakramental zu repräsentieren, also "in persona Christi" zu handeln. Konsequent von Gal 3,27f her weitergedacht bedeutet dies: Nicht erst durch die Weihe wird ein kleiner Kreis ausschließlich getaufter Männer Christus gleichgestaltet, wie dies erst kürzlich wieder Papst Franziskus in "Querida Amazonia" (QA 87) betont hat. Vielmehr wird durch die Weihe sakramental die Amtsvollmacht verliehen, auch tatsächlich insbesondere bei der Spendung der Sakramente der Buße und der Eucharistie (vgl. QA 88) "in persona Christi" handeln zu dürfen. Wenn jedoch die Taufe die Täuflinge unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht Christus gleichgestaltet, dann verbietet es sich tauftheologisch, Frauen die Weihe zu verweigern, die zur sakramentalen Repräsentanz Christi bevollmächtigt.
2. Die Tauftradition in Gal 3,27f beinhaltet zudem den entscheidenden theologischen Schlüssel für die Überwindung jeder Form von Klerikalismus, an der Papst Franziskus zu Recht so gelegen ist. Wenn nämlich die Taufe grundlegend alle Täuflinge gleichgestaltet, indem sie sie auf der theologischen Ebene Christus gleichgestaltet, und wenn dadurch alles, was Menschen in dieser Welt trennt, in der Gemeinschaft der Christusgläubigen (Kirche) irrelevant wird, dann kann und darf nicht in genau dieser Gemeinschaft durch die Weihe ein neuer, ontologisch definierter Standesunterschied zwischen Laien und Klerikern begründet werden. Wird Gal 3,27f wirklich ernst genommen, bedeutet dies unweigerlich das Ende eines "Zwei-Klassen-Christentums" samt der darin implizierten Gefahr eines klerikalen Machtmissbrauchs.
3. Die konkrete Ausgestaltung und das priesterliche (sacerdotale) Verständnis des hierarchisch gegliederten, dreistufigen Weiheamtes, wie wir es heute in der Katholischen Kirche vorfinden, hat sich historisch entwickelt. Der Blick in die neutestamentlichen Schriften zeigt, dass die apostolische Generation ein solches Amt nicht kannte, geschweige denn, es auf den Stifterwillen Jesu von Nazareth zurückführte. Was sich stattdessen zeigt, ist, dass die Kirche der Anfangszeit sich im Vertrauen auf den Beistand des göttlichen Geistes Leitungsstrukturen geschaffen und diese bei Bedarf auch verändert hat. Ihr Evangelisierungserfolg unter schwierigsten Bedingungen spricht für sich. Für die Katholische Kirche heute, die gleichfalls gewaltige interne wie externe Probleme bewältigen muss, ergeben sich daraus zwei Folgerungen: 1. Strukturfragen, zu deren Bereich eben auch die kirchlichen Amtsstrukturen gehören, dürfen nicht als nachrangig abgewertet werden, sondern sind als ein wichtiger Faktor für eine gelingende Evangelisierung wahrzunehmen. 2. Weil das kirchliche Amt der Evangelisierung dienen muss und nicht selbst Evangelium ist, hat das Lehramt der Katholischen Kirche nicht nur die Vollmacht, sondern auch die Pflicht, dieses geschichtlich gewachsene Amt angesichts der Zeichen der Zeit im Vertrauen auf den göttlichen Geist so weiter zu entwickeln, dass es seinem Auftrag gerecht werden kann. Dazu gehört im 21. Jahrhundert nicht zuletzt, es für Frauen (wieder) zu öffnen, die in der Taufe Christus gleichgestaltet wurden und deshalb selbstverständlich auch "in persona Christi" handeln können.