Was die Bistümer aus dem Skandal um Tebartz-van Elst gelernt haben
Sechs Jahre, das ist in der 2.000-jährigen Geschichte der katholischen Kirche eigentlich nur ein Wimpernschlag. Veränderungen oder gar Reformen dauern oft deutlich länger. Doch nach dem Rücktritt des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst Ende März 2014 war das anders. Die deutschen Bischöfe setzten bei ihren Finanzenreformen auf Tempo. Nach Jahrzehnten von Intransparenz orientieren im Jahr 2020 die Jahresabschlüsse der Bistümer an denen von Unternehmen, werden nach dem gleichen Standard erstellt und veröffentlicht.
Goldene Badewanne?
Doch der Reihe nach: In den Jahren 2013/14 war der Finanzskandal im Bistum Limburg auf dem Höhepunkt. Die berühmte Badewanne im dortigen Bischofshaus, die in Wirklichkeit gar nicht golden ist, sondern in einem schlichten Weiß daherkommt, wurde zu dem Symbol ausufernder Kosten und untragbarer Amtsgebaren des Bischofs Tebartz-van Elst. Am Ende stand ein beispielloser Imageverlust für die katholische Kirche.
Mittendrin im Geschehen war damals Gordon Sobbeck, heute Finanzdirektor im Erzbistum Köln. Nach dem Rücktritt des Bischofs übernahm er die Verantwortung für die Neuordnung der Finanzen im Bischöflichen Stuhl. Er erinnert sich an eine herausfordernde Zeit. "Doch es wurde schnell klar, dass die neue Bistumsspitze grundlegende Schlüsse aus dem Skandal ziehen wollte". Schon in der Zeit des Übergangs unter dem Apostolischen Administrator Manfred Grothe wurde das sogenannte "Limburger Modell" auf den Weg gebracht. Es sollte bundesweit zum Vorbild für die Reformen anderer Bistümer auf diesem Gebiet werden.
Der wichtigste Schritt: Die Bistümer haben die Kontrolle ihrer Finanzentscheidungen in unabhängige Hände gegeben. Vor dem Limburger Skandal war mancher Finanzverantwortliche auch Mitglied in dem Gremium, das die geplanten Ausgaben überwachte. Bischöfe oder Generalvikare kontrollierten sich sozusagen selbst. Heute gibt es dafür unabhängige Organe. "Sei es die Aufstellung des Bistumshaushalts oder wichtige Bauvorhaben, die viel Geld kosten: Ohne die Zustimmung dieser Gremien geht nichts", sagt Sobbeck für das Erzbistum Köln.
Gleiche Standards wie bei Porsche und Daimler
Zusätzlich legen inzwischen die meisten Bistümer ihre Jahresabschlüsse unabhängigen Wirtschaftsprüfern vor. Im Sommer 2019 haben sie sich außerdem dazu verpflichtet, ihre gesamte Rechnungslegung zeitnah am deutschen Handelsgesetzbuch (HGB) auszulegen. Diese Methode ist auch in der deutschen Wirtschaft verbreitet. "Die meisten Bistümer veröffentlichen ihre Jahresabschlüsse also nach genau den gleichen Standards wie Konzerne wie Porsche oder Daimler", erklärt Michael Bender, der Geschäftsführer der Finanzkommission des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD). So kann die jeder Finanzfachmann, der etwas Zeit investiert, die Abschlüsse nachvollziehen und prüfen. Während viele Bistümer schon jetzt so arbeiten, müssen manche noch nachziehen. Gerade für die kleineren ist die Umstellung eine große Aufgabe: "Das bedeutet sehr viel Arbeit", weiß Bender.
Mit der zeitaufwändigen und komplizierten Methode der Rechnungslegung nach HGB geht auch ein Professionalisierungsgrad in den Ordinariaten und Gemeinden einher. Es wurde nachgeholt, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Wo Expertise in Finanzfragen gefragt ist, sitzt jetzt in der Regel ein Fachmann. "Früher gab es auch Kleriker in Finanzverantwortung", erinnert sich Sobbeck, selbst Betriebswirt. Da war auch mal ein Theologe Finanzdirektor einer Diözese und überwachte Millionen von Euros.
Die neue Vorgehensweise soll dazu beitragen, Fälle wie Limburg oder auch den millionenschweren Finanzskandal in der Erzdiözese Freiburg künftig zu vermeiden. Dort war im Jahr 2017 bekannt geworden, dass die Erzdiözese jahrelang zu wenig Sozialabgaben für die Mitarbeiter gezahlt hatte. Generalvikar Axel Mehlmann hatte damals von Fehlern auf allen Ebenen gesprochen – von den einzelnen Gemeinden bis hin zur Bistumsverwaltung – und gefordert, Kirchenmitarbeiter dürften keinen "kreativen" oder "eigenmächtigen" Umgang mit den Steuergesetzen mehr pflegen.
Dass die Bistümer ihre Finanzen offenlegen und bei Bilanzpressekonferenzen dazu auch regelmäßig Rede und Antwort stehen, hat nach Beobachtung der beiden kirchlichen Finanzexperten in den vergangenen sechs Jahren vertrauensbildend auf die Öffentlichkeit gewirkt. Längst ist das Interesse an einer Berichterstattung gesunken: "Nichts ist so langweilig wie eine dauerhafte und ernst gemeinte Transparenz. Damit verliert das Thema seinen Reiz", beobachtet Sobbeck.
Doch trotz aller Bemühungen: Die Transparenzoffensive gegenüber der Öffentlichkeit stößt auch an Grenzen. Den Jahresabschluss einer so großen Körperschaft wie einem Bistum auch für Laien verständlich zu machen, ist jedenfalls schwer — auch wenn sich die Kirche nach Limburg in einer Art "Bringschuld" befand. Doch schon die verschiedenen Einheiten wie Bistum, bischöflicher Stuhl und Domkapitel sind für manche Finanzlaien verwirrend, genauso wie ein Plus oder Minus von mehreren Millionen in der Bilanz schlecht einzuordnen ist. "Auf einen Bierdeckel kann man die Finanzen eines Bistums einfach nicht zusammenfassen", erklärt Geschäftsführer der Finanzkommission Bender. Er zieht wieder den Vergleich zu großen Autofirmen: "Wenn Daimler seine Zahlen veröffentlicht, dann werden das auch viele Aktionäre als eine komplexe Materie ansehen". Im Erzbistum Köln führen sie deshalb im jährlichen Finanzbericht nicht nur die einzelnen Posten auf, sondern stellen sie auch in einen Zusammenhang und erläutern sie.
Nach sechs Jahren stehen die deutschen Bistümer nun vor einem neuen Schritt ihrer Reformen. "Jetzt, wo wir einen vergleichbaren Rechnungslegungsstandard haben, wäre der nächste Schritt zu fragen: was machen wir damit? Das ist ja nicht nur ein Selbstzweck", erläutert Bender. Die nun vergleichbare Finanzlage könnte in einer Zukunft sinkender Kirchensteuereinnahmen zum Beispiel dabei helfen, eine Art Finanzausgleich zu schaffen, in dem finanzstärkere Diözesen schwächeren unter die Arme greifen. Welche Bereitschaft dazu bei den reicheren Bistümern vorhanden ist, ist freilich eine andere Frage.
Außerdem gibt es Handlungsfelder, auf denen die Bistümer künftig enger zusammenarbeiten und dabei auch Geld sparen können. Eine gemeinsame Personalabrechnung oder gemeinsame Rechenzentren nennt Bender als Beispiele, Sobbeck kann sich eine Zusammenarbeit im Bereich der Hochschulen oder von Siedlungswerken vorstellen.
Linktipp: Debatte um Kirchenfinanzen
Spätestens seit dem Skandal um den Bau am Limburger Domberg sind Kirchenfinanzen ein häufiges Thema. Mit einer Transparenzoffensive haben die Bistümer auf die Kritik reagiert. Lesen Sie hier die wichtigsten Informationen zur Debatte.Neben der quantitativ-finanziellen Maßnahme eines gemeinsamen Rechnungslegungsstandards wird nun auch an einer qualitativen Verbesserung des Wirtschaftens gearbeitet. "Good Governance" oder "gute Unternehmensführung" ist das Stichwort. Dazu hat Gordon Sobbeck in einer Arbeitsgruppe auf Ebene des VDD schon einen Vorschlag erarbeitet. "Es handelt sich um eine Art 'Knigge guter Unternehmensführung', einen Werkzeugkasten, Handlungsrahmen oder Mindeststandard, an dem sich jedes einzelne Bistum orientieren kann", erklärt er. Wie sollten Entscheidungsprozesse ablaufen, wie die Kommunikation, wie können finanzielle Risiken frühzeitig erkannt werden – zu all diesen Fragen liefert die Handreichung Antworten.
Good Governance
Möglicherweise soll sie noch in diesem Jahr beschlossen werden. "Anders als nach dem Finanzskandal reagieren wir nicht nur auf Missstände, sondern stellen uns im Bereich Good Governance proaktiv gut auf", sagt Sobbeck. Und damit bräuchte sich die katholische Kirche auch im Vergleich zur öffentlichen Verwaltung oder zu Wirtschaftsunternehmen nicht verstecken.