Religionspädagoge Albert Biesinger gibt Tipps

Wie Kinder sich durch die Corona-Krise beten können

Veröffentlicht am 29.03.2020 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

Tübingen ‐ Die Corona-Pandemie stellt Familien derzeit vor eine große Herausforderung: Eltern müssen ihren Kindern erklären, warum Gott so ein schlimmes Virus überhaupt zulässt. Der Religionspädagoge Albert Biesinger gibt dafür Tipps – und liefert gleich ein paar Gebete mit: Von Kindern, für Kinder.

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Familien stehen derzeit vor einer speziellen Herausforderung: Ihre Kinder stellen angesichts der Bedrohung durch das Coronavirus andere, oft sehr eindringliche Fragen. Sie in dieser Situation religiös im Regen stehen zu lassen, wäre inkompetent: Kinder und Eltern haben ein Recht auf spirituelle Begleitung. Vor allem Abendrituale haben dabei eine besonders hilfreiche Bedeutung. Am Bett des Kindes sitzen und noch einmal den Tag durchgehen: Was war heute schön? Was war nicht so schön? Was hat dich heute besonders beschäftigt? In der Regel sprudelt all das aus Kindern heraus, was sie belastet und wozu sie ihre Eltern als Gesprächspartnerin und Gesprächspartner brauchen.

Solche Rituale sind aus spiritueller Sicht alltagstauglich und Wege zur Verlangsamung. Abendrituale haben spezielle Wirkungen: Sie stabilisieren die Kommunikationen, geben einen festen Zeitrahmen und Sicherheit. Es entsteht ein Raum zu Kommunikation, in der jeder und jede spontan reden darf und kann, wie es eben gelaufen ist an diesem Tag. Dazu kann es auch gehören, sich mit den Kindern gemeinsam Gott anzuvertrauen.

Warum macht Gott den Virus nicht einfach weg?

Die aktuelle Krisensituation durch das Coronavirus wird für manche Kinder auch zur Anfrage für ihr bisheriges Glaubensverständnis. Sie fragen: Warum zaubert Gott den Virus nicht weg? Warum hat er ihn überhaupt entstehen lassen? Hätte er nicht verhindern müssen, dass er sich so weltweit rasend schnell ausbreitet? Warum sind die Leute so rücksichtslos und machen trotzdem Partys, obwohl dies gefährlich ist? Muss ich jetzt Angst haben, dass meine Oma oder mein Opa auch stirbt, wenn vor allem alte Menschen sterben?

Und nicht nur das: Kinder dürfen in dieser Krise auch nicht mehr mit ihren Freundinnen und Freunden spielen. Das fällt ihnen schwer und ihnen wird schnell langweilig. Die viele freie Zeit, die jetzt in den meisten Familien zur Verfügung steht, nicht in Langeweile und Banalität ausarten zu lassen, braucht wichtige erzieherische Entscheidungen: mit Kindern noch mehr im Gespräch bleiben, sie anregen, selbst weiterzudenken; ihnen besonders gut zuhören, wenn sie ihre ganz eigenen Sorgen haben – und auch ihre vielleicht ersten Glaubenskrisen mit Gott erleben.

Religionspädagoge Albert Biesinger
Bild: ©KNA/Elisabeth Schomaker

Albert Biesinger war von 1991 bis 2014 Professor für Religionspädagogik, Kerygmatik und kirchliche Erwachsenenbildung an der Universität Tübingen.

Eltern können ihren Kindern die Hand auf den Kopf legen und ein Kreuzeichen auf die Stirn zeichnen: "Gott segne und beschütze dich." Das drückt Nähe, Geborgenheit und Schutz aus. Kinder mögen diese Gesten – gerade auch in solchen Krisenzeiten. Oft segnen sie auch selbst die Eltern. Einer meiner Enkel segnet mich von weitem, wenn ich mit ihm aktuell aus Sicherheitsgründen nur aus dem Fenster spreche. Viele Menschen – nicht nur die eigenen Großeltern – freuen sich außerdem über einen Anruf oder ein selbst gemaltes Bild. In solchen kleinen Gesten entsteht Zusammenhalt in schwerer Zeit.

Kinder haben angesichts dieser Situation aber ihre eigenen Ängste, auch wenn sie diese nicht dauernd ausdrücken. Es kommt wesentlich darauf an, wie die Erwachsenen im Umfeld emotional auf die Situation reagieren. Ängste können sich übertragen und bei den Kindern verstärken. Deswegen spricht viel dafür, eigene Ängste bewusst mit anderen Erwachsenen zu besprechen und sie nicht an Kinder heranzutragen. Gemeinsam als Eltern und Kinder Gott zu klagen, dass so schlimme Sachen passieren, ist dagegen für alle entlastend. Und biblische Geschichten – ausgewählt je nach psychischem Zustand des Kindes – erschließen gerade im jetzigen Krisenmodus die Relevanz der christlichen Botschaft sehr eindrucksvoll und emotional aufbauend.

Wer beten kann, hat Gott als Gegenüber für Bitte und Klage

Gott ist über den Alltag hinaus feste Bezugsperson. Gott ist der Gott des Lebens. Aber es ist nicht eben nur die gute und schöne Schöpfung des jetzt aufblühenden Frühlings. Zu seiner Schöpfung gehören auch schreckliche Katastrophen: Tsunamis, Erdbeben, verheerende Unwetter, Brände und weltweite Krankheiten – wie jetzt diese Corona-Pandemie.

Jesus hat selbst mit "Aussätzigen" zu tun gehabt. Die an Aussatz leidenden – auch eine Viruserkrankung (Mycobacterium leprae) – wurden damals als unrein streng ausgegrenzt. Sie müssten sich weit fernhalten von den Gesunden – heute sagt man dazu auch Quarantäne. Allerdings: Jesus hat durch seine Heilungen ausdrücklich gezeigt, dass die "Aussätzigen" dazu gehören und dass man sie nicht ihrem Schicksal überlassen darf. Die Idee mancher Länder, alte Menschen jetzt abzuriegeln und dann sterben zu lassen, ist deshalb mehr als unchristlich.

Von Albert Biesinger

Authentische Gebete von Kindern Ende März 2020

Die folgenden Kindergebete sind nicht erfunden und auch nicht von Erwachsenen formuliert. Sie sind authentische Zeugnisse von Kindern, die Albert Biesinger persönlich gut kennt. Lediglich die Rechtschreibung wurde verändert:

Lieber Gott,
ich möchte, dass das Coronavirus wieder abhaut. Das macht mir schlechter Laune.
Es wäre so schön wieder im Kindergarten zu spielen. Passe auf Mama, Papa, Noah, Chiara und mich gut auf und auch auf Yasan und Hardy unsere Nachbarn.
Passe auf alle Menschen gut auf, lieber Gott. Amen.
Loic, 4 Jahre
 
Lieber Gott,
viele Menschen sterben gerade überall auf der Welt.
Besonders für die alten Menschen ist diese Situation besonders schwierig. Ich hoffe, dass die jungen Menschen gut auf die alten Menschen aufpassen.
Ich finde es wichtig und toll, dass zum Beispiel Ärzte alles für die Gesundheit anderer Menschen tun, obwohl sie sich selbst dabei gefährden.
Lieber Gott bitte beschütze ganz Deutschland und die Menschen überall. Amen.

Lieber Gott,
bitte hilf den Forschern möglichst schnell einen Impfstoff gegen das Coronavirus zu finden.
Es wäre schön, wenn ich meine Freunde bald wiedersehen kann, denn zuhause ist es ganz schön langweilig.
Beschütze uns alle in dieser Situation. Amen.
Noah, 10 Jahre

Lieber Gott!
Eilmeldung! In den letzten Wochen ist etwas SEHR SCHLIMMES passiert,
es gibt jetzt nämlich einen neuen Virus, der Coronavirus heißt.
Er kommt ursprünglich aus China und ist jetzt schon in ganz Asien, in Europa, in Australien, in Afrika und Amerika zu finden.
Am Schlimmsten ist es in Italien und China, da sind schon viele Menschen gestorben und im Krankenhaus und sehr viele infiziert.
Bitte hilf den Betroffenen, dass sie schon bald wieder gesund und munter werden.
Und hilf uns den Virus zu besiegen. Amen.
Jonas, 11 Jahre

Lieber Jesus,
gib allen Politikern Ideen und Weisheit, um ihr Land durch diese schwierige Zeit zu führen.
Schenke allen Corona-Patienten Kraft und nimm ihnen die Angst vor dem Tod.
Lass die Witze über den Coronavirus aufhören, denn es ist ernst.
Stärke den Glauben der Gläubigen und schenke ihnen Hoffnung und Kraft.
Lass uns älteren Menschen helfen und unsere Gemeinschaft zusammenhalten auch in dieser schwierigen Zeit.
Schütze alle Ärzte vor der Ansteckungsgefahr, denn sie halten unsere Gesundheit aufrecht.
Schütze ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen vor dem Coronavirus.
Nimm uns die Angst vor dem Unbekannten. Amen.

Lieber Gott,
lass uns nicht so egoistisch sein und auf Corona-Partys gehen, sonst gefährden wir alle unsere Mitmenschen.
Allen Ärzten und Pflegern schenke viel Kraft zum durchhalten und den Forschern Weisheit und Ideen, um einen Impfstoff gegen den Coronavirus zu finden.
Lass uns nicht im Stich mit deiner Kraft.
Rette endlich Leben und hilf uns!
Schenke den Angehörigen von Corona-Verstorbenen Hoffnung und leite sie durch diese schwere Zeit.
Schenke allen Corona Patienten Gesundheit und Stärke und bringe sie gut durch diese Zeit.
Nimm allen, die jetzt zu Hause sind und nicht wissen wie es weitergeht, die Langeweile.
Lass uns diese Zeit möglichst gut überstehen mit möglichst wenigen Toten.
Amen.
Chiara, 12 Jahre/Lisa, 13 Jahre