Wie Kurienkardinal Kurt Koch im Vatikan die Corona-Krise erlebt
Ein verlängerter Karfreitag: So beschreibt Kardinal Kurt Koch diese Tage in Rom. Mitten im Frühling hat sich eine eigentümliche Starre über die Stadt gelegt. Auf der Via della Conciliazione unter den Fenstern von Kochs Dienstsitz, wo sonst Tausende Touristen flanieren, sind die Souvenirläden verrammelt, Bars geschlossen. Und der Schweizer Kardinal, der als Präsident des päpstlichen Ökumenerats üblicherweise die Hälfte seiner Zeit auf Reisen verbringt, pendelt nur noch zu Fuß zwischen seiner Wohnung beim Petersdom und seinem Büro. Ausgebremst vom Coronavirus.
Ein spiritueller Flashmob
Es ist eine paradoxe Situation. Das Wesen der Ökumene liegt im Dialog, aber "Dialog kann man nicht alleine machen", sagt Koch. Besuche von auswärts sind abgesagt, Arbeitstreffen auf unbestimmte Zeit verschoben. Auf der anderen Seite zeigen die Kirchen gerade in dieser Krise ihre Verbundenheit. Ein Beispiel ist für den Kardinal die Resonanz auf die Idee des Papstes zu einem gemeinsamen Vaterunser, quer durch die Konfessionen, rund um den Globus. Koch setzte sich hin und schrieb einen Brief, mit dem er Kirchenleiter weltweit zu dem spirituellen Flashmob einlud. "Fast alle haben postwendend geantwortet."
Linktipp: Die Kirche während der Corona-Krise
Gottesdienste werden abgesagt, Gotteshäuser geschlossen: Das Coronavirus hat auch die katholische Kirche in Deutschland und Europa erreicht. Wie geht es nun in den Bistümern weiter? Und was können die Gläubigen tun? Alles Wichtige zum Thema erfahren Sie hier.Seit fast zehn Jahren leitet der aus dem Kanton Luzern stammende Koch den Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen im Vatikan. Vom Naturell her eher leise und diskret, ist der ehemalige Basler Bischof einer, der gut und gern mit Menschen umgeht. Eine Situation wie jetzt gab es weder in seiner Zeit als Ökumenebeauftragter noch sonst während seiner 70 Lebensjahre.
Die aktuelle Krise rührt aus Sicht des Kardinals an gesellschaftliche Grundhaltungen und an den Kern der christlichen Botschaft. "Das Virus zeigt, dass wir so vieles nicht in der Hand haben", sagt Koch - ein Appell, "dass wir unsere Lebensprioritäten überdenken müssen". Mit Blick auf die Theologie zieht er einen Vergleich mit dem Erdbeben von Lissabon 1755. Die Naturkatastrophe warf radikaler als je zuvor in der abendländischen Geistesgeschichte die Frage auf, wie sich angesichts solches Leidens von Gott reden lässt.
Für Koch, der früher einmal Dogmatik in Luzern lehrte, liegt der Ansatz einer Antwort darin, dass Gott in Jesus selbst am Leiden Anteil nimmt - "die kräftigste Botschaft, die das Christentum geben kann", sagt Koch, "gerade in dieser Zeit". Aber mit dem Verkündigen dieser Botschaft in Wort und Sakrament ist das derzeit so eine Sache. Auch der Kardinal untersteht dem Verbot öffentlicher Gottesdienste. Messen feiert Koch vorerst nur noch mit den beiden indischen Ordensschwestern, die seinen Haushalt betreuen, in der Privatkapelle seiner Wohnung im Palazzo der Glaubenskongregation.
Etwas reserviert ging es unter den Bewohnern dort schon immer zu; in Zeiten der Kontaktvermeidung noch mehr. "Jetzt, wo alles still ist, merkt man am ehesten, dass man allein lebt", sagt Koch. Keine spontanen Besuche, keine Aktivitäten in der deutschsprachigen Gemeinschaft am Campo Santo Teutonico. Und vor allem eine ungewohnt stabile Anwesenheit in Rom.
Die Tage spannen sich hin zwischen der Messe am Morgen und einer stillen Stunde in der Kapelle am späten Abend. Dazwischen: Arbeit, soweit sie eben unter diesen Bedingungen möglich ist, und ohne Pause. Mit dem südländischen Lebensrhythmus konnte Koch sich nie recht anfreunden. "Eine Siesta würde mich nur müde machen", meint er. Zweimal die Woche gönnt er sich einen Spaziergang in den Vatikanischen Gärten. Ein kleines Privileg, nachdem die öffentlichen Parks in Rom geschlossen sind.
Chance zur Besinnung
Auch für einen Kirchenmann ist die erzwungene Ruhe dieser Wochen eine Chance zur Besinnung. "Die freie Zeit, die einem geschenkt ist, ist am besten investiert für das Gebet", sagt Koch. Als "traurig, aber geborgen" beschreibt er sein augenblickliches Lebensgefühl. "Wir sind in guten Händen." Von guten Mächten treu und still umgeben: Dieses Gedicht des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, entstanden wenige Monate vor seiner Hinrichtung durch die Nationalsozialisten, ist für Koch auch ein Ausdruck der Osterhoffnung, "dass der Tod nur das vorletzte Wort hat - das letzte behält sich Gott vor, und das heißt Leben".