Auf andere Weise "live": Warum ein Kloster sein Stundengebet aufnimmt
Sie leben im Stadtkloster – "für die Stadt und mit der Stadt". Im sonst so pulsierenden Leben der Kölner Altstadt ist das Kloster der Monastischen Gemeinschaften von Jerusalem an Groß St. Martin ein Ort der Ruhe und Begegnung. Seitdem die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus in Kraft getreten sind, ist das anders. Der gewohnte Kontakt zwischen den Brüdern und Schwestern und den Menschen in der Stadt ist fast unmöglich geworden. Deshalb veröffentlichen die Schwestern und Brüder ihre Stundengebete jetzt als Audioaufnahmen im Internet. Schwester Katharina Cleff erzählt im Interview, wie es dazu kam und was die Schutzmaßnahmen für einen Einfluss auf das Leben im Kloster haben.
Frage: Schwester Katharina, Ihre Gemeinschaft bietet aktuell Audioaufnahmen Ihrer Stundengebete im Internet an. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Schwester Katharina Cleff: Wir hatten die Idee schon seit Längerem. Als Mitte März die Nachricht kam, dass wir keine öffentlichen Gottesdienste mehr feiern können, war das ein bewegender Moment, weil wir merkten: Morgen stehen wir allein in der Kirche. Als Gemeinschaft wissen wir um den Reichtum, dass wir noch gemeinsam Gottesdienst feiern können. Uns war sofort klar, das wollen und können wir nicht nur für uns behalten. Dann haben wir ein bisschen an der Mikrofonanlage gebastelt, sodass wir die Gebetszeiten aufnehmen konnten – um auf diese Art und Weise mit den Menschen verbunden zu bleiben.
Frage: Warum ist diese Verbundenheit "nach draußen", also in die Stadt, so wichtig für Ihre Gemeinschaft?
Cleff: Wir sind Mönche in der Stadt. Zwei Gemeinschaften, Brüder und Schwestern, aber wir feiern gemeinsam Liturgie. Wir haben keine Klausur, wie andere monastische Gemeinschaften. Die Stadt ist unser Kloster. Gott ist da, wo die Menschen sind. Und da wollen wir ihn suchen. Wir beten mit der Stadt und mit den Menschen, für die Stadt. Und so ist uns auch die persönliche Begegnung mit den Menschen ins Herz geschrieben. Darum ist es im Moment mit der Distanz noch einmal ganz anders und umso wichtiger, wach zu bleiben für die Menschen. Da braucht es Kreativität, wie sie gerade ja an so vielen Orten zu spüren ist.
Frage: Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Menschen, die normalerweise mit Ihnen beten?
Cleff: Wir wissen um viele Gottesdienstbesucher, die sonst mit uns gemeinsam Liturgie feiern und denen das jetzt fehlt. An dem ersten Sonntag, an dem der Gottesdienst nicht mehr öffentlich war, begegnete mir vor der Kirche eine Frau. Sie wusste noch gar nichts davon, weil sie schon älter war und keinen Internetzugang hatte. Sie war völlig aus dem Häuschen und sagte: "Auch Palmsonntag kein Gottesdienst? Wie soll ich das überleben?" Solche Begegnungen bewegen uns sehr.
Frage: Sie möchten mit den Menschen in Kontakt bleiben. Warum haben Sie sich dann gegen einen Livestream und für Audioaufnahmen entschieden, die hochgeladen werden, wenn das Gebet schon vorbei ist?
Cleff: Uns fehlen die technischen Möglichkeiten für einen Livestream. Von daher war es erstmal die einzige Möglichkeit, es als Audio aufzunehmen und so zu teilen. Wir stellen auch die Texte der Gesänge und Gebete ins Internet. So können die Menschen mitbeten, wenn sie mögen.
Frage: Und wie wird Ihr Angebot angenommen?
Cleff: Die Menschen sind dankbar, dass sie so teilhaben und mit uns beten können. Eine Frau sagte uns: "Ich gehe in die Kirche in unserem Stadtteil und nehme das Smartphone mit. Dann setze ich mich in eine leere Bank und höre über die Kopfhörer mit und bete so mit Ihnen." Andere hören das über den Tag verteilt. Jeder findet da seinen Rhythmus. Wir sind alle auf uns selbst zurückgeworfen und müssen schauen, wie wir unser Gebets- und Glaubensleben gestalten. Es ist natürlich zeitversetzt, aber trotzdem ist die Verbundenheit nicht weniger "live" im Sinne von lebendig. Man wird nicht von Bildern abgelenkt, sondern kann sich auf das konzentrieren, was man hört.
Frage: Ihre Angebote sind nur online verfügbar. Was ist mit älteren Menschen ohne Internetzugang, wie die Dame, die Sie anfangs erwähnten?
Cleff: Da ist es natürlich schwieriger. Die Dame, der ich an dem Sonntag begegnet bin, habe ich um ihre Adresse gebeten. Sie bekommt die Liedblätter von Palmsonntag nun per Post, weil ihr das so wichtig war. Wo es Kontakt gibt, ist das möglich. Aber wenn sie keinen Internetzugang haben, erreichen wir die Menschen natürlich nicht so direkt.
Frage: Die Mitglieder Ihrer Gemeinschaft arbeiten halbtags in ganz normalen Berufen. Gibt es jetzt Homeoffice im Kloster?
Cleff: Genau, in der dritten und vierten Etage. (lacht kurz) Wir haben mehrere Schwestern, die sonst im Büro arbeiten. Ich selbst arbeite bei der Stiftung der Cellitinnen zur heiligen Maria für die Kirchliche Unternehmenskultur in den Seniorenhäusern. Da mache ich unter anderem viel Schreibtischarbeit und die mache ich jetzt eben von zu Hause. Also Homeoffice gibt es auch im Kloster. Sonst bin ich noch in einem Seniorenheim als Seelsorgerin in der Tagespflege tätig, aber die wurde bereits geschlossen. Andere Schwestern, arbeiten noch draußen. Eine Schwester in der Betreuung im Seniorenheim und eine im Chemielabor. Sie stellt Desinfektionsmittel her, das wird gebraucht.
Frage: Was für einen Einfluss haben die Schutzmaßnahmen auf Ihr tägliches Leben als Gemeinschaft?
Cleff: Unsere Gemeinschaft besteht aus acht Schwestern. Das ist vergleichbar mit einer sehr großen Familie und so leben wir das auch. Wir passen natürlich mehr auf. Es würde alles verkomplizieren, wenn man sich in dieser Situation, die sowieso schon unnormal ist, jetzt noch strengere Regeln auferlegt, als nötig sind. Wir waschen uns mehr die Hände, aber das ist das Alltägliche, was jede Familie auch tut.
Frage: Feiern Sie das Stundengebet und die Messe mit besonders großem Abstand?
Cleff: Wir feiern alle Gebetszeiten in der Kirche. Die Kirche ist der größte Raum, den wir haben, von daher gibt es dort genug Platz. Wir sitzen generell nie nah beieinander, sondern mit gutem Abstand. In der Tat gab es in den letzten Tagen Schritt für Schritt Einschränkungen. Das fing damit an, dass es kein Weihwasser mehr gibt, wie in allen Kirchen. Keinen Friedensgruß. In unserer Gemeinschaft ist es Praxis, dass wir die Eucharistie unter beiderlei Gestalten empfangen. Die Kelchkommunion haben wir sehr früh einstellen müssen, sodass auch wir nur noch unter einfacher Gestalt kommunizieren.
Frage: So etwas wie eucharistisches Fasten oder geistige Kommunion gibt es bei Ihnen im Kloster nicht?
Cleff: Nicht wirklich, nein. Das ist bisher auch kein Thema gewesen. Für mich persönlich hat sich das Bewusstsein verstärkt, dass es ein Reichtum ist, in diesen Tagen Eucharistie feiern zu können. Und beim Kommunizieren spüre ich die Verbundenheit als Leib Christi, als Kirche. Ich weiß mich mit den Menschen verbunden, die jetzt darunter leiden oder sich danach sehnen den Leib Christi zu empfangen. Außerdem geht Kommunion ja auch weiter und muss nicht auf die sakramentale Form reduziert werden. Gott ist da! Wenn wir das ernsthaft glauben, dann können wir gerade jetzt diese Kommunion auch – in anderen Formen – aber vielleicht nicht weniger intensiv erfahren, zum Beispiel beim Lesen und Teilen des Wortes Gottes.
Frage: Wie werden Sie die Kar- und Ostertage begehen?
Cleff: Das wird nicht nur für uns als Gemeinschaft, sondern für die ganze Kirche ein seltsames Osterfest. Wir werden die Kar- und Ostertage so leben, wie wir sie immer gefeiert haben – aber ohne die Gläubigen und deshalb mit einigen Änderungen. Wir feiern an den Kartagen morgens die Karmetten, Gründonnerstag das Mittagsgebet und die "Feier vom letzten Abendmahl". Schrittweise gehen wir dann mit Jesus in die Nacht hinein, um 21.30 Uhr singen wir das Nachtoffizium mit den Abschiedsreden aus dem Johannesevangelium. Dann wird es immer stiller, am Karfreitag singen wir die große Karfreitagsliturgie. Unsere Liturgie ist auch durch Einflüsse aus der Ostkirche geprägt, deshalb beten wir am Karsamstag, der in der lateinischen Kirche eigentlich "liturgiefrei" ist, mittags "Das Offizium vom Abstieg in das Reich des Todes". Es wird aber auch liturgische Einschränkungen geben. Das fängt schon mit Palmsonntag an: Denn es ist schon klar, dass es keine Palmprozession auf dem Vorplatz der Kirche geben wird und in der Osternacht fällt auch einiges weg. Aber Ostern wird es dennoch geben, in großer Verbundenheit mit allen Menschen, die gerne mit uns feiern würden.
Oft bergen Krisen auch Chancen. Durch die Texte und Gesänge dieser Zeit werden wir mitgenommen auf den Weg Jesu von Leben und Tod und können den Leidensweg mitgehen. Gerade dadurch, dass die Gläubigen nicht jeden Tag so geprägt mitfeiern können, sind sie da stärker auf sich selbst gestellt. Darum glaube ich, dass es insbesondere in dieser Zeit schön sein kann, über Audio mitzubeten. Da wird man vielleicht noch einmal intensiver getroffen von den Texten, den Evangelien, den Gesängen, den Psalmen. Und gerade weil man alleine ist, wird man vielleicht noch einmal ganz anders beten können.