"Mit brennender Sorge": Eine neue Spur führt ins Schwäbische
Kirche und Nationalsozialismus – die kürzlich erfolgte Öffnung der Archive des Vatikans zum Pontifikat Papst Pius' XII. wird vermutlich ein neues Licht auf diese konfliktreiche Beziehung werfen. Ebenso gewichtig für deren Bewertung ist eine legendäre Enzyklika: An Palmsonntag 1937 wurde von allen 11.500 Kanzeln in Deutschland das Rundschreiben "Mit brennender Sorge – Über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich" verlesen. Die Kirche erklärte, gedeckt von Papst und Weltkirche, ihre entschiedene Ablehnung der Nazi-Ideologie und -politik. Neueste Erkenntnisse zur Entstehungsgeschichte führen ins Schwäbische, genauer gesagt nach Rottenburg – zu Bischof Joannes Baptista Sproll.
Mit der Enzyklika von Pius XI. erreichte der weltanschauliche Kampf zwischen dem Vatikan und Hitler-Deutschland seinen Höhepunkt. Der damalige Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, später Papst Pius XII., und die deutschen Bischöfe machten mit der Enzyklika ihren Kampf gegen die Nationalsozialisten bewusst öffentlich. Die Veröffentlichung war einen Coup: Er gelang unter völliger Geheimhaltung und vorbei an den allgegenwärtigen Gestapo-Spitzeln. In der Nacht zum Palmsonntag verteilten die Kapläne auf ihren Motorrädern den brisanten Text im ganzen Reich. In Berlin drehte Bischof Konrad von Preysing selbst die Vervielfältigungsmaschine. Jeder Pfarrer erhielt zwei Exemplare; eine musste er zur Sicherung vor Hausdurchsuchungen im Tabernakel der Kirche verstecken.
Der Text war eindeutig: Christentum und NS-Ideologie sowie deren Rassenlehre seien absolut unvereinbar. Die Nationalsozialisten behandelten Kirche und Katholiken trotz Konkordat als Staatsfeinde. Sie drohten sogar, sie würden als zweite Volksfeinde nach den Bolschewiken nach dem Endsieg "an die Reihe kommen". "Mit Befremden beobachten wir den Leidensweg der Kirche und ihre Bedrängnis inmitten des Landes und Volkes. Der gesamten christlichen Welt stellen wir die Wirklichkeit in ihrer ganzen Schwere vor Augen. Eine größere Sorge haben wir nicht", heißt es in dem päpstlichen Rundschreiben. Hitlert tobte. Weil die Gestapo überrumpelt wurde und noch mehr, weil er wusste, dass er es mit der Weltkirche nicht aufnehmen konnte.
Verfasst hat diese "Kriegserklärung" der Münchener Kardinal Michael von Faulhaber in Rom. Sie war am 21.Januar 1937 um 4.30 Uhr morgens fertiggestellt worden. Kardinalstaatssekretär Pacelli persönlich verschärfte den Text bei der Endredaktion noch in Teilen. Doch bei seinen neuesten Nachforschungen im Bischofsarchiv in München entdeckte der Munderkinger Pfarrer Franz Xaver Schmid, Berater der Rottenburger Historikerkommission im Seligsprechungsverfahren von Joannes Baptista Sproll, dass Faulhaber am Tag nach dem Abschluss der Olympischen Spielen 1936 in Berlin mit Sproll vereinbarte, dem Papst eine Enzyklika gegen die NS-Ideologie vorzuschlagen.
In Rom trafen die beiden nicht nur auf offene Ohren. Vielmehr hatte Pacelli von sich aus entsprechende Wünsche an die deutschen Bischöfe herangetragen. Dass es zur Zusammenarbeit Faulhabers mit dem Rottenburger Bischof kam, ist nicht überrraschend, bedenkt man Sprolls von Beginn an grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dessen Rassenlehre in zahlreichen Predigten. Auf sie wollte Faulhaber zurückgreifen. Mindestens sechs Mal fuhr der Kardinal deshalb zu Sproll. Tatsächlich ist der Anteil Sprolls an der Enzyklika bis in Formulierungen hinein nachzuweisen, wie Schmid in den Tagebuchaufzeichnungen Faulhabers entdeckt hat.
Sproll wurde zum "Volksverräter" erklärt
Die Nationalsozialisten vermuteten Sproll von Beginn an unter den Drahtziehern der Enzyklika. War er es doch, der sich schon bald nach ihrer Machtergreifung 1933 wiederholt als einer ihrer hartnäckigstern Gegner gezeigt hatte. Als Sproll am 10. April 1938 demonstrativ nicht zu der mit der Abstimmung über den "Anschluss" Österreichs verbundenen Reichstagswahl ging, schlugen die Nazis schließlich gnadenlos zu. Sie machten ihn zum Prügelknaben der Ortsgrößen und Hitlers selbst. Hatte doch Propagandaminister Goebbels gedroht: "Die Pfaffen werden nun unsere Strenge, Härte und Unerbittlichkeit kennenlernen." Sproll wurde als "Volksverräter" terrorisiert, sein Bischofshaus in Rottenburg demoliert. Die SA verfolgte ihn auf Schritt und Tritt. Am 24. August 1938 zwang ihn die Gestapo zur Verbannung aus Württemberg. Nach erster Station bei Erzbischof Conrad Gröber in Freiburg, wohin die Gestapo ihn transportierte, fand Sproll nach langem, buchstäblichem Herumirren und bald schwer krank Aufnahme in bayerisch-schwäbischen Krumbach. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, am 12. Juni 1945, konnte er, gelähmt und von der katholischen Jugend getragen, unter dem Jubel der Katholiken seine Rückkehr in die Bischofsstadt Rottenburg feiern. Am 4. März 1949 starb er.
Seinen Pfarrern hatte Sproll Vorsicht vor den Nationalsozialisten empfohlen, er dagegen wolle als Bischof mehr riskieren und deutlicher das Wort gegen sie erheben. Gewürdigt wurde sein standhaftes Verhatten gegen das NS-Regime kaum, weder von der Kirche in Deutschland noch von Pius XII. und seinen Diplomaten. Der laufende Seligsprechungsprozess zieht sich hin. Vielleicht führt er aber doch bald zu einer späten Anerkennung von Sprolls Einsatz gegen ein menschenverachtendes Regime.