Leiter von Katholischem Büro: So macht die Kirche Lobbyarbeit
Bernhard Stecker ist seit 2019 Propst in Bremen und damit Leiter des Katholischen Büros der Hansestadt. Obwohl Bremen eine protestantisch geprägte und sehr säkulare Großstadt ist, hält Stecker engen Kontakt zur Landespolitik. Im Interview verrät er, wie das Katholische Büro arbeitet, was die Politik von der Kirche erwartet und wie Seelsorge in einer stark von Migration geprägten Stadt funktioniert.
Frage: Bremen ist das kleinste deutsche Bundesland und eine sehr säkulare Stadt. Spielt Religion dort überhaupt eine Rolle?
Stecker: Die Frage ist berechtigt, denn in Bremen gibt es einen hohen Anteil von Nicht-Christen. Sie machen fast 60 Prozent der Bevölkerung aus – Tendenz steigend. Dennoch würde ich nicht sagen, dass Religion und christlicher Glaube in der Stadt keine Rolle spielen. Das zeigt sich schon allein daran, dass zwei große evangelische Kirchen an prominenter Stelle in der Innenstadt direkt neben dem Rathaus und der Bürgerschaft stehen. Unsere katholische Hauptkirche St. Johann liegt mitten im Schnoor, dem touristischen Zentrum Bremens. Auch in der Politik ist Kirche präsent: Die Verantwortungsträger gehen sehr offen auf mich als Kirchenvertreter zu. Mein Eindruck ist, dass sie immer interessiert zuhören. Es gibt zwar vereinzelt Ablehnung gegen den Einfluss der Kirchen und die Sichtbarkeit des Christentums in der Stadt. Aber überwiegend erlebe ich eine interessierte Offenheit, Neugierde und Erwartungen an Kirche.
Frage: Welche Erwartungen werden an die Kirche gerichtet?
Stecker: Fast alle politischen Parteien beobachten bestimmte Entwicklungen in Bremen mit Sorge: gesellschaftliche Spaltungen, zunehmende Aggressivität und voranschreitende Vereinsamung von Menschen. Oft stecken dahinter soziale Gründe, etwa weil keine Familie vorhanden ist oder sich die Menschen nicht umeinander kümmern. In dieser Situation erwartet man von der Kirche, dass sie sich für die Gesellschaft einsetzt – sozusagen ihren Kitt bildet. Allerdings sind wir in einer Stadt wie Bremen nur ein gesellschaftlicher Player unter vielen. Wir besitzen keine bevorzugte Stellung, wie es traditionell noch in katholisch oder evangelisch geprägten Gegenden der Fall ist. Damit muss sich die Kirche anfreunden.
Frage: Abgesehen von ihrer sozialen Funktion: Wird die Kirche auch als Glaubensgemeinschaft wahrgenommen?
Stecker: Ja, natürlich. Die Art und Weise, wie das geschieht, lässt sich gut am Beispiel der Kindertagesstätten ablesen: Die Politik fordert, dass sich Kirche in diesem Bereich verstärkt engagiert, da es hier eine Unterversorgung gibt. Dem Staat ist es aber nicht besonders wichtig, dass wir damit auch die Möglichkeit zur religiösen Erziehung haben und christliche Werte vermitteln. Trotzdem werden wir gezielt angesprochen. Ich glaube, die Verantwortlichen merken schon, dass wir in unserer Arbeit über eine gute Kindererziehung hinausgehen – eben ein Mehr an Werten bieten. Beim kirchlichen Arbeitsrecht und der vorrangigen Einstellung von katholischen Mitarbeitern gibt es hingegen keine besondere Unterstützung von Seiten der Politik. Ich denke, das kann man in einer Stadt wie Bremen auch nicht erwarten.
Frage: Sie sind als Propst von St. Johann auch Leiter des Katholischen Büros in Bremen. Wie sind die Beziehungen der Kirche zur Landespolitik?
Stecker: Es gibt viele regelmäßige, aber auch anlassbezogene Kontakte zu unterschiedlichen Themen. Vor Kurzem wurde etwa das Kirchensteuergesetzes des Landes Bremen geändert. Dazu sollten wir zuvor Stellung nehmen – das ist so üblich. Ganz schön ist, dass es vor jeder Sitzung der Bürgerschaft eine ökumenische Andacht gibt. In der Regel nimmt daran ein Drittel der Abgeordneten teil, manchmal sogar die Hälfte. Das ist eine gute Möglichkeit, um mit den Parlamentariern ins Gespräch zu kommen. Vor einigen Monaten hatten wir den Innensenator zum Gespräch bei uns, es ging um Flüchtlinge und Härtefallregelungen. Solche größeren Treffen veranstalten wir gerne gemeinsam mit der evangelischen Kirche, weil wir in vielen Bereichen ähnliche Anliegen haben. Manchmal finden diese Treffen auch auf Arbeitsebene mit den zuständigen Referenten der Senatoren statt. Dort werden ganz praktische Fragen behandelt, wie die Einrichtung einer Kita. Wir beobachten die Veränderungen in der Bestattungskultur mit großer Sorge – ein Thema, das uns besonders umtreibt. In Bremen ist es erlaubt, dass man die Asche eines Verstorbenen an mehreren Stellen verstreut, auch außerhalb von Friedhöfen. Vor ein paar Jahren hat das Katholische Büro sehr aktiv versucht, das durch gute Argumente zu verhindern.
Frage: Versucht die Kirche mit dem Katholischen Büro, ihre Meinung politisch durchzusetzen?
Stecker: Nein, natürlich nicht. Die Gesetze werden von der Politik gemacht. Wie bei anderen Lobby-Organisationen ist der Sinn des Katholischen Büros eben nicht, dass man heimlich seine Ansichten durchsetzt. Aber wenn die Politiker ein neues Gesetz machen wollen, reden sie vorab mit denen, die es betrifft. Politik und Verwaltung regeln nicht einfach etwas neu, denn das kann unter Umständen das Gegenteil von dem erzielen, was man erreichen wollte. In unserem Fall sind es häufig Gesetze im Bildungsbereich, im Gesundheitswesen oder Kirchensteuergesetze. Dass wir da vorher gefragt werden, weil es uns betrifft, ist normal und stilvoll. Manchmal wird es jedoch vergessen und die Mitarbeiter in den Ministerien fragen einen Tag vor der Verabschiedung des Gesetzes bei uns an, nach dem Motto: "Ihr habt doch sicher nichts dagegen." (lacht)
Frage: In einem Stadtstaat wie Bremen sind die Wege zur Politik sicher kurz, oder?
Stecker: Das stimmt, allein schon räumlich. Ich kann zu allen Senatoren zu Fuß gehen, das ist sehr praktisch. Wichtig ist außerdem, gute Beziehungen zu den Mitarbeitern der Senatoren zu haben und auch zu den Bürgerschaftsabgeordneten, die die Gesetze machen – also nicht nur mit der Verwaltung zu reden, sondern auch mit den Parlamentariern. Ich pflege Beziehungen zu den meisten Parteien, auch die, die nicht in der Regierung sind. Es gibt religionspolitische Sprecher in allen Fraktionen, auch bei den Linken – was nicht selbstverständlich ist.
Frage: Halten Sie auch Kontakt zur AfD?
Stecker: Die AfD-Fraktion in der Bürgerschaft hat sich im September vergangenen Jahres aufgespalten und damit ihren Fraktionsstatus verloren. Sie ist in Bremen sowieso sehr klein. Das Katholische Büro hat keinen Kontakt zur Partei, da sie keine Berührungspunkte mit uns hat. Auf die Dauer wäre das sicherlich schwierig. Aber andere Katholische Büros stehen aber mit der AfD im Austausch, teilweise sehr intensiv.
Frage: Wie sieht das katholische Leben in Bremen aus?
Stecker: Wir sind gar nicht so wenige Katholiken: 50.000 Bremer sind katholisch, ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung. Wir bestehen aus 130 Nationalitäten, sind also sehr international. Wenn ich sonntags in St. Johann die Messe feiere, hat etwa die Hälfte der anwesenden Gläubigen einen anderen muttersprachlichen Hintergrund: Von Polen und Kroaten über Spanier, Portugiesen bis hin zu Afrikanern, Asiaten aus Korea, Vietnam, Indien und Sri Lanka, sowie zu Südamerikanern. Es ist sehr bunt und interessant, manchmal aber auch schwierig, weil alle ihre eigene Spiritualität mitbringen, die anders als die in Deutschland verbreitete ist.
Frage: Was meinen Sie damit?
Stecker: Zum Beispiel die Verehrung der Muttergottes: Vor unserer Marienikone werden nicht nur Kerzen angezündet und still Gebete gesprochen, sondern sie wird mit Küssen verehrt oder mit dem Kopf berührt. Obwohl sie erst seit drei Jahren dort hängt, ist das Marienbild in der Mitte schon ganz abgenutzt. Das ist eine sehr haptische Verehrung, die vielen Deutschen fremd anmutet – gerade den Norddeutschen. (lacht) Das ist aber auch sehr schön und ich selbst mag das gerne. Das in Deutschland sehr verbreitete kirchliche Gremien- und Verbandswesen ist bei vielen Katholiken mit anderer Muttersprache nicht besonders ausgeprägt. Sie kommen dort nicht so häufig vor, was sehr schade ist, denn sie sind eine große Gruppe in Bremen. Dennoch gibt es kaum Konflikte und das Zusammengehörigkeitsgefühl ist trotz aller Unterschiede sehr groß.
Frage: Wie findet angesichts dieser Situation Seelsorge in Bremen statt?
Stecker: Vieles ist anders als in traditionell katholischen Regionen. Wir haben nur wenige Erdbestattungen in der klassischen Form: Es sind fast nur Urnenbeisetzungen. Ein ganz großer Teil der Katholiken wird gar nicht kirchlich bestattet. Oft, weil es den Angehörigen nicht wichtig ist oder die Bestatter in Bremen kein Auge auf die Konfession der Verstorbenen haben. Auch Taufen und Trauungen laufen individueller ab. Es gibt etwa keine Taufgespräche in Gruppen, zu denen alle Taufeltern zusammenkommen. Das funktioniert nicht. Geburtstagsbesuche stehen ebenfalls nicht auf der Tagesordnung. In den muttersprachlichen Gemeinden wird das jedoch gemacht. Dort versuchen die Gläubigen untereinander stärker in Kontakt zu bleiben.
Frage: Ist Kirche, wie sie in Bremen ist, ein Zukunftsbild für ganz Deutschland?
Stecker: Wir sind in vielen Bereichen Vorreiter für gesellschaftliche Entwicklungen, wie die großen Städte insgesamt natürlich. Doch Bremen ist eine besonders säkulare Stadt mit einem hohen Anteil an Migration. Das ist gesamtgesellschaftlich die Perspektive, auf die wir in Deutschland zugehen. Aber ich möchte betonen, dass auch in so einem Umfeld christliches und katholisches Leben möglich und reich ist. Unsere Gottesdienste sind lebendig und sehr unterschiedlich. Es gibt starke Momente der Bekehrung von Einzelnen, die zu uns kommen. Eine große Gruppe von Leuten, auch jüngeren, sind auf der Suche. Die Kirche braucht keine Angst zu haben, dass sie in Zukunft ganz verschwindet. In einigen Jahrzehnten werden wir, Schätzungen zufolge, in Bremen unter 100.000 Christen sein. Natürlich wird die Stadt dann wesentlich weniger christlich geprägt sein, als schon jetzt. Doch wenn wir so viele Menschen haben, die ihren Glauben ernst nehmen und eine intensive Beziehung zu Jesus Christus entwickeln, wird das in die ganze Stadt hinein ausstrahlen. Auch, wenn vielleicht nicht alle streng nach dem Katechismus leben, und nur das aus dem Glauben in die Tat umsetzen, was sie für sich persönlich verstanden haben.