Missbrauch in Piusheim – Erzbistum will mit Staatsanwalt kooperieren
Die Erzdiözese München und Freising will in Bezug auf die Missbrauchsvorwürfe rund um das einstige katholische Piusheim mit der Staatsanwaltschaft München "vollumfassend kooperieren". Wie ein Sprecher des Erzbistums am Montagabend der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte, sollen alle Unterlagen, soweit sie in der Sache vorlägen, zur Verfügung gestellt werden.
In der einstigen Einrichtung für schwer erziehbare Jungen in Baiern (Landkreis Ebersberg) soll es einem Medienbericht vom Wochenende zufolge massive sexuelle Übergriffe gegeben haben. Die Staatsanwaltschaft hat demzufolge Vorermittlungen gegen einen früheren Erzieher und einen damals angehenden Priester eingeleitet. Auslöser war die Aussage eines Mannes, der selbst wegen schweren Missbrauchs angeklagt ist. Der heute 56-Jährige hatte vor Gericht angegeben, in seiner Kindheit und Jugend unter anderem im Piusheim von mehreren Männern missbraucht worden zu sein. Zudem steht der Vorwurf im Raum, Jungen aus dem Heim seien zur Prostitution gezwungen worden.
Der Sprecher der Erzdiözese bestätigte zugleich, dass beim kirchlichen Missbrauchsbeauftragten seit 2010 neun Verdachtsfälle gemeldet worden seien. Die Fälle sollen sich im Zeitraum von 1950 bis Mitte der 1970er Jahre zugetragen haben. Zwei davon hätten sich erhärtet. Obwohl in einem Fall das Opfer zwar keinen genauen Namen des beschuldigten Priesters habe nennen können, seien die Schilderungen glaubhaft gewesen. Entsprechend habe die Kirche eine Anerkennungsleistung für erlittenes Leid geleistet.
Im zweiten Fall habe es sich um einen beschuldigten Erzieher gehandelt, hieß es. Hierfür habe die Katholische Jugendfürsorge, die von 1981 bis 2006 Träger des Hauses gewesen sei, die Leistung gezahlt. Der Priester, in dessen Fall das Erzbistum die Anerkennungszahlung leistete, ging ohne Nennung eines Namens, da nicht bekannt, in die von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in Auftrag gegebene und im September 2018 veröffentlichte MHG-Studie ein. Die Untersuchung trug den Titel "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz". Demnach wurden in den kirchlichen Akten der Jahre 1946 bis 2014 Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute gefunden. In einer von der Münchner Erzdiözese bereits im Jahr 2010 veranlassten Studie, für die von der Kanzlei "Westpfahl Spilker Wastl" mehr als 13.200 Akten durchforstet worden waren, tauche das Piusheim namentlich nicht auf, sagte der Sprecher des Erzbistums. Aber es könne natürlich sein, dass der nicht näher bekannte Priester in den Unterlagen anderweitig vorkomme. Bisher sei eine Zuordnung jedoch nicht möglich gewesen.
Rörig: Marx soll starkes Signal pro Aufarbeitung setzen
Am Montag hatte sich auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, zu den Missbrauchsvorwürfen gegen die ehemalige katholische Jugendeinrichtung geäußert. Er wäre sehr erleichtert, "wenn Kardinal Reinhard Marx für das Erzbistum München-Freising jetzt die Chance ergreift und noch vor Ostern ein starkes Signal pro Aufarbeitung sendet", erklärte Rörig in Berlin. Dies wäre immens wichtig für die Betroffenen sowie die Aufarbeitung von sexueller Gewalt gegen Minderjährige im katholischen Bereich, so Rörig. Ein solcher Schritt würde auch die Ernsthaftigkeit der bisherigen Aufarbeitungsbemühungen unterstreichen. Es sollte jetzt eine umfassende unabhängige Aufarbeitung durch externe Experten und unter Beteiligung von Betroffenen in Gang gesetzt werden, forderte Rörig. Zu Strukturen, die für solche Aufarbeitungsvorhaben wichtig seien, habe er sich in vergangenen Monaten intensiv mit dem Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, ausgetauscht.
Das Piusheim wurde 1905 vom katholischen "Verein zur Betreuung der verwahrlosten und bestimmungslosen Jugend" gegründet. Die Katholische Jugendfürsorge (KJF) übernahm die Trägerschaft 1981 und gab sie 2006 wieder auf. Heute befindet sich auf dem Gelände unter anderem eine Privatschule. (tmg/KNA)