Von Einkaufshilfen, Glaubenspaketen und Schutzengeln am Kirchenzaun

Wie Pfarreien der Krise mit sozialen und spirituellen Aktionen trotzen

Veröffentlicht am 13.04.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Jeden Tag Gottesdienst im Livestream – ist das die einzige Antwort der Kirche auf Corona? Mitnichten, wie der Blick in die Gemeinden beweist: In der Krise wird man hier kreativ und versucht, mit kleinen und größeren Projekten Gutes zu tun. Denn gerade in dieser Zeit geht es um Zusammenhalt.

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Beten und gemeinsam Gottesdienst feiern – für gläubige Christen ist das normalerweise etwas Alltägliches. Doch seit die Corona-Pandemie in Deutschland angekommen ist und in deren Folge ein weitreichendes Kontakt- und Gottesdienstverbot erlassen wurde, ist auch der kirchliche Alltag in Deutschland gehörig durcheinandergewirbelt worden. Um den Gläubigen trotzdem Nähe zeigen und konkrete Hilfe anbieten zu können, beweisen viele Kirchengemeinden, Priester und Gläubige in Deutschland derzeit auch jenseits von Gottesdiensten im Internet jede Menge Kreativität.

Etwa Monsignore Thomas Schmid. Er ist im Bistum Regensburg für die missionarische Pastoral zuständig und will "seine" Gläubigen auch in Corona-Zeiten nicht allein lassen – vor allem jene, die nicht so internetaffin sind. "Da bleiben viele allein, weil sie den Zugang übers Internet nicht haben", so Schmid, der sich deshalb gefragt hat, wie er diesen Katholiken trotz Corona ein würdiges Osterfest ermöglichen kann. Seine Idee: Wenn die Gläubigen in diesem Jahr zu Ostern auf die liturgischen Feiern in der Kirche verzichten müssen, sollen sie trotzdem nicht die Freude am Fest der Auferstehung verlieren. Also mussten Hausgottesdienste her, die Ostern gerecht werden. Herausgekommen ist ein ganzes "Glaubenspaket", das Schmid in den vergangenen Tagen an zahlreiche Haushalte verteilt hat.

Das Paket beinhaltet unter anderem Weihwasser zum Osterfest sowie einfache Ideen, wie Gläubige noch schnell zu einer Osterkerze kommen können. Dinge, von denen nach Ansicht von Schmid einiges abhängt: "Diese Zeichen sind tiefe Zeichen und Symbole, die eine innere Gewissheit vermitteln." Zum Beispiel, dass Christus Herr über das Leben bleibe – egal, was die Menschheit auf dieser Welt überstehen müsse.

Zusammenhalt steht bei Aktionen im Mittelpunkt

Um die 400 Pakete unters Kirchenvolk zu bringen, kurvte Schmid seit vergangenem Samstag mit einem Wohnmobil durch das Bistum Regensburg. Natürlich gemäß der Vorschrift: Ohne direkten Kontakt, lediglich mit einem Winken zum Fenster hin, lieferte er die Päckchen an die Haustür. "Und wer später telefonieren möchte, hat dann auch die Möglichkeit dazu", betont der Geistliche. Sein Engagement hat er unter den Titel des Lieds zum Papstbesuch 2006 in Regensburg gestellt: "Wer glaubt, ist nie allein". "Es hat damals Bezug genommen auf die tragende Gemeinschaft der Kirche über alle möglichen Grenzen hinweg. Und jetzt lassen wir uns auch von einem Virus keine Grenzen setzen, sondern wollen zusammenhalten", sagt Schmid.

Zusammenhalt und Solidarität stehen auch bei den zahlreichen Einkaufsdiensten überall in Deutschland im Mittelpunkt. In kürzester Zeit haben sich die Jugendlichen in ihren Messdiener-, Pfadfinder- oder Jugendgruppen organisiert und bieten älteren oder kranken Menschen ihre Hilfe an. Damit diese sich nicht dem Risiko einer Ansteckung aussetzen müssen, gehen die Jugendlichen für sie zum Supermarkt oder zur Apotheke. Telefonisch oder per Mail nehmen Gemeindemitarbeiter oder Gruppenleiter Anfragen entgegen und die jungen Helfer erledigen den Einkauf und bringen ihn bis vor die Tür – natürlich unter Einhaltung der Hygienevorschriften des Robert-Koch-Instituts.

Zettel sind an einer Leine durch den Kirchenraum gespannt.
Bild: ©Wolfgang Schultheis

Die Pfarrei Sankt Nikolaus in Wörth am Main bietet in der Pfarrkirche "Gottesdienste zum Mitnehmen" an.

Andere Gläubige engagieren sich für bedürftige Menschen: Die Gemeinde St. Petrus und Paulus hat zusammen mit der Caritas Ludwigshafen (Bistum Speyer) die Aktion "Eine Dudd für LU" ("Eine Tüte für Ludwigshafen") gestartet. Weil die Tafel der Stadt wegen der Schutzmaßnahmen gegen das Virus schließen musste, haben sie eine Lebensmittelsammlung organisiert. Gemeindemitglieder wurden aufgerufen, haltbare Nahrungsmittel sowie Hygieneartikel zu spenden. Diese wurden zentral an der Kirche St. Ludwig gesammelt und von Helfern in den Varianten "Ä Fressdudd" mit Essbarem und "Ä Weschdudd" zum Beispiel mit Seife, Zahnbürste und Einwegrasierer bestückt. Alles unter Beachtung der Vorschriften. Bedürftige konnten sich die Tüten an Gründonnerstag und Karfreitag an der Kirche abholen.

Angesichts des Gottesdienstverbots hatte die Pfarrei St. Nikolaus in Wörth am Main im Bistum Würzburg eine kreative Idee. Seit Mitte März gibt es in der Pfarrkirche einen "Gottesdienst zum Mitnehmen". Die Impulse für eine Andacht zuhause hängen an einer Wäscheleine und können während der Öffnungszeiten der Kirche einfach heruntergenommen werden. "Obwohl unsere gemeinsamen Gottesdienste entfallen – Gott feiert sie auf jeden Fall, und wir sind von ihm eingeladen mitzufeiern", wird Pfarrer Wolfgang Schultheis auf der Internetseite der Pfarrei zitiert.

Schutzengel am Kirchenzaun

Für einen Gottesdienst daheim brauche man nicht viel, erklärt der Pfarrer – einen ruhigen Ort, etwas Zeit, eventuell eine Kerze und ein Kreuz. Alles andere finde man auf den ausgehängten Blättern: Gebete, eine Lesung, einen passenden Impuls, Lieder und einen Segensgruß. Zu jedem Lied gibt es zudem einen QR-Code, mit dem man die Musik auch auf dem Smartphone oder Computer abspielen kann. "Wir haben es so aufgebaut, dass man auch alleine feiern kann", erklärt Schultheis. Bislang würden jeweils 15 bis 20 Exemplare von einem "Gottesdienst zum Mitnehmen" ausgehängt, bei Bedarf könne aber auch nachgedruckt werden.

Eine niederschwellige Idee hatte die Pfarrgemeinde St. Georg im Mansfelder Land. In Helbra hängt die Gemeinde seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie regelmäßig selbstgebastelte Schutzengel an den Kirchenzaun. "Ich glaube, dass das den Menschen wirklich hilft", erzählt Gemeindereferentin Teresa Hofmann im Gespräch mit katholisch.de. Sie habe beobachtet, dass auch Nichtchristen sich bereits Engel mitgenommen hätten.

Auf einem Tisch liegen ein leerer Eierkarton, eine Osterkerze, Schokoladenhasen, Ostereier und Hefte mit spirituellen Impulsen und Bastelanleitungen.
Bild: ©privat

Der Inhalt einer "familienfreundlichen" Ostertüte: Der "Kreuzweg im Eierkarton", eine Osterkerze, Schokoladenhasen, Ostereier und Hefte mit spirituellen Impulsen und Bastelanleitungen.

Ähnlich wie im Bistum Regensburg hat auch die Pfarreiengemeinschaft Herzlake und Dohren im Emsland (Bistum Osnabrück) dieses Jahr Glaubenspakete zusammengestellt. Denn gerade in diesen Zeiten "wollen wir Erwachsene und Familien trotzdem erreichen", sagt Gemeindeassistentin Sandra Lübken auf Anfrage von katholisch.de. Ostern falle weder aus, noch werde das Fest abgesagt, stattdessen komme das Fest in diesem Jahr eben nach Hause. Und zwar mit der "Aktion Ostertüte". Die Tüten gibt es in zwei Versionen: "Klassisch-traditionell" und "Familienfreundlich". Während die erste Tüte die Bibeltexte ab Gründonnerstag, Anleitungen für einen Gottesdienst, einen Kreuzweg, eine Osterkerze und ein Osterei enthält, wartet die Familien-Version mit einem besonderen Clou auf. Natürlich gibt es auch hier die entsprechenden Bibeltexte (in kindgerechter Sprache), dazu spirituelle Impulse etwa zum Emmausgang, ein Puzzle und Bastelideen.

Das Highlight der Tüte sei aber der "Kinderkreuzweg im Eierkarton", verrät Lübken. Anhand von Symbolen wie Papiertaschentuch, Nagel und Stein, die sie nach und nach in den leeren Eierkarton legen, sollen die Kinder den Leidensweg Jesu nachvollziehen können. Das sei so einfach wie eindrücklich, sagt die Gemeindeassistentin. Nachdem das Angebot in der Pfarrei bekannt gemacht wurde, sind 180 Anfragen zusammengekommen, ungefähr die Hälfte davon für die Familienversion. Dabei meldeten sich auch "Familien und älteren Menschen, die man sonst in der normalen Sonntagsmesse gar nicht auf dem Schirm hat", so Lübken. Ob das an Corona liege, könne sie aber nicht sagen. Das Projekt wäre bestimmt auch ohne die Pandemie gut angekommen.

Glauben (mit)teilen

Da stellt sich die Frage, ob es auch nächstes Jahr wieder Ostertüten geben wird. Das sei noch nicht entschieden, sagt Lübken. Das Befüllen von fast 200 Tüten sei schließlich nicht wenig Arbeit. Außerdem wolle man die Menschen nicht zum Zuhausebleiben ermuntern, sondern "nächstes Jahr zuallererst wieder im Gottesdienst begrüßen" können.

Durch die Pandemie sehen sich viele Christen dazu gezwungen, ihren Glauben zuhause zu leben und allein oder in der Familie zu beten – doch neben der eigenen Spiritualität macht gerade Gemeinschaft den christlichen Glauben aus. Damit die Gläubigen diese Verbindung auch in Krisenzeiten spüren können, hat sich Andreas Münster etwas einfallen lassen. Der Referent des Dekanats Wetterau bei Frankfurt im Bistum Mainz hat die Aktion "Glauben teilen – Teilen Sie Ihren Glauben mit" ins Leben gerufen. Gemeindemitglieder sind dazu aufgerufen, in kurzen Texten aufzuschreiben, was ihren Glauben ausmacht, was er ihnen bedeutet oder wie er ihnen Kraft gibt.

Dabei spielt es keine Rolle, ob sie sich von der aktuellen Situation oder übergeordneten Themen wie Anteilnahme, Musik oder Zusammenhalt inspirieren lassen. Münster sammelt die Beiträge und veröffentlicht sie auf der Website des Dekanats. Die Aktion läuft seit knapp drei Wochen und steht auch Menschen offen, die nicht im Gebiet des Dekanats wohnen. Denn das Wichtige für Münster und das Dekanatsteam ist, dass Menschen hier Zeugnis ablegen – für sich, aber eben auch für die Gemeinschaft der Gläubigen.

Von Cornelius Stiegemann und Steffen Zimmermann