Bätzing: Kirche ist in Corona-Krise gefragt
Kirche und Spiritualität sind in der Corona-Krise nach Einschätzung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, gefragt. "Ich erlebe, dass viel gebetet wird", sagte er im Interview der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Viele Menschen hätten in der soeben beendeten Fastenzeit ihre Vorsätze überprüft, etwa punktuell auf Süßigkeiten zu verzichten, so der Limburger Bischof. Und viele hätten "angenommen, was jetzt von uns verlangt ist: nämlich die Abschottung, die Distanz, der Verzicht auf körperliche Nähe, um die zu schützen, die uns nahe und die gefährdet sind."
Die Situation, Gottesdienste ohne Gläubige zu feiern, sei "merkwürdig", fügte Bätzing hinzu. "Liturgie ist Dialog. Jetzt fehlen uns Priestern die Dialogpartner." Gottesdienste in digitaler Übertragung seien eine Möglichkeit, dennoch miteinander verbunden zu bleiben: "So viele gestreamte Gottesdienste wie jetzt gab es noch nie."
Ostern als "Hoffnungspunkt"
Er rechne damit, dass die Corona-Krise für deutliche Änderungen sorgen werde, erklärte der Bischof. "Ich würde mich freuen, wenn diese Krise zu mehr Solidarität nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa führen würde." Zudem hoffe er, "dass wir eine bessere Vorstellung davon bekommen, was im Leben zählt. Das rückt oft in den Hintergrund", sagte Bätzing. Das Osterfest sei inmitten der Krise ein "Hoffnungspunkt", der spürbar mache: "Wir halten das aus, weil wir wissen, dass das Leben wieder aufblühen wird."
Weiter sagte Bätzing, die Kirche könne "Orientierungswissen" bieten. Damit die Menschen dieses Angebot annähmen, müsse sie indes "über Gräben springen". Bei vielen Menschen komme derzeit die Botschaft an, dass die Kirche beim Thema Sexualmoral "bei einer Verbotsmoral" bleibe. "Das möchte ich öffnen", betonte Bätzing.
Auch von jungen Leuten höre er häufig, dass sie in der Kirche bleiben wollten, erklärte der Limburger Bischof. "Aber dann sagen sie: Wenn ihr so schräg danebenliegt, dann kann ich das nicht mehr." Diese Kluft müsse überwunden werden, "ohne dass wir eine völlig neue Lehre entwickeln". Ein Beispiel sei die kirchliche Positionierung zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen. "Wir bewegen uns in der Moraltheologie längst darauf hin, zu sagen: Wenn echte Liebe und Treue gelebt werden, müssen wir das anerkennen. Die Menschen entscheiden ohnehin selbst, wie sie leben. Können wir ihnen sagen, dass ihre Verbindung unter dem Segen Gottes steht?" Auch die Diskussion über die Rolle von Frauen in der Kirche sei "nicht vom Tisch", betonte Bätzing. Bei "Entlohnung, Quoten, Frauen in Führungspositionen" sei das Ziel noch nicht erreicht.
Vertuschung von Missbrauchsfällen "kolossaler Fehler"
Des Weiteren bezeichnete Bätzing die Vertuschung von Missbrauchsfällen durch Geistliche als "kolossalen Fehler". "Die damalige Perspektive konnte nicht das Wissen heranziehen, das wir heute haben", sagte er. Dies sei keine Entschuldigung, müsse aber bedacht werden.
Heute sei bekannt, "was Missbrauch bei Kindern und Jugendlichen anrichtet", führte Bätzing aus. "Aus heutiger Perspektive ist es gar nicht mehr zu begreifen, dass Betroffene nicht gehört und Täter geschützt wurden." Früher dagegen hätten sowohl die Gesellschaft als auch Kirchenvertreter geglaubt, "dass man sexuelle Neigungen therapieren und dass Missbrauch abgestellt werden kann. Die Perspektive der Opfer war nicht im Blick." Rückblickend sei dies "sehr beschämend", so der Bischof. "Heute sind wir da aus bitterer Einsicht weiter."
Zur Finanzierung von Schmerzensgeldzahlungen an Betroffene sagte Bätzing, die Bischofskonferenz habe "bewusst keine einheitliche Lösung gewählt". Er könne verstehen, wenn Menschen sich dagegen wehrten, dass derartige Zahlungen aus Kirchensteuermitteln erfolgen. Andererseits gebe es "keinen Cent im Vermögen eines Bistums, der nicht allen Kirchenmitgliedern gehört. Es gibt Diözesen, die nichts anderes haben, gerade im Osten." Zunächst sollten die Täter zur Verantwortung gezogen werden, fügte der Bischof hinzu - "aber sehr viele leben nicht mehr".
Die Bischöfe hatten sich Anfang März auf deutlich höhere Zahlungen an Missbrauchsopfer als bisher geeinigt. Laut Modell orientiert sich die Kirche an der zivilrechtlichen Schmerzensgeld-Tabelle und entsprechenden Gerichtsurteilen. Dies bedeutet derzeit Summen zwischen 5.000 und 50.000 Euro pro Fall. Dabei will die Kirche stets die Summen "am oberen Ende des Ermessensspielraums" zahlen. (cph/KNA)