Deutsche Bischöfe bekennen Mitschuld am Zweiten Weltkrieg
Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich in einem historischen Schritt zu einer Mitschuld der katholischen Bischöfe Deutschlands am Zweiten Weltkrieg bekannt. "Indem die Bischöfe dem Krieg kein eindeutiges 'Nein' entgegenstellten, sondern die meisten von ihnen den Willen zum Durchhalten stärkten, machten sie sich mitschuldig am Krieg", heißt es in einem neuen Dokument der Bischofskonferenz, das am Mittwoch in Bonn veröffentlicht wurde. Das 23-seitige Papier mit dem Titel "Deutsche Bischöfe im Weltkrieg" wurde aus Anlass des bevorstehenden 75. Jahrestags des Kriegsendes herausgegeben. Laut dem Vorsitzenden der Konferenz, Bischof Georg Bätzing, soll es Antworten auf kritische Anfragen nach dem Verhältnis der damaligen deutschen Bischöfe zum Zweiten Weltkrieg beantworten.
In dem Schreiben bekennen die Bischöfe, dass es lange gedauert habe, bis in der katholischen Kirche in Deutschland und unter den Bischöfen die eigenen Verstrickungen in das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg thematisiert und selbstkritisch betrachtet worden seien. Der grundsätzliche Widerspruch zur nationalsozialistischen Weltanschauung, der Verweis auf die Märtyrer der Konzentrationslager und Hinrichtungsstätten und die Anwaltschaft der Bischöfe für das eigene Volk hätten der Mehrheit lange Zeit als hinreichende Antwort auf die Fragen nach der Mitverantwortung und Schuld im Krieg und im Nationalsozialismus gegolten. "Heute blicken wir mit Trauer und Scham auf die Opfer und diejenigen, deren existentielle Fragen angesichts der Verbrechen und des Krieges ohne angemessene Antwort aus dem Glauben blieben", so die Bischöfe. Mit dem Abstand der Jahre sei der Umstand, dass für die Leiden und die Opfer der Anderen lange Zeit jeder Blick gefehlt habe, besonders beschämend.
"Offener Protest gegen NS-Vernichtungskrieg blieb aus"
Mit deutlichen Worten werfen die Bischöfe ihren Vorgängern vor, den Verbrechen des NS-Regimes im Weltkrieg nicht energisch genug widersprochen zu haben: "Sowohl im September 1939 als auch danach blieb der offene Protest der deutschen Bischöfe gegen den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg aus." Die tradierte kirchliche Sicht des Krieges und das nationale Bewusstsein hätten aufkommenden Zweifeln entgegengestanden. "Auch gegen die ungeheuerlichen Verbrechen an den als 'rassenfremd' diskriminierten und verfolgten Anderen, insbesondere den Juden, erhob sich in der Kirche in Deutschland kaum eine Stimme", so die Bischöfe weiter. Stattdessen habe es des Anstoßes durch Patientenmorde und "Klostersturm" bedurft, damit einzelne Oberhirten die allzu lange geübte Praxis schriftlicher Eingaben verlassen und offenen Widerspruch gewagt hätten. Erst am 19. August 1943 sei es der Bischofskonferenz gelungen, sich zu einem gemeinsamen Hirtenbrief durchzuringen, in dem sie die Bindung jeder staatlichen Ordnung an Wahrheit und göttliches Recht, den Schutz von Ehe und Familie, die Rückbindung des Gehorsams an das Gewissen, das bedingungslose Recht auf Leben und den Schutz des Eigentums öffentlich eingeklagt habe. Gleichzeitig jedoch seien die Soldaten weiterhin zu treuer Pflichterfüllung aufgerufen worden.
Zwar hätten die Bischöfe den von Deutschland ausgehenden Krieg nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs nicht mehr ausdrücklich als "gerecht" legitimiert. "Aber die leidvollen Opfer, die es zu bringen und – je länger desto mehr – zu beklagen galt, wurden wie ehedem aus einem nationalen, 'vaterländischen' Denken heraus akzeptiert", heißt es in dem Dokument. Mit dem Angriff auf die Sowjetunion sei die Vorstellung eines "Kreuzzugs" gegen den "gottlosen Bolschewismus" verbunden worden, was das Kriegsgeschehen zusätzlich religiös aufgeladen habe: "Zwar teilten die Bischöfe nicht die rasseideologische Begründung des Krieges durch die Nationalsozialisten, aber ihre Worte und Bilder bestärkten sowohl Soldaten als auch das kriegsführende Regime, indem sie dem Krieg einen zusätzlichen Sinn verliehen."
Letztlich, so bilanzieren die Bischöfe, hätten die damaligen Oberhirten keinen Ausweg aus der Spannung gefunden, die sich aus der geteilten Vorstellung patriotischer Verpflichtung im Krieg, der Legitimität staatlicher Obrigkeit, den daraus resultierenden Gehorsamspflichten sowie den offenkundigen Verbrechen ergeben habe. "Die christlichen Maßstäbe zur Einordnung des Krieges trugen offenkundig nicht mehr", betonen die Bischöfe. Den teuflischen Verstrickungen in die Verbrechen und den daraus erwachsenen Nöten sei man nicht gerecht geworden.
Dokument versucht, Verhalten der Bischöfe zu erklären
Neben der Anklage versucht das Papier der Bischofskonferenz auch, das damalige Verhalten der Bischöfe zu erklären: "So schwer verständlich, wenn nicht sogar falsch uns das Verhalten unserer Vorgänger im Bischofsamt heute auch erscheint, es enthebt uns nicht der Mühen des historischen Verstehens." Man sei es nicht zuletzt den Opfern schuldig, der Frage nachzugehen, wie sich "solche Haltungen entwickeln konnten und worin sie ihre Begründung fanden". Man wolle daher auf Faktoren hinweisen, die helfen könnten, das Verhalten der Bischöfe nachvollziehbar zu machen, ohne es entschuldigen zu wollen.
Dossier: Kirche und NS-Zeit
In der Zeit des Nationalsozialismus schwankte die katholische Kirche in Deutschland immer wieder zwischen Anpassung und Opposition. Das zeigte sich unter anderem auch bei den Bischöfen der damaligen Zeit. Das Dossier gibt einen Überblick über die Situation der Kirche und einiger Geistlicher in der NS-Zeit.Zunächst nennen die Bischöfe traditionelle Ordnungsvorstellungen, von denen ihre Amtsvorgänger geprägt gewesen seien. Unter Bezugnahme auf die Bibel habe die Kirche staatliche Ordnung und Gewalt als von Gott gegeben und gewollt betrachtet. "Dies schloss Kritik an den Verantwortlichen nicht aus. Die Ordnung selbst wurde aber nicht infrage gestellt, da eine Auflehnung gegen die staatliche Ordnung zugleich als Auflehnung gegen den göttlichen Willen verstanden wurde." Diese traditionelle Form der Legitimation von Herrschaft, so merken die Bischöfe kritisch an, habe unter den Bedingungen der Moderne eine größere Nähe zu monarchistischen und autoritären als zu freiheitlich-demokratischen Staatsformen hervorgebracht. Das NS-Regime, dessen Weltanschauung von den Bischöfen klar abgelehnt worden sei, sei als Ordnungsmacht angesehen worden, die es zu respektieren und zu schützen galt. "Unter den Bedingungen des NS-Unrechtsstaats führte dies zu einer ambivalenten und teils auch problematischen Positionierung der Kirche", heißt es in dem Dokument wörtlich.
Als weitere Erklärung nennen die Bischöfe die Lehre vom "gerechten Krieg", die entgegen ihrer Intention der Gewaltbegrenzung im Laufe der Neuzeit zu einem Mittel der Gewaltlegitimation geworden sei und zur Gewöhnung an Gewaltmittel beigetragen habe. "Auch wenn am gewachsenen politischen Umgang mit dieser Lehre seit den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges Zweifel lauter wurden, hat sie doch dazu beigetragen, dass die allermeisten Christinnen und Christen den Krieg als Form politischer Auseinandersetzung dem Grundsatz nach in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch nicht hinterfragten".
Bätzing: Lernen aus Geschichte bleibt Kirche nicht erspart
Schließlich werden außerdem die "selbstverständliche Anwesenheit des Militärischen im Alltag", die kirchlichen Erfahrungen des Kulturkampfs im Deutschen Kaiserreich, die auch in der katholischen Kirche und unter den Bischöfen vorhandene Ablehnung des Versailler Vertrags und der vom NS-Regime propagierte und von der Kirche unterstützte Kampf gegen den Bolschewismus als Erklärungen für das Verhalten der Bischöfe angeführt.
Bei der Vorstellung des Dokuments betonte Bischof Bätzing, dass das Lernen aus der Geschichte auch der Kirche nicht erspart bleibe. Dies gelte auch für die Frage nach dem Verhalten der Bischöfe während des Krieges, mit dem sich ihre Nachfolger kritisch auseinandersetzen müssten. "Dass uns dies nicht ganz leichtfällt, braucht nicht verschwiegen zu werden", so Bätzing. "Denn wir wissen, dass uns die Rolle des Richters über unsere Vorgänger nicht gut zu Gesicht steht. Keine Generation ist frei von zeitbedingten Urteilen und Vorurteilen. Dennoch müssen sich die Nachgeborenen der Geschichte stellen, um aus ihr zu lernen für Gegenwart und Zukunft." Zugleich zeigte sich der Vorsitzende der Bischofskonferenz dankbar für die vielfältigen politischen und gesellschaftlichen Initiativen, die sich in den Jahrzehnten nach dem Krieg für die Aussöhnung der Völker, für Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt hätten. Nicht zuletzt Christen und Kirchen in Ost und West hätten hier Beachtliches geleistet, betonte Bätzing, der zudem den 8. Mai 1945 – den Tag des Kriegsendes in Europa – in Anlehnung an den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker als "Tag der Befreiung" bezeichnete. "Auch wir sind befreit worden: von den Grauen des Krieges, von Nazi-Unterdrückung und Massenmord", so der Limburger Bischof.
"Die katholische Kirche in Deutschland war Teil der Kriegsgesellschaft"
Bischof Heiner Wilmer erläuterte, dass sich aus der Vielzahl der "unstrittigen historischen Fakten" über die Haltung der Bischöfe zum Krieg "ein Bild der Verstrickung" ergebe. "Bei aller inneren Distanz zum Nationalsozialismus und bisweilen auch offener Gegnerschaft war die katholische Kirche in Deutschland Teil der Kriegsgesellschaft." Zwar habe sich die Perspektive vieler Bischöfe im Laufe des Krieges verändert, die Leiden des eigenen Volkes hätten in der Bewertung jedoch im Vordergrund gestanden, so Wilmer, der als Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax an der Pressekonferenz teilnahm. Die Kommission war ebenso wie die Kommission für Zeitgeschichte und mehrere Kommissionen der Bischofskonferenz an der Vorbereitung des Dokuments beteiligt.