Kölner Erzbischof über Gottesdienste, Obdachlosenhilfe und die Bundesliga

Kardinal Woelki: Vermisse es, in der Kneipe ein Kölsch zu trinken

Veröffentlicht am 06.05.2020 um 18:00 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ In Corona-Zeiten fehlt es dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki nicht nur, mal wieder ein Kölsch zu trinken. Trotzdem: Jetzt, wo öffentliche Gottesdienste unter bestimmten Bedingungen wieder möglich sind, verrät er, es sei auch eine Bereicherung gewesen, die Liturgie im leeren Dom zu feiern.

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Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki im menschenleeren Dom: Das Video ist am Karfreitag im Internet viral gegangen. Wie sich das anfühlt und warum es einfacher war, in der leeren Kathedrale zu feiern, als jetzt mit Hygiene-Beschränkungen, verrät Woelki selbst. Der Fan des 1. FC Köln gibt außerdem zu, dass er kein Freund von Geisterspielen in der Bundesliga ist.

Frage: Wir sind ja im Moment in der Situation, wo es sich anscheinend so ein bisschen entspannt. Die Leute sind nicht mehr so ganz angespannt wie in den ersten Wochen. Ganz einfach gefragt: Wie geht es Ihnen?

Woelki: Also mir persönlich geht es ganz gut. Ich habe eigentlich auch in den vergangenen Wochen die Möglichkeit gehabt, mehr oder weniger normal weiterzuarbeiten. Vieles hat jetzt natürlich in Videokonferenzen stattgefunden, aber es war auch teilweise möglich in Räumlichkeiten, die mir zur Verfügung stehen und die teilweise auch auf große Konferenzen hin ausgelegt sind, mit Menschen persönlich vis-à-vis zu sprechen unter Wahrung des Abstandes und natürlich auch der Hygieneregeln. Also, insofern hat sich eigentlich, was so meine Arbeit angeht, vieles gar nicht so sehr verändert. Was ich vermisse, ist die Freiheit, die sonst im Alltag gegeben ist, dass man in ein Restaurant gehen oder in einer Kneipe hier auf der Ecke ein Kölsch trinken kann.

Frage: Wissen Sie, was am 11. März zuletzt gewesen ist?

Woelki: Am 11. März, jetzt spontan nicht. Ich denke mal, dass das der letzte öffentliche Gottesdienst gewesen ist.

Frage: Fast. Letztes Fußballspiel von der Bundesliga.

Woelki: Aha, ok.

Frage: Also, wir sind jetzt quasi ungefähr sieben Wochen ohne FC-Spiele und alles. Was macht das mit Ihnen?

Woelki: Naja, also ich vermisse das natürlich schon ein Stück und der Samstag hat dadurch bei mir ein bisschen an Sinngehalt verloren. Also, es ist sonst schon ein fester Bezugspunkt für mich, aber ich tue mich ehrlich gesagt auch schwer, jetzt mit Blick auf die Gesundheit der Spieler und Zuschauer, da auf Lockerungen zu drängen und Geisterspiele glaube ich, sind nicht so wirklich erfrischend. Der Erste FC Köln hat ja schon eines gegen Borussia Mönchengladbach spielen müssen. Es wäre ganz schön, glaube ich, wenn man eine Lösung finden könnte, die für die nächste Saison trägt, aber unter Wahrung  der Gesundheit der Zuschauer und Spieler.

Frage: Sie sind jetzt aber gerade diese Woche trotzdem mit den Fans zusammengekommen, die sie hier unterstützen. Hier im Haus bei der Essensausgabe für Obdachlose, die Sie im Moment machen, nicht wahr?

Woelki: Ja, es sind die Ultras des Ersten FC Köln. Die haben wahrgenommen, dass wir hier im Priesterseminar diese Mittagsgelegenheit für die Obdachlosen haben und natürlich auch die Duschen, die hier im Priesterseminar zur Verfügung stehen, den Obdachlosen anbieten. Das war ja eine Situation, dass hier bei uns in Köln die eine oder andere Einrichtung schließen musste, auch die Tafeln, weil es ja vornehmlich ältere Menschen sind, die sich dort engagieren und die natürlich auch zur Risikogruppe gehören. Und deshalb fand ich es großartig, dass sich gleich junge Menschen bereit erklärt haben, da mitzumachen und sich einzusetzen. Das sind eben nicht nur junge Leute gewesen, die jetzt hier Theologie studieren oder bei uns im Crux in der Jugendkirche mitmachen, sondern auch die Ultras des Ersten FC Köln und ich bin wirklich von der Begegnung mit ihnen sehr begeistert. Das sind junge, engagierte Männer, die wirklich auch ein Herz für die Bedürftigen hier haben und die sich wirklich auch in den Dienst nehmen lassen und sich für nichts zu schade sind. Sie desinfizieren Tische und Stühle, tragen das Essen auf und die, wie alle jungen Leute übrigens, von einer ausgesprochenen Herzlichkeit und Zuvorkommenheit gegenüber den Obdachlosen sind. Sie betonen zum Beispiel, dass sie natürlich wegen der Duschen und des guten Essens kommen.

Das ist auch das Essen, was unsere Mitarbeitenden im Generalvikariat bekommen, das auch ich an den Tagen gegessen habe, wenn ich drüben mir das Essen geholt habe oder Mitarbeiter aus meinem Büro es mir mitgebracht haben. Also, da ist nichts weniger oder schlechter gekocht worden, sondern es ist dasselbe Essen und das ist ein Ausdruck von Wertschätzung. So sind auch die jungen Leute und auch die Ultras, die da mit zugehören in dieser wertschätzenden Weise mit unseren Obdachlosen umgegangen. Sie haben mir wiederholt gesagt, das ist für sie oftmals sogar wichtiger gewesen, diese Wertschätzung zu erfahren als eben auch diese gute Mahlzeit. Man lebt auch vom guten Blick, vom guten Wort und von der guten Hand.

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Frage: Ich würde gern mal ein bisschen auf das gottesdienstliche Leben in den letzten Wochen gucken. Das war eine Kar- und Osterzeit, die bis jetzt keiner von uns so erlebt hat. Sie mussten ja Entscheidungen treffen, die niemand gerne trifft. Niemand macht gerne die Kirchen zu. Können Sie uns einmal in diese Anfangszeit mitnehmen, als das wirklich entschieden werden musste? Als wir gesagt haben: "Das was für uns wichtig ist, Gottesdienst, Gemeinschaft, Kommunion, Eucharistie ist jetzt nicht in nächster Zeit."

Woelki: Ich habe das eben an diesem Samstag, dem 13. oder 14. März erfahren, da rief der Generalvikar nachmittags so gegen vier oder halb fünf an. Er hatte mit dem Dompropst zusammengesessen und sie hatten gerade davon erfahren, dass hier in der Stadt Köln die Maßgabe erfolgt war, dass wir die Kirchen schließen sollten und dass die Gottesdienste schon am Abend nicht mehr stattfinden sollten. Wir waren davon natürlich überrascht, wir hatten klar gesagt, dass wir auf jeden Fall die Gottesdienste weiter feiern werden und versuchen werden, die Abstandsregeln dann einzuführen. Das ist ein Grundrecht und die Gläubigen haben auch das Recht darauf, dass sie die Heilige Messe besuchen und die Eucharistie empfangen können. Aber dann hieß es, dass die Stadt Köln und augenscheinlich auch andere Kommunen doch sehr strenge Regeln schon erlassen hatten. Eben aus Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung, was ja auch menschlich sehr zu verstehen ist. Die Landesregierung selber hat aber, dankenswerterweise, nicht diese harte Regelung getroffen, dass also Gottesdienste in Nordrhein-Westfalen untersagt waren, wie das in anderen Bundesländern der Fall gewesen ist.

Wir Kirchen sind im Gespräch mit der Landesregierung eine Selbstverpflichtung eingegangen und haben gesagt: "Wir verzichten zum Wohle der Menschen und der Gesundheit und um der Gesundheit Willen darauf, Gottesdienste in der Öffentlichkeit zu feiern." Es haben ja immer Gottesdienste stattgefunden und wir haben sie gestreamt und wir haben ja auch aus dem Dom heraus übertragen. Da hatten Sie ja hohe Zugriffszahlen und ich habe in den vergangenen Wochen zahlreiche Zuschriften aus der ganzen Bundesrepublik bekommen. Wie dankbar sich die Menschen dafür gezeigt haben und wie es für sie dennoch möglich war, in einer sehr intensiven, geistlichen, gläubigen Weise die Heilige Messe, vermittelt durch die Medien, mitfeiern zu können.

Frage: Jetzt hatten wir am Sonntag den ersten öffentlichen Gottesdienst mit Hygiene- und Abstandsregeln. Das Bild, dass ja durch die Medien gegangen ist, ist die Plexiglas-Scheibe, durch die Sie dann die Eucharistie den Menschen gegeben haben. Wie fühlt sich das für Sie an? Das ist doch bestimmt nichts Schönes, oder?

Woelki: Naja, was heißt Schönes. Es ist für mich schwierig gewesen, am Sonntag eine Beziehung zu der Gottesdienstgemeinde aufzubauen. Zumindest habe ich es so erlebt. Man saß jetzt wirklich im langen Hauptschiff so vereinzelt. In den Wochen zuvor hatten wir ja auch am Vierungsaltar den Gottesdienst gefeiert und da war es auch aufgrund der Größe des Altarraumes möglich, insgesamt 20 Menschen zu positionieren. Da war ein unmittelbarerer Bezug gegeben. Und es war ein sehr eigenes Gefühl, aber es war eine große Intimität gegeben.

Bild: ©epd/Robert Boecker

Der erste öffentliche Gottesdienst nach fast zwei Monaten: Kardinal Rainer Maria Woelki gab die Kommunion im Kölner Dom unter Plexiglasscheiben hindurch an die Gläubigen aus.

Ich habe das durchaus als Bereicherung erfahren. Der leere Dom hat noch mal eine ganz eigene Wirkung entfaltet. Für mich war der Sonntag mit dem ersten öffentlichen Gottesdienst sehr viel schwieriger, von der Atmosphäre, als zuvor. Dazu hat sicherlich auch beigetragen, dass wir nicht singen durften. Da spürt man doch sehr deutlich wie der Gesang und die Musik ein Constitutivum in der Liturgie sind.

Frage: Das ist das Größte und Schwierigste was mir fehlt, glaube ich. Eines der beeindruckendsten Bilder in den letzten Wochen fand ich das Video, das es gibt von Ihnen am Karfreitag, wie Sie durch den komplett leeren Dom, durch den Mittelgang zum Altar nach vorne gehen. Ich fand das schon ziemlich bewegend. Wie haben Sie das erlebt?

Woelki: Ja, in der Tat. Das war auch für mich innerlich bewegend und ergreifend. Am Karfreitag gedenken wir der Kenosis des Herrn, also der Entleerung, der Übereignung des Herrn. Er übergibt sich in dieser Stunde ganz dem Vater. Also selbst im Tod versucht er nicht auf sich selbst zu setzen, sondern er vertraut sich ganz dem Vater an und überlässt sich ihm. Er hat ja dann auch ihn nicht im Tod belassen, sondern ihn am dritten Tage von den Toten auferweckt. Aber diese Leere, die Entäußerung von Getsemani, das war für mich in dieser Stunde sehr existenziell erfahrbar und das hat mich sehr berührt. Auch wirklich durch diese Leere des Domes, der Raum, der einen lediglich umfing, und dann natürlich die Postratio, das sich Niederwerfen vor dem Altar. Das waren für mich sehr persönliche, geistliche Augenblicke, in denen ich versucht habe meine persönlichen Versprechen bei der Priester- und Bischofsweihe, wo dieser Gestus ja auch gegeben ist, zu erneuern. Ich habe persönlich versucht, mich auch noch einmal Gott zu übereignen.

Frage: Also, ich fand das sehr emotional und ich glaube, das ging vielen Leuten, die zugesehen haben, so. Wenn man auch noch einmal verdeutlicht bekommt, was wir eigentlich feiern in dem Moment.

Woelki: Genau, das ist in der Tat so. Es war eine absolute Reduktion auf das Wesentliche und vor dem konnte man einfach nicht ausweichen. Man war auf sich selbst zurückgeworfen und es standen, in dem Augenblick jedenfalls für mich, auch die existenziellen Fragen, die letzten Fragen nach dem Leben, nach dem Sterben irgendwie mir vor Augen.

Frage: Jetzt gehen wir zurück in den Alltag. Die Gottesdienste finden mehr und mehr wieder statt. Haben Sie sich schon überlegt, worauf Sie sich freuen, was Sie wieder machen wollen, wenn es wieder geht?

Woelki: Ich würde mich natürlich schon freuen, wenn es wieder möglich ist, die Gemeinde auch zu besuchen und vor allen Dingen, wenn es möglich ist, dass wir zu der vorher gewohnten Praxis zurückkehren können. Also dass die Möglichkeit besteht, dass wir uns wieder in großen Gemeinschaften versammeln können, um Gottesdienst zu feiern. Wir leben alle von der Begegnung und vom Miteinander und Füreinander. Wir Menschen sind soziale Wesen. Ich fürchte allerdings, dass das noch einige Zeit dauern wird und wir werden natürlich als Kirche hier im Erzbistum Köln sehr verantwortungsvoll damit umgehen und keine Schnellschüsse machen. Für uns wird weiterhin gelten, dass die Gesundheit der Gottesdienstbesucher, unserer Gemeinden an oberster Stelle steht und deshalb werden wir wahrscheinlich darauf hoffen müssen mit all den vielen anderen, dass es bald einen Impfstoff gibt oder ein Medikament gefunden wird, was es dann ermöglicht, dass wir zu diesen alten Formen wieder zurückkehren können.

Frage: Bis dahin halten wir das zusammen durch. Herr Kardinal, es gibt eine Abschlussfrage, die jeder in dem Gespräch beantworten muss, die Krankenschwestern, die Schauspieler und Politiker. Ich würde Sie auch gern fragen: Was erleben Sie im Moment in Ihrem Alltag, dass Ihnen Hoffnung bringt?

Woelki: Hoffnung können Sie jetzt gleich hier im Priesterseminar sehen. Wie die jungen Menschen mit den Obdachlosen umgehen. Ich habe eigentlich nicht nur hier im Priesterseminar, sondern auch gegenwärtig aus ganz vielen Gemeinden die Rückmeldung bekommen, wie man dort aktiv versucht mit dieser Krise umzugehen, wie auf einmal ganz neue Formen des Miteinanders und des Caritativen erwachsen von Corona-Engeln, wo junge Menschen für andere einkaufen gehen. Im Oberberg zum Beispiel werden Briefe geschrieben an Kinder, die aus prekären Familien kommen, um ihnen zu sagen, dass sie nicht allein sind und um ihnen Zeichen der Ermutigung zu geben. Oder wo unsere Jugendagentur sich gegenwärtig um die Kinder sorgt, die aus prekären Verhältnissen kommen, dass sie dann wenigstens auch eine Mahlzeit bekommen. Es ist ja nicht nur so, dass die Wohnungslosen Schwierigkeiten haben im Alltag jetzt gegenwärtig zu bestehen, sondern dass eben vielfach auch die Jüngsten, die Kinder, davon betroffen sind.

Von Renardo Schlegelmilch