Kleine Städte mit großen Söhnen: Die Geburtsorte der Päpste
Wenn in den 1980er und 1990er Jahren vom "Leimener" die Rede war, wusste jeder in Deutschland, wer gemeint war: Boris Becker, der wohl für immer berühmteste Sohn des badischen Städtchens Leimen. Obwohl "der Leimener" zunächst nur eine Erfindung von Sportjournalisten war, die in ihren Berichten von den Tennisplätzen dieser Welt nicht immer nur "Boris Becker" sagen oder schreiben wollten, entwickelte das Synonym bald ein Eigenleben – mit Folgen vor allem für die Heimatstadt des Tennisstars. Denn während vor Beckers sportlichen Erfolgen kaum ein Mensch je von Leimen gehört hatte, brannte sich das Städtchen im Windschatten der sportlichen Erfolge seines berühmten Sohnes ins öffentliche Bewusstsein – aus Marketing-Sicht ein Sechser im Lotto.
Ganz ähnlich ging es in der jüngeren Vergangenheit auch manchem päpstlichen Geburtsort. Auch wenn "der Wadowicer" und "der Marktler" als Synonyme nie gebräuchlich waren – dank Johannes Paul II. (1978-2005) und Benedikt XVI. (2005-2013) sind das kleine Wadowice in Südpolen und das noch kleinere Marktl in Oberbayern als Geburtsorte der beiden Päpste heute in der ganzen Welt bekannt. Und wohl mehr noch als Leimen zu Beckers besten Zeiten profitieren Wadowice und Marktl bis heute von ihren berühmten Söhnen – vor allem in touristischer Hinsicht.
Geburtshäuser als Hauptanziehungspunkte
Hauptanziehungspunkte in beiden Orten sind die Geburtshäuser der späteren Kirchenoberhäupter. Beide beherbergen heute Museen, in denen an Leben und Werk der Päpste erinnert wird; das Haus in Marktl, in dem Joseph Ratzinger am 16. April 1927 geboren wurde, dient zudem als geistliche Begegnungsstätte. Seit April 2007, als das ehemalige Kurfürstliche Maut- und Zollgebäude der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, zog es rund 190.000 Besucher an – Menschen, die ohne den prominenten Sohn nie den Weg nach Marktl gefunden hätten.
"Kamen früher 2.000 Besucher im Jahr, so sind es heute 150.000", sagte der damalige Marktler Bürgermeister Hubert Gschwendtner (SPD) zum fünften Jahrestag der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst. Die kleine Gemeinde musste erst lernen, mit dem Ansturm zurechtzukommen. Neben den Touristen fielen in den Hochphasen auch Journalisten mit Mikrofonen und Kameras ein. Sie suchten das Besondere in Ratzingers Geburtsort und fanden, initiiert von findigen Geschäftsleuten, unter anderem "Papst-Bier", "Papst-Brot" und Christbaumkugeln mit dem Konterfei Benedikts XVI. Diese Form der "Vermarktelung" brachte dem Ort neben willkommenen Einnahmen auch viel Kritik ein. Inzwischen hat sich das Souvenir-Angebot längst auf ein normales Maß reduziert – auch weil die Zahl der Touristen sieben Jahre nach dem Rücktritt des deutschen Papstes deutlich zurückgegangen ist. Dennoch kommen pro Jahr immer noch rund 30.000 Menschen nach Marktl, um auf Benedikts Spuren zu wandeln.
Ähnlich wie Wadowice und Marktl versuchen auch andere päpstliche Heimatorte von der Prominenz ihrer berühmten Söhne zu profitieren. Etwa der norditalienische Geburtsort von Johannes XXIII. (1958-1963), der dessen Papstnamen sogar im Ortsnamen trägt: Sotto il Monte Giovanni XXIII. Auf Deutsch mag der Name "Unterhalb des Berges Johannes XXIII." etwas sperrig klingen – die Ehre, Bestandteil eines Ortsnamens zu werden, ist jedoch nur ganz wenigen Päpsten zuteil geworden. Grund genug für die Umbenennung hatte das 4.500-Einwohner-Städtchen nordwestlich von Bergamo, denn ohne Angelo Giuseppe Roncalli, so der bürgerliche Name des 2014 heiliggesprochenen Kirchenoberhaupts, wäre es heute wohl kaum der Rede wert.
"Il papa" ist in Sotto il Monte Giovanni XXIII. allgegenwärtig
Für die "Sottomontesi" ist Johannes XXIII. noch immer "Il papa" – der Papst. Und der ist in seinem Heimatort auch fast 60 Jahre nach seinem Tod allgegenwärtig. Zahlreiche Gedenksteine, Statuen und Straßennamen sind ihm gewidmet. Eine Straße etwa trägt den lateinischen Namen "Via Pacem in Terris" – benannt nach der Friedensenzyklika von 1963, die mit ihrem leidenschaftlichen Appell gegen die atomare Hochrüstung schon früh als politisches Vermächtnis des Papstes gefeiert wurde. Die ersten Worte der Enzyklika sind auf einem Gedenkstein zu lesen: "Der Friede auf Erden, nach dem alle Menschen zu allen Zeiten sehnlichst verlangten, kann nur dann begründet und gesichert werden, wenn die von Gott gesetzte Ordnung gewissenhaft beobachtet wird."
Und natürlich gibt es wie in Wadowice und in Marktl ein päpstliches Geburtshaus, das an die bescheidenen Anfänge des späteren Pontifex erinnert. Die "Casa Natale", in der Angelo Giuseppe Roncalli am 25. November 1881 in eine bäuerliche Großfamilie mit 13 Kindern hineingeboren wurde, beherbergt heute ein kleines Museum und einen Souvenir-Shop. Doch das Geburtshaus ist nicht das einzige ehemalige Roncalli-Wohnhaus in Sotto il Monte Giovanni XXIII. Nicht weit entfernt befindet sich die ungleich größere Residenz Ca' Maitino, die der spätere Papst seit 1925 für seine Sommeraufenthalte in der Heimat nutzte. Zuletzt lebte hier bis zu seinem Tod 2016 der ehemalige Privatsekretär von Johannes XXIII., der noch im Alter von 98 Jahren zum Kardinal erhobene Loris Capovilla.
Wie Sotto il Monte Giovanni XXIII trägt auch der Geburtsort von Pius X. (1903-1914) seinen berühmtesten Sohn im Namen: Riese Pio X. Das ebenfalls noch existierende Geburtshaus an der "Via G. Sarto" – die Straße ist nach dem bürgerlichen Namen des 1954 heiliggesprochenen Papstes, Giuseppe Melchiorre Sarto, benannt – beherbergt ein kleines Museum, dass jährlich von rund 10.000 Menschen besucht wird. An den Umfang der Verehrung, der Johannes XXIII. in seinem Heimatort zuteilwird, kommt Pius X. allerdings bei weitem nicht heran. Immerhin: Mit Giacomo Monico hat Riese Pio X. in seiner Geschichte noch einen zweiten "Kirchen-Promi" hervorgebracht: Monico wurde 1776 in dem Städtchen geboren und war später Kardinal sowie von 1827 bis 1851 Patriarch von Venedig.
Eine Allianz von päpstlichen Geburtsorten
Nur rund 100 Kilometer nördlich von Riese Pio X. liegt Canale d'Agordo. Das 1.100-Einwohner-Dörfchen in den Dolomiten ist der Geburtsort von Albino Luciani, dem späteren Papst Johannes Paul I. (1978). Das Geburtshaus des 33-Tage-Papstes ist seit dem vergangenen Jahr ebenfalls für die Öffentlichkeit zugänglich – und bildet zusammen mit dem an der "Piazza Papa Luciani" gelegenen Papstmuseum den wichtigsten Erinnerungsort an den berühmten Sohn.
In einer Städtepartnerschaft ist Canale d'Agordo heute übrigens mit Wadowice verbunden. Gleiches gilt für Wadowice und Marktl sowie für Marktl und Sotto il Monte Giovanni XXIII. Nach und nach ist so in den vergangenen Jahren eine Allianz von päpstlichen Geburtsorten entstanden, die alle ein Ziel eint: Die Erinnerung an ihre berühmten Söhne wachzuhalten, die aus der Provinz heraus auf den Stuhl Petri kamen.