Benedikt XVI.: Das verbindet die Päpste Johannes Paul II. und Franziskus
Für Benedikt XVI. ist Papst Johannes Paul II. nicht der "moralische Rigorist, als den man ihn zum Teil hinstellt". Stattdessen bestehe zwischen den Päpsten Franziskus und Johannes Paul II. eine Kontinuität in ihrer Betonung der göttlichen Barmherzigkeit, schreibt der emeritierte Pontifex in einer Würdigung seines Amtsvorgängers zu dessen Geburtstag, der sich am 18. Mai zum hundertsten Mal jährt. In dem von der Zeitung "Die Tagespost" am Freitag veröffentlichten Schreiben deutet Benedikt das Wirken Johannes Pauls II. im Licht seiner polnischen Herkunft, des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Botschaft der göttlichen Barmherzigkeit der Krakauer Nonne Faustina Kowalska. Mit der Zentralität des göttlichen Erbarmens eröffne der polnische Papst die Möglichkeit, "den moralischen Anspruch an den Menschen anzunehmen, auch wenn er nie ganz von uns eingelöst werden kann". Das "moralische Mühen" des Menschen geschehe "im Licht des göttlichen Erbarmens, das sich als heilende Kraft für unsere Schwachheit erweist".
Das Pontifikat Johannes Pauls II. ebenso wie sein Wirken als Bischof sei von der Pastoralkonstitution des Konzils Gaudium et Spes geprägt gewesen. In der "dramatischen Situation" der Nachkonzilsphase, die durch Unsicherheit geprägt sei und in der auch durch die Liturgiereform Gewissheiten der Kirche scheinbar in Frage gestellt wurden, habe Johannes Paul II. mit seinem Ausspruch "Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!" bereits zu Beginn seines Pontifikats als "befreiender Erneuerer" gewirkt: "Nicht der Zweifel an allem war bestimmend, sondern die freudige Erneuerung von allem." Benedikt sieht in der polnischen Herkunft des Papstes aus einem Land, in dem das Konzil positiv rezipiert wurde, eine Voraussetzung für diese Haltung.
Der emeritierte Papst äußert sich auch zu Überlegungen, Johannes Paul II. den Titel "der Große" zuzuerkennen. Bisher tragen nur die Päpste Leo I. (um 400–461) und Gregor I. (um 540–604) diesen Beinamen. Benedikt lässt in dem Schreiben die Frage zwar offen, weist aber darauf hin, dass die beiden Päpste des ersten Jahrtausends diesen Titel aufgrund ihres Wirkens in der Welt tragen: Leo hatte den Hunnenkönig Attila davon abgehalten, Rom zu zerstören, Gregor konnte Rom gegen die Langobarden schützen. Beide Päpste hätten damit "Geist gegen Macht [gestellt] und den Sieg des Geistes errungen". Das sei vergleichbar mit dem Wirken Johannes Pauls II. während der Endphase des Kalten Krieges und dem Ende der Sowjetunion. "Daß der Glaube des Papstes ein wesentliches Element im Umbruch der Mächte gewesen ist, ist unbestritten", betont der Emeritus. So sei auch bei Johannes Paul II. "sicher jene Größe sichtbar, die bei Leo I. und bei Gregor I. in Erscheinung getreten ist".
Zusammenarbeit von Demut geprägt
Der emeritierte Papst berichtet auch von der direkten Zusammenarbeit. Als Vorsitzender der Glaubenskongregation habe Joseph Ratzinger sich demnach zweimal negativ dazu geäußert, den von Johannes Paul II. gewünschten neuen Barmherzigkeitssonntag auf den Sonntag nach Ostern zu legen. Die Glaubenskongregation habe sich dagegen ausgesprochen, da der Weiße Sonntag "nicht mit neuen Ideen überfrachtet werden solle". Es sei dem Papst "gewiss nicht leicht gefallen, unser Nein anzunehmen. Aber er hat es in aller Demut getan und auch ein zweites Mal das Nein von unserer Seite akzeptiert", so Benedikt. Dennoch wird der Weiße Sonntag heute auch als Barmherzigkeitssonntag gefeiert. Johannes Paul II. habe dazu "einen Vorschlag formuliert, der dem Weißen Sonntag seine historische Gestalt beläßt, aber die göttliche Barmherzigkeit in seine ursprüngliche Aussage einbezieht". Laut dem emeritierten Papst habe es derartige Fälle immer wieder gegeben. Im Umgang habe ihm die "große Demut" des Papstes beeindruckt, mit der dieser auf ablehnende Voten der inhaltlich zuständigen Behörden reagiert habe und "auf liebgewonnene Ideen verzichtet" habe. Welche Projekte damit konkret gemeint sind, spricht Benedikt nicht an.
Das Schreiben ist laut "Tagespost" auf Bitten des ehemaligen Sekretärs von Johannes Paul II., dem heutigen Kardinal und emeritierten Erzbischof von Krakau, Stanisław Dziwisz, verfasst worden. Es datiert auf den 4. Mai und wurde auf polnisch am Freitag der Öffentlichkeit vorgestellt. Joseph Ratzinger war vor seiner Wahl zum Papst Präfekt der Glaubenskongregation. Der Papst wollte ihn bereits mit Beginn seines Pontifikats im Jahr 1978 zum Präfekten berufen, Ratzinger, damals Erzbischof von München und Freising, erbat sich aber Bedenkzeit und wurde schließlich 1981 auf nachdrückliche Bitten Johannes Pauls II. an die Spitze der vatikanischen Behörde berufen. Sein Amt trat Ratzinger am 1. März 1982 an und hatte es bis zum Tod des Papstes inne. (fxn)