Rechtliche Bedingungen, ethische Anfragen und die Haltung der Kirchen

Bestellt – und nicht abgeholt: Streitfall Leihmutterschaft

Veröffentlicht am 24.05.2020 um 13:02 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Leihmutterschaften sind in Deutschland verboten – anders als in der Ukraine, wo Paare mit Kinderwunsch sich an dem Recht bedienen. Wegen der Corona-Krise warten hunderte Neugeborene auf ihre "Abholer". Ethisch ist die Leihmutterschaft umstritten – auch die Kirchen sind sich in ihrer Ablehnung einig.

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In der Corona-Krise läuft vieles anders als geplant. Konzerte werden verschoben, Sportveranstaltungen abgesagt, der nächste Urlaub steht in Frage. Der Handel ist ebenfalls betroffen, auch, wenn die Lieferketten nicht reißen sollen und es Sonderkonditionen für den Güterverkehr gibt. Wenn es sich allerdings um Menschen handelt, die Grenzen überschreiten wollen, hemmen die Restriktionen den Austausch. Das betrifft nicht nur Besuchsreisen oder den Tourismus, sondern auch die Abholung von Neugeborenen, die im Ausland von einer Leihmutter ausgetragen wurden. Offenbar warten Medienberichten zufolge in der Ukraine einige hundert Babys auf ihre Bestelleltern. Privatrechtlich gesprochen: Die Auftraggeber der Leihmütter können wegen coronabedingter Reise- und Handelsbeschränkungen trotz vertragsgemäß erfüllter Leistung einer Abnahme nicht nachkommen. Annahmeverzug, sagt der Jurist.

In Deutschland verboten

Dass auch deutsche Paare, die sich auf diesem Wege ihren Kinderwunsch erfüllen wollen, ihre Leihmutter im Ausland suchen, hat indes seinen Grund: In Deutschland sind – im Gegensatz zur Ukraine und Russland – Leihschwangerschaften verboten. Geregelt ist das zum einen im Adoptionsvermittlungsgesetz (1976), das die Vermittlung einer "Ersatzmutter" verbietet (§ 13 c AdVermiG), zum anderen im Embryonenschutzgesetz (1991), das jede ärztliche Mitwirkung an einer Leihschwangerschaft als "missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken" unter Strafe stellt (§ 1 Abs. 1 EschG) und damit den Einsatz von Leih- oder Ersatzmüttern de facto unmöglich macht (oder zumindest erheblich erschwert).

Warum eigentlich? Abgesehen von komplizierten rechtlichen Konsequenzen hinsichtlich der Frage, wer dann eigentlich – rein rechtlich – die Mutter des Neugeborenen ist (Mutterschaft ist in Deutschland definiert über das Zur-Welt-Bringen eines Menschen, § 1591 BGB – die auftraggebende "Sorgemutter" ist nach hierzulande geltender Rechtslage de iure nicht einmal mit dem Kind verwandt, selbst wenn es sich um ihre Spendereizelle handelt, die nach Befruchtung ausgetragen wurde, sie also ohne Zweifel die genetische Mutter ist; abweichende ausländische Gerichtsurteile werden allerdings in Deutschland fallweise anerkannt), gibt es erhebliche ethische Probleme, die auf die rechtliche Beurteilung zurückwirken. Schlüsselbegriff ist hier die Würde des Menschen, die das Grundgesetz dem Staat zu achten und zu schützen aufgibt (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG).

Ethisch hochumstritten

Das Konzept der Menschenwürde in unserem Grundgesetz muss im Anschluss an Immanuel Kants Humanitas-Formel des Kategorischen Imperativ ("Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.") gedeutet werden: Die Würde des Menschen ist demnach verletzt, "wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird" (Dürigsche Objektformel). Und das ist bei der Leihmutterschaft gleich doppelt der Fall: die Leihmutter und der in ihr heranwachsende Mensch sind beide bloße Mittel zum Zweck – die Leihmutter, weil lediglich ihr Körper gebraucht wird, das Kind, weil es einem unbändigen Wunsch der genetischen Eltern entspringt.

Auch altruistische Leihmutterschaften, wie sie sich etwa die FDP vorstellen kann (gemessen an ihrem Parteiprogramm zur Bundestagswahl 2017), sind Augenwischerei. Die Erfahrung zeigt: Für alles, was Menschen für Angehörige und Freunde kostenlos tun, entsteht irgendwann ein Markt, der sich auch normativ nicht mehr verdrängen lässt. In der typischen Marktkonstellation wird dann ganz besonders deutlich, wie Leihschwangerschaften menschliches Leben instrumentalisieren und damit nicht nur gegen technische Spezialnormen wie das Adoptionsvermittlungsgesetz oder das Embryonenschutzgesetz verstoßen, sondern auch gegen die Basis unseres Rechtssystems, das Grundgesetz. Die alleingelassenen Babys in der Ukraine stoßen uns auf das Defizit des Konstrukts "Leihmutterschaft": die Würde des Menschen wird angetastet.

Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Bild: ©X-M²-H/Fotolia.com

Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

So wie dies schon vor einigen Jahren überdeutlich wurde, als ein australisches Paar, das bei einer Frau in Thailand ein Kind zur Austragung in Auftrag gegeben hatte, aber gleich zwei geliefert bekam (so etwas kommt in der Natur schon mal vor), das gesunde der beiden Babys abnehmen, das kranke jedoch bei der Leihmutter belassen wollte. Annahmeverweigerung wegen offensichtlicher Mängel – bestellt wurde ein (und zwar genau ein) gesundes Kind, so wurde es vertraglich vereinbart. Die internationalen Proteste, die damals einsetzten, griffen zu kurz, soweit sie nur diesen Einzelfall kritisierten, nicht aber den Regelfall einer "sauberen" Vertragsabwicklung. Denn was dabei übersehen wurde: Ein Mensch, der als solcher – mit Haut, Haaren und Seele – Vertragsgegenstand ist, wird verzweckt. Eine Verzweckung des Menschen hat zwangsläufig die Folge, dass dieser bei Nichterfüllung des Zwecks verworfen wird, wie eine Sache, die ihren Zweck nicht erfüllt. Niemand will einen Tisch, der wackelt. Wenn man also das Leben eines Menschen, ja: den Menschen selbst, derart als Mittel einer Zweckerfüllung vermarktet (das betrifft, wie bereits erwähnt, die Leihmutter und das Kind), so dass er den Charakter eines Objekts erhält, einer "Ware", dann darf man sich nicht wundern, dass die für den Warenmarkt üblichen Kriterien zur Anwendung kommen.

Doch die Vermarktung ist nicht der einzig fragwürdige Aspekt der Leihschwangerschaft. Es ist aufgrund der Neuartigkeit des Themas (als erste öffentlich bekannt gewordene Leihmutterschaft gilt der Fall des künstlich gezeugten "Baby Cotton", das am 4. Januar 1985 in Großbritannien geboren wurde und nach Gerichtsbeschluss für umgerechnet 24.000 D-Mark an die Bestelleltern übergeben werden durfte) und fehlender Langzeitstudien überhaupt noch nicht bekannt, welche Folgen es für das Kind hat, seine biologische Mutter nicht zu kennen, und welche Folgen es für die Leihmutter hat, das Kind, das neun Monate mit ihr ganz eng verbunden war, nach der Entbindung "abgeben" zu müssen, selbst wenn es sich dabei um die Schwester oder eine gute Freundin handelt, die unentgeltlich "helfen" wollten. Verändert die Schwangerschaft ihre Haltung zum Kind? Was folgt dann daraus – wiederum für Leihmutter und Kind? Wollen wir es darauf ankommen lassen? Das menschliche Leben ist zu wertvoll, als dass man erst einmal ausprobieren könnte, welche Konsequenzen sich aus Experimenten wie der Leihschwangerschaft ergeben.

Von den Kirchen abgelehnt

Das sehen auch die Kirchen so, wobei sich in der ethischen Bewertung der Ersatz- oder Leihmutterschaft die evangelische und die katholische Kirche weitgehend einig sind – ein erstaunlicher Umstand, geht doch bei anderen Lebensschutzthemen (Abtreibung oder Sterbehilfe) die Schere zwischen protestantischer Ethik und katholischer Morallehre noch am weitesten auseinander.

Bereits im November 1985 – "Baby Cotton" war gerade elf Monate alt – erschien mit der Schrift "Von der Würde werdenden Lebens" eine "Handreichung der Evangelischen Kirche in Deutschland zur ethischen Urteilsbildung" in Fragen "extrakorporaler Befruchtung" und "Fremdschwangerschaft", in der die technisch möglich gewordene "Ersatzmutterschaft" aus gravierenden ethischen Gründen zurückgewiesen wird: "Schwangerschaft und das zu gebärende Kind dürfen nicht zur Ware gemacht werden. Die Mutterschaft darf nicht vermietet werden. Zudem besteht die Gefahr, dass sozial schwache Frauen ausgebeutet werden, indem sie die Gesundheitsrisiken und die seelischen Belastungen einer Fremdschwangerschaft gegen Entgelt auf sich nehmen". Auch gegenüber altruistischen Formen der Fremdschwangerschaft bestünden "unüberwindliche ethische Bedenken", denn diese führe stets "eine Trennung von leiblicher und sozialer Elternschaft willentlich ein" und verursache damit "eine Verunsicherung des Kindes über sein Herkommen".

Linktipp: Abtreibung ja oder nein? Die Kirche bleibt außen vor

Seit 20 Jahren geben kirchliche Beratungsstellen wie der SkF keine Scheine zur straffreien Abtreibung mehr aus. "Donum Vitae" tut es dagegen noch. Ein Zeugnis für das Leben wollen beide geben.

Zwei Jahre danach hat die EKD-Synode auf ihrer Sitzung in Berlin daran anschließend allen Formen einer "Aufteilung der Mutterschaft" explizit eine deutliche Absage erteilt: "Das Wohl des Kindes erfordert es im Normalfall, dass die Frau, die es aufzieht, auch seine genetische und leibliche Mutter ist. Es kann zum Schicksal werden, dass die leiblichen Eltern das Kind nicht erziehen können. Die absichtlich herbeigeführte Aufteilung der Mutterschaft zwischen der Frau, von der das Kind genetisch abstammt und die es aufziehen will, und jener, die es austrägt und zur Welt bringt, verstößt gegen das Anrecht des Kindes auf einheitliche Elternschaft. Ersatzmutterschaft - ob gegen Entgelt (Mietmutterschaft) oder als Freundes- oder Verwandtenhilfe (Leihmutterschaft) - muss gesetzlich verboten werden. Abreden dieser Art sind sittenwidrig." Bestätigt hat die EKD-Synode diese ablehnende Haltung 1994 in Halle, in dem sie affirmativ auf die geltenden Bestimmungen in Deutschland verweist ("Mutter des Kindes ist allein die Frau, die das Kind austrägt und zur Welt bringt. Dies gilt auch in den Fällen sogenannter Ersatz- oder Leihmutterschaft.") und zudem das "Recht, die eigene Herkunft zu kennen" als "Grundrecht des Kindes" ausweist.

Auch die Katholische Kirche lehnt die Leihmutterschaft entschieden ab. Im Katechismus liest man unter Nr. 2376 unmissverständlich, "Techniken, die durch das Einschalten einer dritten Person (Ei- oder Samenspende, Leihmutterschaft) die Gemeinsamkeit der Elternschaft auflösen" seien "äußerst verwerflich", denn sie verletzten zum einen "das Recht des Kindes, von einem Vater und einer Mutter abzustammen, die es kennt und die miteinander ehelich verbunden sind" und zum anderen "das Recht beider Eheleute, ‚dass der eine nur durch den anderen Vater oder Mutter wird‘". Bezug genommen wird damit auf Donum vitae (1987), die einschlägige Instruktion der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre, in der es heißt: "Die Zeugung einer neuen Person, durch die Mann und Frau mit der Macht des Schöpfers mitarbeiten, soll Frucht und Zeichen des gegenseitigen personalen Sich-Schenkens der Eheleute sein, ihrer Liebe und ihrer Treue. Die Treue der Eheleute in der Einheit der Ehe umfasst die gegenseitige Achtung ihres Rechtes, dass der eine nur durch den anderen Vater oder Mutter wird. Das Kind hat ein Recht darauf, innerhalb der Ehe empfangen, ausgetragen, auf die Welt gebracht und erzogen zu werden: Gerade durch die sichere und anerkannte Beziehung zu den eigenen Eltern kann es seine eigene Identität entdecken und menschlich heranreifen".

Also: Große ökumenische Übereinstimmung in der Ablehnung der Leihmutterschaft. Und das aus guten Gründen. Die Babys, die während der Corona-Krise in der Ukraine auf Abholung warten, sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Das eigentliche Problem liegt viel tiefer: die Instrumentalisierung des Menschen durch seine Nutzung als bloßes Mittel zum Zweck der Erfüllung eigener Wünsche. Das verletzt die Menschenwürde.

Von Josef Bordat