Vorsitzender der Pastoralkommission über Pflege in Pandemie-Zeiten

Bischof Bode zu Corona: Soziale Isolation darf dauerhaft nicht sein

Veröffentlicht am 23.05.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Osnabrück ‐ Im Alter nehmen Kontakte ab. Wenn Senioren jetzt noch weniger Austausch haben, kann das unerträglich werden. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode ist in der Bischofskonferenz für die Pastoral zuständig. Er erklärt, wie die Seelsorge dem Problem begegnen will, sagt aber auch, unter welchen Voraussetzungen Kontaktverbote unvermeidbar sind.

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Alte, kranke und behinderte Menschen müssen in der Corona-Krise besonders geschützt werden. Das führt aber auch zu Isolation und Ausgrenzung und damit zu starken, vor allem seelischen Belastungen. Osnabrücks Bischof Franz-Josef Bode, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und dort zuständig für die Pastoralkommission, spricht im Interview über den Umgang mit diesen Menschen in Heimen und die damit verbundenen Anforderungen in der Seelsorge.

Frage: Bischof Bode, alte und behinderte Menschen in Heimen leben in der Corona-Krise vielfach in Isolation. Sind die Besuchseinschränkungen gerechtfertigt?

Bode: Beschränkungen zum Schutz der Gesundheit und damit des Lebens aller Menschen, die in Einrichtungen leben, müssen selbstverständlich sein. Auch das Personal muss vor einer Ansteckung geschützt werden. So sind Besuchseinschränkungen sicher gerechtfertigt. Anderseits hat eine Isolation über mehrere Wochen schwere soziale und seelische Folgen für die Betroffenen. Die aktuelle Aufhebung des strikten Besuchsverbots ist daher höchst begrüßenswert. Man hätte vielleicht auch schon früher nach kreativen Wege suchen müssen, wie Menschen in Einrichtungen unter besonderen gesundheitlichen Schutzauflagen von ihren Angehörigen und auch von Seelsorgern und Seelsorgerinnen hätten besucht werden können.

Frage: Wie lange dürfen solche Maßnahmen dauern?

Bode: Es gilt immer abzuwägen zwischen Zumutbarkeit, Verantwortung und Risiko auf der einen Seite und dem berechtigten Bedürfnis nach menschlicher Begegnung auf der anderen Seite. Es ist wahrscheinlich, dass wir in eine chronische Phase der Corona-Pandemie übergehen, also gewisse Maßnahmen länger bestehen bleiben werden. Eine soziale Isolation darf aber unter keinen Umständen dauerhaft sein. Freiheitseinschränkende Regelungen bedürfen grundsätzlich einer Frist, um sie regelmäßig überprüfen und der Situation anpassen zu können.

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode
Bild: ©Bistum Osnabrück

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode leitet das Bistum seit 1995.

Frage: Viele meinen, wenn man die Alten und Kranken isoliere, könnten die Jungen und Gesunden ein nahezu normales Leben führen. Wie stehen Sie dazu?

Bode: Da werden Freiheiten gegeneinander ausgespielt. Die Freiheit Älterer und Kranker stärker zu beschneiden, um die Freiheit von Jungen und Gesunden unangetastet lassen zu können oder gar zu vergrößern, ist nicht akzeptabel. Das Nachdenken über die Gefährdung der Risikogruppen darf nicht zu einer Entsolidarisierung und zu Diskriminierungen führen. Pflegebedürftige ältere, kranke und behinderte Menschen sind natürlich Teil unserer Gesellschaft. Manche Menschen, die in Einrichtungen leben, haben ohnehin schon das Gefühl, allein gelassen zu sein. Jesus selbst nahm sich besonders der Armen, Kranken und Pflegebedürftigen an und warnte davor, sie auszugrenzen. Die Kirche wird sich immer dafür stark machen, dass sie nicht an den Rand gedrängt werden.

Frage: Haben Seelsorger genügend Freiheiten, um alte Menschen und besonders Infizierte und Sterbende in den Heimen zu erreichen?

Bode: Wir versuchen unter den besonderen Auflagen und Schutzmaßnahmen, ältere und alte Menschen und auch Infizierte zu erreichen, wo immer es geht. Besonders wichtig ist, dass möglichst niemand alleine sterben muss. Sterbende und ihre Angehörigen müssen seelsorglich begleitet werden können. Dafür gibt es derzeit auch angemessene Regelungen. Aber auch demenzerkrankte Menschen, Menschen mit kognitiver Behinderung oder psychischen Erkrankungen bedürfen einer besonderen sozialen Stabilität in Form von Begleitung. Die fordern wir von der Politik ebenso ein. Auch wir als Kirche müssen unsere Angebote ausweiten, um der Verantwortung und der Pflicht von Seelsorge in solchen Zeiten gerecht zu werden. Dazu gehören auch mehr handelnde Personen und neue, kreative Formen von Seelsorge. Engagierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bieten in den Einrichtungen oft eine auf Anliegen und Bedürfnisse der Bewohner abgestimmte "von innen kommende" Seelsorge, die gerade jetzt sehr wertvoll ist.

Frage: Wie kann man sicherstellen, dass Senioren in diesen Zeiten ihren Glauben leben können?

Bode: Derzeit können viele Angebote nicht stattfinden, was sehr einschneidend ist. Dennoch ist die Begleitung einzelner Menschen durchaus möglich und häufig auch erwünscht. Teilweise können die älteren Menschen auch über die neuen sozialen Medien am Glaubensleben teilnehmen. In den Einrichtungen sollten Gottesdienste in kleinen Kreisen oder auch gemeinsame Gebete oder Glaubensgespräche stattfinden können, wie es die Situation erlaubt.

Linktipp: Eine Seelsorger-Einsatzgruppe für Corona-Patienten

Wer Covid-19 hat, darf oft keinen Besuch empfangen – das ist vor allem für jene dramatisch, deren Leben sich dem Ende nähert. In München gibt es für solche Fälle jetzt eine besondere Seelsorger-Gruppe. Sie betreiben Pastoral unter extremen Bedingungen.

Frage: Sie unterstützen die Forderung nach Einführung eines Ethikrates für Niedersachsen. Wer sollte diesem Gremium angehören, und was soll es bewirken?

Bode: In der Pandemie müssen viele politische Entscheidungen auf Landesebene getroffen werden. Nicht wenige dieser Entscheidungen etwa in den Bereichen Gesundheit und Wirtschaftlichkeit berühren die Würde des Menschen. Sie sind somit von besonderer ethischer Bedeutung. Ein Ethikrat auf Landesebene könnte die landespolitischen Entscheidungsfindungen begleiten, beraten und prüfen. Vor allem müsste ein solcher Rat aber die Menschen ins Blickfeld rücken, die nachrangig berücksichtigt werden oder besonders hart von den Schutzmaßnahmen betroffen sind. So ein Ethikrat könnte aus Vertretern von Wohlfahrtsverbänden, der Wissenschaft, der Pflegekammer und der Kirchen bestehen.

Frage: Was muss sich nach Ende der akuten Pandemie-Krise Ihrer Meinung nach im Umgang mit und in der Versorgung von schutzbedürftigen Menschen ändern?

Bode: Wichtig ist, dass wir angemessene Rahmenbedingungen für die Pflege schaffen. Echte Solidarität mit den Menschen, die Unterstützung und Schutz brauchen, muss sich darin wiederfinden. Sie dürfen nicht zum Objekt der Versorgung werden, sondern müssen eingebunden sein, so dass wir alte, kranke und behinderte Menschen als wichtigen Teil unserer Gesellschaft wahrnehmen und anerkennen. Nötig ist auch eine deutlich höhere Wertschätzung der Einrichtungen für diese Menschen, besonders derjenigen, die in der Pflege arbeiten. Für die Seelsorge bedeutet es, dass wir in Zukunft noch kreativer und flexibler auf die Menschen zugehen müssen. Es geht nicht nur um das biologische Leben, sondern auch um den Schutz der Würde und des Mehr-Wertes menschlichen Lebens.

Von Johannes Schönwälder