Kirchliche Zeremonie, weltliche Feier: Hochzeitsbrauchtum im Wandel
Der schönste Tag des Lebens soll es werden, wünschen sich viele Brautpaare. Alles soll für die Hochzeit perfekt sein: Ob strahlender Sonnenschein, ein prächtig geschmückte Kirche oder ein großes Festbankett. Der schönste Tag des Lebens eben, einer, an den man sich gerne zurückerinnert und dem man nicht nur zum Jahrestag gerne gedenkt. Die Latten werden immer höher gelegt, wenn es darum geht, die perfekten Hochzeitsvorbereitungen zu treffen. Manchmal wird die Organisation gar aus der Hand gegeben und ein professioneller Wedding-Planer beauftragt, damit auch ja alles stimmig ist und nichts vergessen wird. Die Hochzeit hat sich mehr und mehr zu einem Event entwickelt, bei dem es darum geht, möglichst viel aufzubieten. Früher jedenfalls war das alles ganz anders. Und man muss nicht einmal so weit in der Zeit zurückgehen, um auf ein Hochzeitsbrauchtum zu treffen, dass sich ziemlich radikal von dem unterscheidet, was heute im Blick auf so manches Ja-Wort gepflegt wird.
Schon der Besuch auf dem Standesamt ist eine noch recht junge Angelegenheit: Zwar war er am Ende des 18. Jahrhunderts schon weit verbreitet, jedoch meistens nur fakultativ. Erst 1875 wurde im Deutschen Reich die Pflicht zur Zivilehe eingeführt. Der erste Weg für Heiratswillige führte also zum Standesamt der Gemeinde und erst dann in die Kirche. Jedoch war es landläufig so, dass die Zivileheschließung der kirchlichen Trauung unmittelbar vorausgegangen ist. Manchmal lag nur eine Stunde zwischen den beiden Zeremonien, oft fand die kirchliche Hochzeit auch am Tag nach der Schließung der Zivilehe statt. Die kirchliche Trauung gehörte jedenfalls fest zur Eheschließung dazu und es war für eine sehr lange Zeit beinahe unvorstellbar, ohne den Segen der Kirche zu heiraten.
Ein Hochzeitslader zog von Haus zu Haus
In den Jahrhunderten, in denen gerade die Dorfbevölkerung unter großer Armut zu leiden hatte, war es auch längst nicht möglich, mittels vielfältig gestalteter Karten zur Hochzeit einzuladen. Es galt vielmehr das Prinzip der mündlichen Einladung, die von einer eigens beauftragen Person, dem Hochzeitslader, ausgesprochen wurde. Manchmal begann seine Aufgabe schon viel früher, nämlich mit dem Verkuppeln des Brautpaares. Was heute beinahe unvorstellbar ist, war damals Gang und Gäbe: Oftmals wurde nach sehr nüchternen Kriterien geheiratet, wobei der Umfang von Hof und Vermögen für die Wahl des Bräutigams bzw. der Braut meist ausschlaggebend war. Wenn die Trauung absehbar war, zog der Hochzeitslader von Haus zu Haus und lud die entsprechenden Gäste mit einem kleinen Gedicht zum Hochzeitsfest ein. Als Dank für die Einladung wurde der Hochzeitslader in vielen Familien ausgiebig verköstigt, weshalb sein Dienst oft auch mehrere Tage in Anspruch nahm.
Ein damals noch sehr wichtiger Akt war die Bestellung des Aufgebotes beim Pfarrer. Dieses wurde in einem der folgenden Sonntagsgottesdienste öffentlich in der Kirche verkündet. Dies erfüllte vor allem einen Zweck: Da es früher noch nicht die technischen Möglichkeiten gab, um in anderen Pfarrämtern nachzuprüfen, ob die beiden Brautleute auch ledig waren, war der Pfarrer auf das Wissen der Dorfbevölkerung angewiesen. Auch eventuelle Ehehindernisse, die eine kirchliche Eheschließung verunmöglicht hätten, sollten dadurch aufgedeckt werden. Das Instrument des Aufgebotes ist übrigens schon sehr alt: Schon auf dem IV. Laterankonzil legten die Konzilsväter im Jahr 1215 fest, "dass, wenn Ehen geschlossen werden sollen, sie in den Kirchen öffentlich angekündigt werden sollen" (DH 817). Heutzutage findet man das Aufgebot allenfalls noch als Aushang im Schaukasten der Kirche oder als Vermerk auf der Gottesdienstordnung. Welchen Zweck diese öffentliche Bekanntmachung einst erfüllte, dürfte jedoch nur noch den älteren Gemeindemitgliedern bekannt sein.
Am Hochzeitstag selbst ging es dann für das Brautpaar entweder zu Fuß oder mit der Kutsche vom Wohnhaus zur Kirche. Auch die Gäste fanden auf diese Weise den Weg zur Hochzeitsgesellschaft. War die Kutsche früher das übliche Fortbewegungsmittel, so gilt die Kutschfahrt am Tag der Hochzeit als besonders romantischer Ausdruck. Was viele heute nicht mehr wissen, dass es der Braut verboten war, sich während der Fahrt zur Kirche noch einmal umzusehen. Der Volksglaube besagte, wenn sich die Braut umsieht, bekomme sie keine Kinder. Ebenso war es ein Unglückszeichen, wenn die Hochzeitskutsche einem Leichenwagen begegnete; auch dies war kein gutes Omen für die bevorstehende Ehe. Ein Brauchtum, das Glück bringen sollte, war das Anhalten: Dieses wurde meistens von den Kindern geübt, die den Weg zur Kirche mit einem Band, das über die Straße gespannt wurde, versperrten. Gegen eine kleine Geldgabe machten die Kinder den Weg wieder frei und es war für die Hochzeitsgesellschaft ein gutes Zeichen, wenn die Kutsche möglichst oft aufgehalten wurde.
Nach der kirchlichen Zeremonie kam die weltliche Feier
Für die kirchliche Feier der Trauung waren die Blumenmädchen von besonderer Bedeutung. Mit den bunten Blüten, die sie in der Kirche streuten, wiesen sie auf die Fruchtbarkeit hin, die dem Brautpaar vorausgesagt wurde. Wer in der Ehe das Sagen hatte, ließ sich dem Volksglauben gemäß daran bestimmen, wer zur Trauung als erstes den Handschuh herunterbekommt. Ein ähnliches Orakel gibt es heute auch noch: Da zur festlichen Hochzeitskleidung kaum noch Handschuhe getragen werden, hat es sich auf das Anschneiden der Hochzeitstorte verlagert. Wer beim Messer die Hand oben hat, so heißt es, der bestimmt in der Ehe, wo es langgeht. Nach der vollzogenen Trauung durfte das Brautpaar beim Verlassen der Kirche durch das Spalier gehen, zu dem sich die Hochzeitsgäste formiert hatten. Es heißt, dies sei ein Zeichen, dass das Brautpaar auch die Hindernisse, die sich in den Weg stellen, gemeinsam bewerkstelligen könne. Der schmale Weg durch das Spalier hindurch symbolisiere gewissermaßen das erste Hindernis der noch jungen Ehe.
Im Anschluss an die kirchliche Zeremonie folgte die weltliche Feier, die sich meistens in einem Wirtshaus im Ort zutrug. Wenn ein Elternteil von Braut oder Bräutigam bereits verstorben war, führte der Weg allerdings erst zum Friedhof, wo man am Grab gemeinsam betete. Die sich anschließende Feier der Hochzeit war wohl alles in allem etwas üppiger, als dies heutzutage der Fall ist. Da die Trauungen normalerweise am Vormittag stattfanden, begann die Feierlichkeit auch schon mit dem Mittagessen und nicht, wie das heute vielfach verbreitet ist, erst mit dem Kaffeetrinken. Derartige "Kaffeehochzeiten" wurden als Ausdruck von Geiz und Knausrigkeit von der Dorfbevölkerung kritisch beäugt. Im Wirtshaus wurde reichlich aufgetischt, mehrere Gänge wurden serviert und die Gäste sind wohl selten hungrig nach Hause gegangen.
Im Vergleich zu heute hat sich auch die Brautmode grundlegend verändert: Erst in den 1920er Jahren wurde das weiße Brautkleid en vogue. Sehr lange war es für die Bräute üblich, am Hochzeitstag ein schwarzes Kleid zu tragen. Die Hochzeitskleider wurden dabei selbstverständlich in der eigenen Familie hergestellt, oft wurden sie auch nach der Trauung noch zu anderen Anlässen getragen. Ein Kleid für viel Geld zu kaufen und es dann nur an einem einzigen Tag zu tragen, war in den Zeiten, in denen die Menschen kaum das nötigste zum Überleben hatten, unvorstellbar. Die Mode der Männer war übrigens weit weniger aufsehenerregend: Bis in die 1950er Jahre trug man Frack und Zylinder.
Auch das Ritual der Hochzeitsfotos hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Sucht man heute möglichst nach Schnappschüssen, auf denen das Brautpaar und die Festgäste in ausgelassener Freude zu sehen sind, zeigten die Hochzeitsbilder von damals das Brautpaar mit strenger Miene. Wahrscheinlich war es in der damaligen Gesellschaft einfach verpönt, sich lächelnd auf einem Foto zu präsentieren. So erwecken viele alte Hochzeitsbilder nicht unbedingt den Eindruck, als sei das Brautpaar sehr glücklich über die Eheschließung gewesen.
Der "schönste Tage des Lebens" hat sich in den vergangenen Jahrhunderten stark verändert. War er früher vor allem ein wirklicher Festtag für die ganze Dorfbevölkerung, hat er heute immer mehr an Eventcharakter gewonnen. Freilich, die Zeiten haben sich gewandelt. Aber vielleicht hatten die Menschen damals noch mehr das Gespür für das, worauf es wirklich bei einer solchen Feier ankommt.