Der Petersplatz: Ins Ewige gerundet
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Das Gras wuchs schon in den Fugen seiner Pflastersteine, und Möwen übersäten ihn mit Kot, den keine Putzmaschine morgens wegschrubbte. Wozu auch? Die täglich dichter gesetzten Dreckpatzer sahen nur ein paar Polizisten, die beim Obelisken in der Mitte des Platzes darüber wachten, dass niemand sonst den Fuß auf dieses Pflaster setzt. Den Petersplatz queren sonst Zehntausende pro Tag. 68 Tage lang blieb er leer. Das widerspricht seiner Bestimmung wie auch seiner Architektur. Ein Platz, der offener wäre als die Piazza San Pietro im Vatikan, lässt sich kaum denken.
Schauen wir uns das mal aus der Vogelperspektive an. Der Petersplatz besteht streng genommen aus zwei Plätzen, einem ovalen und einem eckigen, wobei der eckige den ovalen an die Basilika anschließt. Wenn wir vom "Petersplatz" sprechen, meinen wir aber meist den ovalen Platz allein, während uns der eckige durchrutscht. Warum? Weil das bestimmende Element des ganzen Ensembles die Säulengänge sind, die den ovalen Platz auf zwei Seiten in großer, feierlicher Geste umfassen. "Kolonnaden" heißen diese Arme, und nur ein einziges Bauteil in Sankt Peter wirkt noch markanter als sie, noch charakteristischer, noch unverkennbarer, auch weil es in die Weite strahlt: die Kuppel. Aber wenn ich "auf dem Petersplatz" stehe, dann umarmen mich diese Kolonnaden. Und die sind das Gegenteil einer Mauer.
Begrenzt aber nicht verschlossen
Andere Plätze mögen von Wänden definiert sein, von umstehenden, harmonisch gegliederten Palästen und Monumenten. Nicht so der Petersplatz. Der führt zwar auch eindeutig auf eine Fassade zu, die des Petersdoms, Grabeskirche des ersten Papstes. Doch Norden, Osten und Süden sind offen. Die Säulen stehen massiv und sie begrenzen den Platz, das ja, aber zugleich halten sie diese Grenze zur Außenwelt durchlässig. Jeder kann jederzeit zwischen den Säulen hindurch auf den Platz gelangen. Zumindest ist das vom Baulichen und Ideellen her so gedacht, weshalb die Holzabsperrungen, die den Zutritt seit den 1980er Jahren fast rundum verwehren, zwar der Sicherheit dienen, aber der Architektur widersprechen. Der architektonische Auftrag der Kolonnaden ist es, den Petersplatz nicht abzuschotten, sondern zu betonen. Die Säulen sind etwas wie steingewordene Ausrufezeichen. Sie gestalten Sankt Peter zum heiligen Bezirk.
Das unterstreichen die 140 Heiligen, die als Statuen die Kolonnaden bekrönen. Man tritt auf den weiten Platz und findet sich frohgemut umzingelt von diesen Vorbildern im Glauben, manche vergessen, andere verehrt bis heute, Franz von Assisi, Benedikt von Nursia, Katharina von Siena, Teresa von Avila. Sie begrüßen Pilgernde, Neugierige, Enttäuschte und Skeptische, stimmen auf eine Begegnung ein, lenken unseren Blick nach oben. Ein heiliges Empfangskomitee und nebenbei ein katholisches Statement über das, was Vorbilder im Glauben sein sollen. Sie stehen umgeben vom Himmel und begleiten den Weg. Nochmal wird klar: Die Kolonnaden, durch die wir eingetreten sind, wirken als Filter, als Schleuse hin zur Heiligkeit. Und weil die Säulengänge für jeden durchlässig sind, heißt das: Jeder kann heilig werden. Egal was war. Kommt und seht.
Wie sagte es damals Gian Lorenzo Bernini, der geniale Schöpfer dieses Platzes? Er hatte eine genaue Idee von der Wirkung der Kolonnaden. Wie "offene, mütterliche Arme" sollten diese Säulengänge "die Katholiken aufnehmen, um sie im Glauben zu stärken, die Häretiker, um sie wieder mit der Kirche zu vereinen, und die Ungläubigen, um sie im wahren Glauben zu erleuchten". Ein starkes Programm, astrein gegenreformatorisch. Heute würden wir das entweder gar nicht oder viel netter sagen. Faszinierend bleibt aber, wie der Barock der Baukunst eine bekehrende Kraft zuschreibt.
Erst eine Reihe Säulen, dann zwei, dann drei, dann vier...
Zehn Jahre brauchte Bernini ab 1656, um die form- und trostlose Brache vor dem 1626 eingeweihten neuen Petersdom in den erhebenden Platz zu verwandeln, den wir kennen. Und kaum zu glauben, ausgerechnet die Kolonnaden waren anfangs in Schmalspur-Variante angelegt. Bernini dachte an eine einfache Reihe von Säulen, dann an eine doppelte. Vierfache Reihen genehmigte am Ende der Auftraggeber Alexander VII. persönlich, vorbei an seiner eigenen Bauhütte, deren Job es war, die Kosten vernünftig zu halten. 284 Säulen (rund) und 88 Pfeiler (eckig), alle aus Travertin, dem römischen Stein schlechthin: Das riss ein gewaltiges Loch in die päpstliche Kasse, was bei Bernini freilich nichts Neues war. Dafür rühmen wir seine Werke bis heute.
Bernini muss ein Perfektionist vor dem Herrn gewesen sein. Waren Sie schon einmal auf dem Petersplatz? Wenn ja, sind Sie dort wahrscheinlich auf einer der beiden schwarzen Granitplatten gestanden, die links und rechts vom Obelisken ins Pflaster eingelassen sind, und haben staunend ins Rund der Kolonnaden geguckt. Von hier aus verschwinden je drei Säulen hinter der einen in der vordersten Reihe, zu sehen ist eine einzige statt eine vierfache Säulenreihe. Diese Präzision auf den Millimeter kennzeichnet das ganze Ensemble, soweit Bernini es plante. Jede Säule ist anders - damit alle gleich aussehen. Zunächst erkennt, wer genau hinschaut, dass alle Säulen, nicht die Pfeiler, sich nach oben ein wenig verjüngen, und zwar nicht gerade, sondern mit einem kaum merklichen Schwung, sehr elegant. Aber einige Säulen sind länger als andere, sie gleichen Unebenheiten im Boden aus. Und je nach Standort verändern sich die Grundrisse der Füße, auf denen die Säulen ruhen, vom Quadrat zur Raute. In der innersten Reihe der Kolonnaden stehen schlanke Säulen, die dahinter werden von Reihe zu Reihe etwas dicker, gerade soviel, dass es nicht auffällt. Somit bleiben die Proportionen zwischen Stein und Freiraum unverändert. Perfektes Ebenmaß.
Berninis Werk bekam mit dem Zweiten Vatikanum seine theologische Dimension
Berninis Genie zeigt sich auch daran, wie er schwierige Gegebenheiten in Vorteile, in Aussagen, in Sinn verwandelte. Als Beispiel schlechthin mag gelten, wie er die Höhenunterschiede des Areals gestaltete. Rund um den (3.800 Jahre alten) Obelisken in der Mitte liegt der Petersplatz tiefer und steigt zu den umarmenden Kolonnaden hin zweieinhalb Meter an, wie die Innenseite einer riesigen Muschel. Das sorgt für einen Effekt, den theologisch erst das II. Vatikanische Konzil voll einlöste: Wenn wir zusammen mit vielen anderen auf dem Platz stehen, dann nehmen wir mehr von den anderen wahr. Wir begreifen uns selbst als Teil einer Gemeinschaft – der katholischen Universalkirche. Die Glieder eines Leibes, zusammen mit dem Bischof von Rom, umarmt von Säulen, die eingemeinden, ohne einzuengen.
Gut, dass die Tage der Leere vorüber sind. Der Petersdom steht wieder offen und mit ihm der Platz, der auf ihn hinführt. Seit Pfingsten hält der Papst das Mittagsgebet am Sonntag wieder mit physisch auf dem Platz versammelten Gläubigen. Messen und Generalaudienzen gehen noch nicht, sind aber in Vorbereitung. Der Petersplatz findet zu seiner Bestimmung zurück. Zehn Wochen war er zu? Am Ende nicht viel mehr als ein Möwenfleck auf dem Pflaster, bereits weggeschrubbt.