Benedikt in Bayern: Der Papa emeritus zeigt sich als Mensch
Ein alter Mann in weißer Soutane, der im Rollstuhl sitzt und kaum noch die Kraft aufbringt, seine Arme ein paar Zentimeter zu heben, um die Gläubigen am Wegesrand zu grüßen. Die wenigen Bilder von Benedikt XVI. während des Kurzbesuchs in seiner bayerischen Heimat zeigen den emeritierten Papst als gebrechlichen und vom Leben gezeichneten Menschen. Joseph Ratzinger als kraftlosen Greis zu sehen, rief derart starke Emotionen hervor, dass in den sozialen Netzwerken heftig darüber diskutiert wurde, ob man den Papa emeritus überhaupt so zeigen darf. Die Löschung eines einschlägigen Tweets des offiziellen Accounts von Vatican News und eine darauffolgende Entschuldigung des päpstlichen Nachrichtenportals heizte die Auseinandersetzung nur noch weiter an.
Inzwischen ist Benedikt in sein kleines Kloster in den Vatikanischen Gärten zurückgekehrt und kann sich von den Strapazen der anstrengenden Reise erholen. Die fünf Tage seines Aufenthalts in Deutschland waren von der familiären Begegnung mit seinem Bruder Georg geprägt, der nahezu komplett erblindet und schwer krank ist. Benedikt wollte sich von einem lieben Familienmitglied verabschieden, wie es viele Menschen in seiner Generation schon längst tun mussten. Doch dieser fast schon alltäglichen und unter Geschwistern mehr als erwartbaren Geste kommt eine wichtige Bedeutung zu: Sie hat das Papsttum – auch wenn Benedikt längst nicht mehr im Amt ist – ein Stück weit menschlicher gemacht und damit eine Veränderung angestoßen.
Benedikt bleibt sich treu
Eingeleitet wurde das bereits durch Benedikts Rücktritt im Jahr 2013. Während sein Vorgänger noch dem Grundsatz gefolgt war, dass ein Papst nicht zurücktritt und durch die öffentliche Zuschaustellung seines Leidens vielen Gläubige beeindruckte, gab Joseph Ratzinger durch seinen Verzicht öffentlich zu, keine Kraft mehr zur Leitung der Kirche zu haben. Indem er sich als Mensch zeigte, der seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen sah, entmystifizierte er das Papstamt. In diesem Punkt bleibt er sich treu, denn der Besuch bei seinem todkranken Bruder Georg vertieft seine Entscheidung von vor sieben Jahren nun. Benedikt gibt sich vor aller Welt als einfacher Mensch zu erkennen, den die Sorge um das Leben seines Bruders dazu bringt, in seinem Alter und inmitten einer gefährlichen Pandemie die Anstrengung einer weiten Reise auf sich zu nehmen.
Der Besuch in Bayern wirft zudem ein anderes Licht auf die Person Joseph Ratzingers: Auch wenn man über einige seiner theologischen Aussagen – vor allem in jüngerer Vergangenheit – streiten mag, gilt Benedikt bis heute als herausragender Denker und bedeutender Intellektueller. Ihm wird nachgesagt, sich an seinem Schreibtisch im mit Büchern gefüllten Arbeitszimmer wohler zu fühlen als etwa im Gespräch mit Gemeindemitgliedern beim Pfarrfest. Doch mit dem Besuch in Regensburg hat Benedikt gezeigt, dass er mehr ist als ein vergeistigter, hochbegabter Kirchenmann. Joseph Ratzinger ist ein Mensch mit Sorgen und Nöten.
Diese Erkenntnis mag banal klingen, doch sie ist es nicht. Denn auch wenn Benedikt nicht mehr Papst ist, bleibt er diesem Amt nach seiner Emeritierung weiterhin verbunden, was etwa sein selbstgewählter Titel und die Farbe seiner Soutane zeigen – ein Umstand, der oft von Kritikern gegen das Amt eines emeritierten Papstes angeführt wird. Doch gerade das Papsttum wurde in der knapp zweitausendjährigen Geschichte der Kirche immer wieder überhöht. Als Stellvertreter Jesu Christi auf Erden wurden die Päpste eher der himmlischen als der irdischen Sphäre zugerechnet oder erhoben sich selbst dorthin – eine Entwicklung, die als Hochform des Klerikalismus großes Leid über viele Menschen gebracht hat. Nach dem Rücktritt Benedikts vom Stuhl Petri, aber auch nach dieser zutiefst menschlichen Reise ist das kaum noch möglich.
Wird es weitere Reisen des Papa emeritus geben?
Bei aller Dramatik der Hintergründe des Besuchs von Joseph Ratzinger in seiner Heimat entbehrt die Reise jedoch nicht kurioser Umstände, die der ganzen Situation eine noch menschlichere Prägung geben. So erscheint es mehr als skurril, dass der Vatikan vor kurzem verkündet hat, der amtierende Papst Franziskus werde in diesem Jahr keine Reisen unternehmen, während sein Vorgänger Benedikt anscheinend kurzerhand – und erstmals seit acht Jahren – den Vatikan und Italien verlässt. Auch die mediale Begleitung durch das Bistum Regensburg regt zum Schmunzeln an, war sie doch ein Drahtseilakt: Einerseits bat man um Privatsphäre. So gab es etwa keine offiziellen Fotos des Besuchs. Andererseits war das Interesse der Öffentlichkeit scheinbar so groß, dass man sie mit permanenten Updates auf dem Laufenden hielt, was die Ratzinger-Brüder gerade taten – und informierte selbst darüber, was sie aßen: Brezeln zum Frühstück und Apfelstrudel zum Nachtisch. Zudem war die Reise als Privatbesuch angekündigt. Doch das Treffen mit dem päpstlichen Nuntius Erzbischof Nikola Eterović und die Verabschiedung am Flughafen durch den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder passen nicht in dieses Bild.
Werden weitere Reisen von Benedikt zu seinem kranken Bruder folgen? Darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Schließlich wurde der Besuch in Regensburg als "gemeinsames Abschiednehmen" der Geschwister bezeichnet. Auch steht in den Sternen, ob der seinem Alter entsprechende Gesundheitszustand Benedikts künftig weitere Reisen zulassen wird. Die Unverfügbarkeit über die eigenen Kräfte und das Lebens selbst ist eben eine fundamentale Bedingung der menschlichen Existenz, die auch für (emeritierte) Päpste gilt.