Sozialpfarrer: Fleischindustrie reformunfähig und reformunwillig
Der katholische Sozialpfarrer Peter Kossen hält die Fleischindustrie in Deutschland für reformunfähig und reformunwillig. Schon mehrfach habe sie Verbesserungen und Reformen versprochen, sagte der Theologe und Menschenrechtler am Dienstag im Deutschlandfunk. Er sei skeptisch, ob jetzt eine Wende wirklich möglich sei. Ein Verbot von Werkverträgen könne aber ein erster Schritt sein. Kossen, der seit Jahren eine Verletzung sozialer Rechte und menschenunwürdige Lebensbedingungen in der Branche anprangert, sprach von einem bewusst geschaffenen System der Unverantwortlichkeit. Durch immer neue Ebenen von Subunternehmen werde verschleiert, wer für die Menschen, ihre Lohnzahlungen sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen verantwortlich sei.
Die meist aus Osteuropa stammenden Arbeiter seien deshalb auch häufig nicht auf dem Radar von Gewerkschaften, Behörden und Politik. "Sie leben in einer Schattenwelt, sind dauerhaft in Deutschland, aber tauchen in der Gesellschaft gar nicht auf." Auf die Frage, ob Veränderungen in der Fleischindustrie die Preise für Fleisch enorm erhöhen würden, sagte Kossen, Verbesserungen seien möglich, ohne dass Fleisch zum Luxusgut werde. Höhere Löhne würden angesichts der Masse von Fleisch nur zu geringen Preiserhöhungen führen. Andererseits müsse man sich fragen, ob ein hoher Fleischkonsum vertretbar sei. Allein die starke Belastung von Luft und Wasser in den fleischproduzierenden Regionen zeige, dass es hohe Nebenkosten und Gesundheitsgefahren gebe.
Auch in der Talkshow "Hart aber fair" hatte Kossen am Montagabend seine Skepsis gegenüber Besserungsbekundungen aus der Fleischindustrie bekundet. "Da müssen wir schon aufpassen, wer Täter und wer Opfer ist", sagte der katholische Pfarrer in der ARD. Die Betreiber wüssten, was in ihren Betrieben geschehe. Sie hätten aber die Verantwortung dafür delegiert. Der Sozialpfarrer berichtete von den Bedingungen, unter denen die Menschen arbeiteten. Die Werkvertragnehmer müssten zahlreiche Überstunden leisten, die nicht bezahlt würden. Vom geringen Lohn würden Kosten für die Unterbringung und den Transport zur Arbeit abgezogen. Am Ende profitierten die Unternehmer und Subunternehmer, "aber viel mehr Leute leiden darunter."
Der Gütersloher Caritas-Vorstand Volker Brüggenjürgen berichtete in einem Video-Interview auf der Internetseite des Sozialverbands vom "menschlichen Elend" der osteuropäischen Arbeiter. Die betroffenen Familien hielten die "extremen Belastungen in den engen Wohnungen" und die "absolut extremen Arbeitsbedingungen" nur sehr schwer aus. "Wir haben sehr, sehr viel Leid in den letzten Jahren kennengelernt", betonte Brüggenjürgen. Bislang sei es bei den Subunternehmen sogar meist üblich gewesen, auch kranke Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Arbeit zu nötigen.
Brüggenjürgen kritisierte weiter, dass das System der Werkverträge die betroffenen Arbeitnehmer in Abhängigkeiten stürze. "Da ist die Arbeit unmittelbar mit dem Wohnen verknüpft. Und wer gegen die Arbeitsbedingungen protestiert oder sagt 'Ich bin nicht einverstanden', der fliegt sofort aus seiner Wohnung", sagte der Caritas-Vorstand. Dadurch könne man Arbeitnehmer maximal ausbeuten. "Und das führt dann dazu, dass man das Fleisch, das Schnitzel so günstig anbieten kann, wie wir das im Discounter um die Ecke gewohnt sind", so Brüggenjürgen.
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"Ein-Mann-Demo" gegen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen: Der Pfarrer Peter Kossen hat vor dem Schlachthof der Firma "Westfleisch" in Coesfeld protestiert. Zuvor hatten sich mehrere der Saisonarbeiter dort mit dem Coronavirus infiziert. (Artikel von Mai 2020)Er beklagte weiter, dass die "Normalgesellschaft" sich bislang nicht für das Schicksal der Werkvertragnehmer interessiert habe, weil die meisten Deutschen mit den Betroffenen nur wenige Gemeinsamkeiten hätten. Erst jetzt, wo die Corona-Pandemie für alle ein Risiko sei, blicke man anders auf das Problem. "Nichtsdestotrotz freut es mich total, dass dieses System jetzt hoffentlich endlich beendet werden kann durch die Politik", sagte Brüggenjürgen. Die betroffenen Arbeitnehmer bräuchten eine greifbare Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Konkrete nannte der Caritas-Vorstand Unterstützung bei Beratung, Sprachförderung und Bildung für Kinder und Jugendliche. Er betonte: "Die eigentliche Arbeit, den Menschen hier das Leben etwas menschenwürdiger zu gestalten, die fängt jetzt erst an."
In mehreren Schlachthöfen in Deutschland ist es zuletzt zu gehäuften Corona-Infektionen gekommen. Vergangene Woche wurden etwa rund 1.500 Arbeiter der Fleischfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück positiv auf das Virus getestet. Nachdem der Kreis Gütersloh in den vergangenen Tagen bereits Schulen und Kitas geschlossen und knapp 7.000 Arbeiter und ihre Familien unter Quarantäne gestellt hatte, verhängte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Dienstag einen umfassenden Lockdown mit strengen Kontaktbeschränkungen für den Kreis. (stz/KNA)